Geister-Jagd
Die Geschichte von Wildlands ist schnell erzählt: Im Auftrag der CIA-Agentin Bowman sollen vier Soldaten der Ghosts-Eliteeinheit Bolivien aus der Hand des skrupellosen El Sueño befreien. Bevor man sich an ihn heran wagen kann, muss man aber mindestens zwei seiner Unterbosse aus dem Verkehr ziehen. Die wiederum kann man nur erledigen, wenn man in den über 20 Provinzen die kriminellen Anlagen still legt und die so genannten "Buchons" erledigt bzw. einkassiert, die sich auf die Bereiche Produktion, Beeinflussung, Schmuggel sowie Sicherheit aufteilen. Zu allem Überfluss kämpft man nicht nur gegen die Sicarios des Kartells, sondern auch das staatliche Militär Unidad, das Santa Blanca gegenüber immer wieder ein Auge zudrückt und mit seinen gut ausgerüsteten Soldaten eine stete Gefahr ausstrahlt. Dem gegenüber sind die nur spärlich bewaffneten Rebellen nur wenig mehr als eine gut gemeinte Hilfe. Wenn man den Kartellboss durch einen Diktator ersetzt und aus Bolivien einen fiktiven Staat macht, wäre ich nicht überrascht, Rico Rodriguez als Hauptdarsteller zu sehen - vieles erinnert an die Just-Cause-Serie von Avalanche.
Die Kulisse ist ansehnlich, aber im Vergleich zu anderen Titeln mit offener Welt nicht glaubwürdig belebt.
Allerdings nicht die Kulisse. Es mag vielleicht die bislang größte Welt sein, die Ubsioft Paris mit der Unterstützung der Kollegen aus Bukarest, Mailand und Shanghai sowie der Hilfe von Ubi Reflections (Driver-Serie) aus dem Boden gestampft hat. Doch die zig hundert Quadratkilometer müssen sich in vielerlei Hinsicht hinter der nicht minder großen Welt von
Just Cause 3 einsortieren. Das beginnt im Kleinen bei der Mimik, die im Vergleich zu anderen Ubi-Spielen wie zuletzt
Watch Dogs 2 oder den letzten
Far Crys hölzern wirkt: Das geht weiter bei den im schicken Regen zu wächsern aussehenden Hautpartien. Und das hört im Großen beim Gesamteindruck auf, der nicht nur bedingt durch die idyllische Inselwelt in Just Cause 3 nur die zweite Geige spielt. Denn so groß die Welt von Wildlands auch ist, so unbelebt wirkt sie. Ja: In den Siedlungen finden sich nicht nur Kartell- oder Unidad-Soldaten, während auf den Straßen auch das eine oder andere Fahrzeug von A nach B oder C fährt. Doch es fehlen die Kleinigkeiten, die z.B. ein Watch Dogs 2 im Verhalten der Bevölkerung ausgezeichnet haben. Hier sind die durchaus zahlreichen in den Städten lebenden oder auf den Coca-Feldern arbeitenden Figuren nur Statisten, die man im Wesentlichen durch animierte Holzfiguren hätte austauschen können. Selbst
Mafia 3 hatte in dieser Hinsicht mehr zu bieten.
Erzählerisch dünn
Es scheint normal zu sein, dass ein Yankee mit Knarre durch Bolivion läuft. Das Figurenverhalten ist nur selten glaubwürdig.
Und die Mob-Saga in New Orleans hat mit ähnlichen Grundstrukturen (Oberboss, Unterbosse, Aufträge in Distrikten) auch erzählerisch die Nase vorn. Nicht nur, dass die Rachemär von 2K abseits von El Sueno die interessanteren Figuren und die deutlich bessere Mimik zu bieten hat – was letztlich auch der Atmosphäre zu Gute kommt. Darüber hinaus ist Lincoln als Protagonist um einiges vielschichtiger und interessanter als der zumeist eindimensionale Anführer der Ghosts, den man steuert. Und das, obwohl man ihn (oder sie) in einem vor allem hinsichtlich der Ausrüstung gut ausgestatteten Editor anpassen kann. Allerdings hätten mehr Gesichtsoptionen nicht geschadet, um noch mehr Personalisierungsmöglichkeiten zu bieten. Doch viel wichtiger als das Aussehen wären ohnehin mehr innere Werte gewesen. Einerseits ist man zwar nur als Befehlsempfänger unterwegs. Doch da die Geschichte in ihren besseren, zumeist auf El Sueño zugeschnittenen Momenten, auch Themen wie Selbstzweifel und hinter vermeintlicher Philanthropie verborgene Machtgier behandelt, die sich auch auf Religion erstreckt, hätten den Ghosts ein paar menschlichere Seiten gut zu Gesicht gestanden. In manchen „Idle“-Gesprächen oder bei einigen der durchaus längeren Autofahrten kommen die Persönlichkeiten zwar etwas mehr zum Vorschein. Doch dies ist kein Vergleich zu den Szenen, die man in Mafia 3 oder Watch Dogs 2 mit den Hauptdarstellern oder den wichtigsten Nebenfiguren erlebt. Es hilft hier, um die Charaktere zumindest ein bisschen greifbarer zu machen, so dass sie nicht wie x-beliebige Abziehbilder erscheinen.
Selbst der Spannungsbogen in
Ghost Recon Future Soldier, das übrigens auch in Bolivien startet, ist deutlich intensiver. Dementsprechend bleibt das erzählerische Potenzial hier weitgehend unausgeschöpft. Auch im Hinblick auf die Landschaft, die es trotz Abwechslung und stimmungsvoller Gebiete zumeist verpasst, die Geschichte Boliviens oder des Santa-Blanca-Kartells zu erzählen. Zwar gibt es Ausnahmen wie das riesige Mausoleum, das El Sueño zu seinen Ehren errichten lässt oder auch die Slums, in denen die Ärmsten ihr Domizil aufgeschlagen haben. Doch da es quasi kein NPC-Verhalten gibt, das die Lebensumstände widerspiegelt, wirkt alles nur wie eine aufwändige Hollywood-Kulisse, vor die hunderte unterbezahlte Statisten gestellt werden. Und das, obwohl Ubisoft es bereits mit einigen Teilen von
Assassin’s Creed und zuletzt mit Watch Dogs 2 geschafft hat, auch abseits des Drehbuches eine Geschichte über die Umgebung zu erzählen.