Test: The Witcher (Rollenspiel)

von Jörg Luibl



Entwickler:
Publisher: Atari
Release:
24.10.2007
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ab 6,99€
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Endlich wieder gute Fantasy

In den Katakomben begegnen euch zig Monster: Hier nutzt Geralt eine Axt, aber theoretisch reicht sein Stahlschwert in Kombination mit der Hexermagie.
Das letzte Mal, dass ich trotz technischer Mängel so gut von einem Abenteuer unterhalten wurde, war im November 2004. Das Spiel hieß Vampire: Die Maskerade - Bloodlines . Aber man konnte sich diesem düsteren Trip einfach nicht entziehen. Genau so ist es mit dem Hexer: Das erstklassige Intro gibt nur einen kämpferischen Vorgeschmack auf die fünf spannenden Kapitel und das stilistische Können der polnischen Grafikabteilung. Kein Kitsch. Kein Kloppmist. Keine Katastrophe. Freut euch auf düstere Fantasy, in der neben Leder und Stahl vor allem Story, Charaktere und Atmosphäre dominieren. Auch wenn die Erzählung zu Beginn mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt: Alles wird zu seiner Zeit aufgeklärt, selbst die Frage, wieso sich Geralt im Intro so lange mit dem Monster aufhält und erst die Fäuste anstatt die mächtige Waffe oder gleich Magie sprechen lässt. 

Die Köder sind einfach unwiderstehlich. Wer einmal anbeißt und das Langschwert des Hexers in eleganten Kombinationen singen lässt, wird so schnell nicht mehr vom Jäger mit dem schlohweißen Haar loskommen. Er hat einen tödlichen Stil - und zwar in allen Belangen. Dass sich die Klinge wunderbar choreographiert durch Haut und Rüstungen frisst, dass dabei Blut spritzt und Köpfe rollen ist nur eine seiner Stärken. Dass Musik und Menüs für eine erhabene Stimmung beim Zuhören und Wühlen sorgen, nur eine andere. Man fühlt sich als Fan mittelalterlicher Fantasy sofort akustisch und grafisch angesprochen. Und wer die Buchvorlagen von A. Sapkowski kennt, wird sich schnell heimisch fühlen.

Emotionale Dramaturgie

Natürlich geht es auch in diesem Abenteuer um ein Komplott großen Ausmaßes: Aber bevor ihr die wahren Hintermänner trefft, müsst ihr zig Schurken aus dem Weg räumen...
Aber viel wichtiger ist: Schon der Einstieg hat dramaturgisch mehr zu bieten als die Plots von Two Worlds und Gothic 3 zusammen. Noch bevor das erste Kapitel überhaupt beginnt, noch bevor richtig klar wird, dass die mysteriöse Hauptfigur an Gedächtnisverlust leidet und für viele seit fünf Jahren schon totgesagt war, spielt die Regie in der Festung von Kaer Morhen ihre ersten Joker aus: Wann habt ihr das letzte Mal in der guten ersten Stunde eines Spiels Kämpfen, Magie, Verzweiflung, Sex und einem Begräbnis beigewohnt? Wann hat sich das letzte Mal die Szene eines Abschieds eingebrannt? The Witcher serviert euch viele kleine Zwischensequenzen, die umgehend für Stimmung sorgen. Und ähnlich wie im guten alten Gothic kommt das Kumpelhafte zwischen den Gefährten nicht zu kurz - nur ist es hier mysteriöser.

