Wie ein Abenteuer-Spielbuch
Sobald man eine Fähigkeit besitzt, die ein Gespräch oder eine Herausforderung beeinflussen kann, wird diese als Option angeboten. The Age of Decadence fühlt sich in diesen Passagen fast an wie ein Abenteuer-Spielbuch à la
Sorcery!, in dem man von Entscheidung zu Entscheidung blättert: Meistert man eine Einschüchterung oder eine Überzeugung, geht es mit der nächsten Situation weiter – bis man vielleicht scheitert. Auch als Dieb klickt man sich bei einem Einbruch quasi durch (sehr gut beschriebene) Aktionen, die wie Multiple-Choice-Aufgaben links in Textform präsentiert werden, während man auf der rechten Seite ein statisches Bild sieht. Klettert man durch das Fenster, geht man per Seil über das Dach oder versucht man das Türschloss zu knacken? All das macht man nicht aktiv, sondern liest es.
Ein Blick auf die Weltkarte: Man kann nicht aktiv reisen wie in Wasteland 2, sondern klickt auf entdeckte Orte.
Je nachdem, welche Fähigkeiten und welche Klasse man besitzt, ergeben sich hier ganz andere Möglichkeiten – der Wiederspielwert ist enorm hoch: Während der Assassin bei entsprechender Schulung manchmal direkt im Dialog töten kann, darf der Dieb in andere Räume schleichen, der Praetor mit seiner Etikette elegant auftrumpfen oder der Loremaster ganz andere Hintergründe erfahren. Eine Fähigkeit wie „Streetwise“ oder „Verkleidung“ kann also manchmal wichtiger sein als ein starker Schwertarm. Es ist allerdings ärgerlich, dass die aktuelle Stufe bei dieser Entscheidung bzw. Fähigkeitenprobe nicht einsehbar ist – man muss also immer auswendig wissen, wie gut man in einem Bereich ist. Warum kann man die kleine Statistik nicht einblenden?
Es macht aber auch so Spaß, eine identische Situation aus der Perspektive einer anderen Klasse zu spielen: Als Händler erlebt man z.B. die Situation als Opfer, die
Stellenweise fühlt sich The Age of Decadence an wie ein Abenteuer-Spielbuch: Man entscheidet und blättert weiter.
man als Dieb oder Assassin vielleicht als Täter spielte. So erkennt man manchmal auch den wahren Charakter einer Nichtspielerfigur: Hinter dem weisen Antiquitätenhändler steckt also bloß ein gieriger Scharlatan? Es ist erstaunlich, mit wieviel Hingabe die Entwickler diese unterschiedlichen Pfade integriert haben.
Antike Machtkämpfe mit dezentem Fantasy-Flair
Abseits von dem persönlichen Verhältnis zu anderen Fraktionen hat man auch das angenehme Gefühl, dass sich die lokale Geschichte und die Story dynamisch entwickeln – kaum kehrt man von der ersten großen Reise nach Ganezzar zurück nach Teron, gibt es dort ein neues Kräfteverhältnis und die eigene Gilde der Assassine ist scheinbar geschlossen. Die Story ist allgemein gut konstruiert, man wird schnell neugierig gemacht: Zu Beginn geht es zwar lediglich um eine mysteriöse Karte, die man Lord Antidas zeigen soll, aber schon damit öffnen sich mehrere Möglichkeiten, denn man kann sehr subtil, sehr direkt oder über Aufträge zu ihm gelangen - dann müsste man noch das Banditenlager sowie die Mine erkunden und sich um Schmuggelware kümmern.
Kein Schwarz-Weiß, kein Kitsch: Die Nichtspielerfiguren agieren nach eigenen Interessen.
Um es kurz zu machen: Es gibt viel zu tun, nicht streng linear, sondern angenehm offen. Schade ist nur, dass man die Konflikte nicht direkt in der statischen Spielwelt, also in den Straßen beobachten kann. Nur ganz selten werden kleine Aufstände oder "Menschenmengen" auch tatsächlich inszeniert. Aber die Unterschiede zwischen den Häusern werden erzählerisch deutlich, die wie die historische Machtkämpfe zwischen Caesar und Pompeius anmuten. Man wird auch auf die dezenten Fantasy-Aspekte neugierig gemacht: Was hat es mit den drei „Lords of the Higher Planes“ auf sich, die angeblich dem Imperium zur Hilfe eilten? Gibt es tatsächlich Dämonen und Luftschiffe, Magier und alte Ruinen mit mächtigen Kriegsmaschinen?
Sterile Spielwelt mit wenig Interaktion
Schon die erste Questreihe bis zum Treffen mit dem Lord ist sehr gut geschrieben. Danach zeigen sich nicht nur mehr Orte auf der Weltkarte, sondern es ergeben sich auch außenpolitische und religiöse Verstrickungen: Ähnlich wie in Telltales
Die Spielwelt wirkt mit ihren antiken Anleihen architektonisch gut, aber es fehlt an Leben in Gassen und Gemäuern.
Adventures wirken sich dann die Entscheidungen auf spätere Kapitel bzw. Orte aus – bei einem Wechsel wird einem angezeigt, welche Allianzen man geschmiedet oder für welche Fraktionen man etwas getan hat. Hat man z.B. dem Prediger in Teron zugehört oder ihn mit Steinen beworfen? Je nachdem wird man in einer anderen Stadt auch anders empfangen. Wer sich für Religionsgeschichte interessiert, wird einige interessante Parallelen zum Aufstieg des Christentums finden.
Das größte Problem von The Age of Decadence ist aber nicht die schwache Kulisse, sondern die schon erwähnte Statik: Die Erkundungsreize innerhalb der Spielwelt sind einfach kaum vorhanden und liegen weit unter dem Niveau des ersten Baldur's Gate. Selbst wenn man eines der wenigen offenen Gebäude betritt, kann man im Inneren kaum etwas tun, weil es nur ganz selten etwas per blauem Augensymbol zu
Ein Blick auf das Inventar - zu viel Gewicht wirkt sich negativ aus.
untersuchen oder per gelbem Icon zu interagieren gibt. Und das, obwohl vielleicht überall Kisten oder Regale stehen. Man kann auch nur sehr selten etwas einfach so finden. Man kann nichts aktiv stehlen oder Türen aufbrechen. So fühlen sich auch Tavernen & Co, die laut Fließtext voll sein sollen, eher wie Staffage an. Und das dämpft die Stimmung merklich, denn heutzutage gibt es auch in isometrischer Perspektive ansehnliche Vertreter wie etwa Shadowrun. Man kann auch lediglich die Siedlungen, aber nicht die eigentliche Spielwelt frei begehen bzw. bereisen – sobald man ein Tor verlässt, kann man auf der Weltkarte einen Ort anklicken (falls entdeckt) und reist automatisch dorthin. Dabei gab es bisher weder Zwischenfälle wie z.B. in
Wasteland 2 noch muss man sich um die Versorgung kümmern.