Das Dokument
Unsere Berichterstattung über die negativen Aspekte in der Spielebranche hat beim Eingang dieses Vertrages einen bitteren Höhepunkt erreicht. Uns ging es in erster Linie um die subtilen Mechanismen der internen und externen Beeinflussung - vor allem von Wertungen. Aber die gekaufte Berichterstattung mit Gewinnbeteiligung? Dieser Vorwurf wurde bisher ins Reich der lächerlichen Hysterie verbannt und kaum ernsthaft diskutiert, obwohl er seit dem kritischen Herbst im Raum stand.
Schon im ersten
anonymen Interview hatte unsere Quelle, ein Ex-Publisher, behauptet, dass es in seiner aktiven Zeit eine Gewinnbeteiligung der Presse gegeben hätte - hier der Auszug:
4Players: Zurück zu den Mechanismen auf Publisherseite. Welche Formen der Beeinflussung der Presse kennen Sie aus der Praxis? Wie geht man vor, wenn man ein Spiel pushen will?
Ex-Publisher: Man bietet der Presse eine Umsatzbeteiligung basierend auf Media Control Daten an und bestimmt im Vorfeld den Umfang an Präsenz in deren Publikationen. Das geschieht in Form von Covern, Previews, Reviews, Anzeigen bis hin zu den Most Wanted Charts. Dadurch können beide Seiten sehr lange im Voraus planen und der Publisher kann sicher sein, dass sein Produkt eine angemessene Rolle in den Publikationen spielt, da die Anzahl der Seiten lange im Voraus steht. Das geschieht natürlich nicht mit Spielen, die erwartungsgemäß eine schlechte Bewertung bekommen werden, sondern mit Produkten, die durchaus ein Anwärter auf höhere Wertungen sind. Da Ganze wird sogar schriftlich festgehalten und am Ende gibt es ein schönes festgezurrtes Paket. Erschreckend, aber wahr und ich habe dies selbst erlebt.
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Das ist nur ein Teil des Kooperationsvertrages, der uns vorliegt. Er beinhaltet auch einen umfangreichen PR- und Marketingplan. |
Uns lagen zum Zeitpunkt des Interviews allerdings noch keine Dokumente vor, die diesen Vorwurf hätten erhärten können. Jetzt sieht das Ganze anders aus: Wir haben unseren Augen nicht getraut, als wir vor wenigen Tagen postalisch einen mehrseitigen
Vertrag erhalten haben. Dieser bestätigt die Aussage der Quelle in all ihren Einzelheiten und offenbart den größten Skandal der deutschen Spielepresse - selbst, wenn es sich dabei "nur" um einen Einzelfall gehandelt haben sollte. Er beinhaltet die Namen des betreffenden Spiels, des Publishers, des Verlages sowie der Unterzeichnenden. Er beinhaltet die detaillierte Darstellung des PR- & Marketingplans in seinen monatlichen Schüben (x-seitige Preview in Print und Online, Anzeigen, Videoerstellung, x-seitiger Test, Platzierung des Tests, Gewinnspiel, Tipps&Tricks, Demoversion etc.), die in Aussicht gestellten Beträge für die Berichterstattung. Wir haben diese Inhalte bewusst ausgeschwärzt, wir werden auch in Zukunft keine Namen öffentlich nennen. Unsere Quelle betont zudem, dass diese Form der Kooperation auch von Verlagen abgelehnt worden sind.
Der kapitale Hype
Was bedeutet das für den Leser? Manchmal entsteht ein Hype, weil eine Redaktion ein Spiel liebt, weil man es aufgrund seiner Qualität oder der Lesererwartung pushen will. Und wenn man das tut, wird man von dem betreffenden Publisher natürlich unterstützt, indem man zu Exklusivinterviews eingeladen wird oder eine Exklusivdemo bekommt oder besonderes Material erhält - all das ist okay. Aber manchmal entsteht ein Hype scheinbar auch, weil man schlichtweg daran verdient, den Leser mit seiner Berichterstattung heiß auf ein Spiel zu machen. Wir zitieren aus dem PR- & Marketingplan, der vom Verlag ergänzt wurde:
"Wir wollen aus einem "No-Brand" einen Brand mit hohem Verkaufsvolumen machen. (...) Wir wollen mit maximalem Druck das Ergebnis erzwingen. (...) Durch diesen massiven Auftritt [in Print und Online; Anm. d.Red.] sichern wir Spiel X eine maximale Präsenz und wecken den Kaufwunsch."