Im Kreis einer kleinen verschworenen Truppe erlebt ihr all das, lernt markante Charaktere kennen, bevor ihr alleine loszieht und ganz wichtig: Ihr müsst von Beginn an Entscheidungen treffen. Und das ist in einer Welt, in der Rassenhass gegenüber Zwergen und Elfen, die Verfolgung Andersgläubiger und Verbrechen von der Vergewaltigung bis zur Menschenopferung an der Tagesordnung stehen, nicht immer so einfach. Haben sich die Jungs gut von BioWare inspirieren lassen? Oh ja. Befreit ihr einen zur Deportation verfluchten Zwergen oder mischt ihr euch nicht ein? Helft ihr einem Hehler oder den Rebellen? Ihr habt immer die Wahl, ob ihr eure Kräfte für den eigenen Geldbeutel, eure Moral, das Gesetz oder die Unterdrückten einsetzt. Und ihr müsst als Hexer immer damit rechnen, dass man euch als Ketzer zunächst verabscheut. Es gibt keinen Moralbalken, aber spürbare Konsequenzen wie einen wütenden Mob mit der Lust auf Lynchjustiz oder einen Schmied, der einfach nicht mehr mit euch reden will, weil er sich ertappt fühlt. Sehr motivierend ist, dass die Tragweite eurer Entscheidung irgendwann spürbar sein kann: Wer Rebellen aus Edelmut hilft, muss damit rechnen, dass sie später skrupellos töten...und wenn sie einen Freund töten? All die moralischen Zwickmühlen, die auch Mass Effect bald so auszeichnen soll, werden euch auch in diesem Abenteuer begegnen...
         

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Kommentare

Interrex schrieb am
Heute zockt man TW 1 wegen der sehr guten RPG-Story und weniger wegen der veralteten Technik. Magst du keine guten Stories?
Ivan1914 schrieb am
Wenn Du nach bereits einer Stunde aufgegeben hast, war das zu früh.
Das Spiel ist alt, die Engine nicht mehr zeitgemäß und das anfängliche Spielprinzip auch nicht. Aber was Witcher damals (und auch in den folgenden Teilen) ausgemacht hat ist die Erzählung und Sinnigkeit der Story. Und da hast Du im ersten Akt - besser gesagt im Anfangsstadium dessen - halt noch nichts gesehen.
Habe nach Witcher 3 allerdings den ersten Teil auch nochmal durchgespielt und muss zugeben, dass es doch schon sehr gealtert ist. Sogar ich habe mich fast mehr "durchgequält" als es genossen, wie ich es früher mal konnte. Story ist weiterhin klasse und auch toll geschrieben - vor allem wenn man alle drei Teile kennt. Aber die Präsentation ist leider nicht mehr wirklich zeitgemäß, besonders aus technischer Seite.
Und ohne english-Affinität hast Du noch einen weiteren Stolperstein, der überwunden werden muss. Frustration ist nachvollziehbar.
Dafür werden Dir ein paar Dinge entgehen, die erzähltechnisch in der virtuellen Spielewelt großartig waren und sind.
Ich wünschte mir, von W1+2 würde es heutzutage ein interaktives Video geben um sich nur die Story/Stories anschauen zu können ohne sich durch die Spiele krampfen zu müssen. Aber weil diese teils so gut geschrieben sind (english), krampfe ich hier und da trotzdem.
No Cars Go schrieb am
EvilGabriel hat geschrieben:Wirklich immens wichtig, dass du das jetzt noch ins Forum schreibst, neun (!!!) Jahre nach Release.
Bis zu welchem Zeitpunkt nach Release darf man in deinen Augen Spiele noch kommentieren?
EvilGabriel schrieb am
Wirklich immens wichtig, dass du das jetzt noch ins Forum schreibst, neun (!!!) Jahre nach Release.
No Cars Go schrieb am
Hab dem Spiel gerade eine volle Stunde lang eine Chance gegeben und war zu Tode gelangweilt. In monotonen Kämpfen zur rechten Millisekunde die linke Maustaste drücken? Kloppmist. Englische Sprachausgabe? Dilettantisch. Dramaturgie? Triss' Titten wackeln in ernsten Gesprächen, als hätte ich BMX XXX eingeworfen. Regie? Fast nicht vorhanden. Fantasyklischees? Ohne Ende. Die glitchy Engine von Bioware tat ihr Übriges.
Furchtbares Teil, das ich nicht mehr anpacken werde.
schrieb am