Vom Opfer zum Täter
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Die Begegnungen mit Feinden werden sehr lebendig inszeniert.
Das kleine Mädchen hockt verängstigt hinter einem Zaun. Drei Typen versperren ihr den Weg ins Freie. Ich denke gar nicht erst darüber nach, dass einer von ihnen eine Pistole trägt und klettere über die Absperrung. Sofort dreht sich das Trio um, sie taxieren mich wie Raubtiere. Ich warte, sie kommen langsam näher. Ich könnte meine Waffe ziehen, aber ich habe keine Munition – dumm gelaufen. Also setze ich alles auf eine Karte, lasse sie in dem Glauben, komplett unbewaffnet zu sein. Und plötzlich wittern sie Hilflosigkeit, pirschen heran…
Einer von ihnen kommt etwas zügiger auf mich zu, seine Pistole gezückt. In einem 08/15-Shooter hätte ich gar keine Möglichkeit für einen taktischen Bluff. Aber dieses Abenteuer geht kreativer an Konflikte heran, inszeniert sie authentischer: Hier muss ich z.B. warten,bis mir der Feind die Knarre fast an die Schläfe setzt. Das sorgt für eine situative Spannung, die den meisten Actionspielen abgeht. Ich halte kurz den Atem an, dann blinkt der Knopf für den Reaktionstest und ich schlage mit der bisher versteckten Machete zu – der Mann bricht röchelnd zusammen.
Auge um Auge
Dieser Überraschungseffekt sorgt für den ersten Toten und bringt mir einen Schuss Munition, der scheinbar wie von Geisterhand direkt in mein Magazin wandert – was weniger authentisch wirkt. Jetzt ziehe ich meine geladene Pistole und visiere die beiden anderen Typen an. Auch hier reagieren die Feinde sehr gut auf mein Verhalten: Je nachdem, auf wen ich den Lauf der Pistole richte, weicht nur einer dieser Schläger zurück. Stecke ich meine Waffe ein, kommen beide zügig auf mich zu. Aber diesmal habe ich einen Schuss frei, der den ersten sofort nieder streckt.
Aber noch ist ein Feind übrig, der jetzt sichtlich nervös auf meine Waffe blickt. Zwar ist sie leer, aber davon ahnt er nichts. Also kann ich ihn in Schach halten und weil er alleine ist, wird aus dem Opfer in Unterzahl, das in Notwehr und zum Schutz des Mädchens handelte,
Licht im Dunkeln: Stellenweise kommt Horrorflair auf. Schade, dass es kaum interessante Gegenstände gibt und eher Arcade-Items wie Retrys und Medi-Packs.
plötzlich ein Täter. Ich kann in dieser Situation nicht verhandeln oder den Mann wegjagen. Ich kann ihm nur Befehle wie „Bleib stehen!“ oder „Zurück!“ geben, mehrmals hintereinander, um ihn irgendwann auf den Knien hockend auszuknocken oder mit einem Tritt in einen Abgrund zu befördern.
Die Straße ruft
Die Gnadenlosigkeit passt sehr gut zu einer apokalyptischen Welt, in der jeder ums Überleben kämpft und in der die Entwickler auch die Menschlichkeit des Spielers auf die Probe stellen wollen. Eine Katastrophe hat die Erde heimgesucht, ihre Städte versinken seit einem Jahr in Staub, Gewalt und Dreck – die Atmosphäre erinnert umgehend an „Die Straße“ von Cormac McCarthy. Das Abenteuer des einsamen Helden spielt in der fiktiven US-Metropole Haventon. Er sucht zwischen Schutt und Zerstörung verzweifelt nach seiner Familie, eine Frau und eine Tochter. Ob sie sich in Sicherheit flüchten konnten? Ob sie irgendwo leben? Kann die Story überzeugen? Diese Fragen treiben mich an.
Dass das eigene Gewissen auf die Probe gestellt werden soll, hört sich theoretisch gut an – sehr gut sogar. Was wäre da an Dialogen und Konflikten möglich! Und im Vorfeld des Spiels haben die Entwickler angekündigt, sowohl den Verlust der Menschlichkeit als auch des Verstands zu thematisieren. Aber in der Praxis der ersten Stunden wirken die Begegnungen mit Opfern der Katastrophe zu oberflächlich. Man kann sich zum einen nicht mit ihnen unterhalten, obwohl man allen Grund dazu hätte. Und zum anderen ging es bisher nur darum, ob man ihnen eines der seltenen Heilpakete gibt oder nicht.