Aus dem Vertrag geht dann hervor, dass die Gewinnbeteiligung, die wir im Vertrag gelb markiert haben, je nach verkaufter Stückzahl angehoben werden sollte: Ab 80.000 Einheiten sollte es 4 Euro, ab 100.000 Einheiten sollte es 5 Euro pro Stück geben.
Gekaufte Wertung?
Wurde die Wertung des Spiels auch schriftlich festgelegt? Nein. Es gibt sogar folgende Stelle im PR- & Marketingplan, die vom Verlag kommt:
"Was wir nicht garantieren können: die Produktbewertung. Hier müssen wir uns auf die Einschätzung von Publisher X verlassen können, dass der Titel mit den Genregrößen mithalten kann."
Mal abgesehen davon, dass man sich auf die Qualitätseinschätzung eines Herstellers verlässt: Was heißt das in der Praxis für die Wertungsfindung? Wenn es eine derartige Kooperation zwischen Publisher und Verlag gibt, bleibt die Frage, wie tief das Wissen über die Gewinnbeteiligung innerhalb der Verlagsstruktur gesickert ist: Vom Geschäftsführer über das Marketing und den Chefredakteur bis hin zum Tester des betreffenden Spiels? Weiß der Tester von den zwei plus X Euro, die sein Verlag pro verkauftem Spiel bekäme? Oder geschieht die "Wertungsfindung" über Argumente in einer Wertungskonferenz?
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Spielkulturthema: Der kritische Herbst
Kolumne: Spielbranche am Apparat. Bei Anruf Award? Anonymes Interview: Ex-Publisher packt aus. Kolumne: Die Kultur der Kritik. Special: Interne Beeinflussung. Special: Externe Beeinflussung.
To be continued... |
In diesem Fall war die Redaktion scheinbar an der Konzeption des PR- und Marketingplans beteiligt (siehe gelbe Markierung im Dokument). Falls das so ist: Wie schreibt ein Magazin über ein Spiel, wenn es zum Release zwei Euro am Abverkauf verdient? Egal, ob das Ergebnis im akzeptablen Wertungsschnitt bleibt oder nicht: Das Ergebnis hat nichts mehr mit Journalismus zu tun, nichts mehr mit kritischer Berichterstattung. Das Ergebnis ist nicht gekennzeichnete Werbung, böse Leserveraschung und unlautere Bereicherung. Wenn man am Kiosk in ein Spielemagazin investiert, erwartet man eine Kaufberatung von einem unabhängigen Medium und keine vom Hersteller gekaufte Berichterstattung.
Die Konsequenzen
Uns wurde im Laufe der Berichterstattung vorgeworfen, dass der Leser des kritischen Herbstes verunsichert werden würde: Wem kann man noch Glauben schenken? Welchem Magazin soll man trauen? Wenn der Leser, der Käufer oder Zocker durch diese Berichterstattung verunsichert sein sollte, dann ist das ein Ergebnis, dem sich die Branche stellen muss - jeder auf seine Art und Weise. Mit diesem Vertrag steht fest, dass so manche Euphorie am Kiosk ein betriebswirtschaftliches System hat. Mit diesem Vertrag wird auch klar, dass Formen der Beeinflussung und Manipulation nicht nur von PR- und Publisherseite angewandt werden, sondern auch von Verlagsseite initiiert werden. Die Glaubwürdigkeit des deutschen Spielejournalismus hat durch diese inakzeptablen Machenschaften der eigenen Zunft einen Tiefpunkt erreicht - auch, wenn es sich hier nur ein Beispiel, nur um ein schwarzes Schaf handeln sollte.
Um das noch mal klarzustellen: Der Vertrag liegt uns in all seinen Einzelheiten vor. Aber wir werden die uns vorliegenden Namen nicht öffentlich nennen. Als Teilnehmer dieser Branche möchten wir auch noch mal ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir Mechanismen beleuchten, die es nicht in jedem Verlag, nicht in jeder Redaktion oder bei jedem Publisher gibt. Viele Kollegen auf Presse- und Publisherseite machen einen ehrlichen, einen guten Job - gar keine Frage. Aber die
Kultur der Kritik muss auch dann verteidigt werden, wenn sie nur in Einzelfällen bedroht wird. Und vor allem muss viel reger über das diskutiert werden, was auf dem langen Weg zwischen Spielidee, Presswerk und Wertung falsch läuft.
Hiermit beenden wir den kritischen Herbst vorerst.
Der Wii naht...
4P|Redaktion