Test: Shadow of the Colossus (Action-Adventure)

von Jörg Luibl



Publisher: Sony
Release:
13.02.2006
22.09.2011
07.02.2018
kein Termin
Erhältlich: Digital, Einzelhandel
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ab 21,86€
Spielinfo Bilder Videos
Sinfonie & Erdbeben

Nur eines wird man nicht finden: Action, Quests, Schätze. Daher können die Reitausflüge trotz der darauf folgenden imposanten Duelle für den ein oder anderen langweilig sein. Und genau hier wird sich entscheiden, ob euch SotC genau so packen kann wie mich. Aber eigentlich braucht ihr euch nur eines fragen: Mochtet ihr ICO ? Wenn ja, dann werdet ihr auch hier glücklich werden. Das Spiel ist in seiner Schlichtheit eine einzige Erholung: Mehr, mehr, mehr. Sammeln, sammeln, sammeln. Viele Spiele ersticken an einer nicht enden wollenden Flut an Features. Hängen euch Begriffe wie üppiges Waffenarsenal, große Monsterhorden oder Levelaufstieg zum Halse raus? Könnt ihr stupide Metzelorgien und Blödsinnsquests nicht mehr sehen? Dann solltet ihr euer Pferd satteln und in dieses erfrischend andere Abenteuer entfliehen.

Ein Tritt und die Erde bebt!
Man kann darüber streiten, ob das Team die grandiose Kulisse nicht im Stile eines Rollenspiels mit Ruinen und Feinden hätte beleben sollen. Aber ich denke, das wäre ein Fehler gewesen. Mir hat gerade diese Ruhe vor dem nächsten Sturm gefallen, weil der Spielrhythmus davon profitiert. Er erinnert an die symphonischen Dichtungen des finnischen Komponisten Jean Sibelius: Lange Phasen der Stille, in denen man nur den Wind rauschen oder wehmütige Akkorde hört, wechseln sich mit brachialen Paukenschlägen ab, die die Erde erzittern lassen. Das ist sogar wesentlich angenehmer als in ICO, wo die unregelmäßigen Kämpfe gegen die Schatten hier und da für eintönige, sich wiederholende Action gesorgt haben.

Und aus erzählerischer Sicht macht das auch Sinn: Man bewegt sich in einem heiligen Land, an einem mystischen Ort, an dem Menschen nichts zu suchen haben und erforscht ein unbewohntes Gebiet mit verlassenen Ruinen und Katakomben. In der Mitte des Spiels macht sich vielleicht eine gewisse erzählerische Leere breit, weil man keine Dialoge, keine Zwischensequenzen erlebt. Man muss sich lange Zeit selbst einen Reim auf die Welt machen. Und ihr habt zunächst nur einen Gesprächspartner: Die göttliche Stimme im Tempel, die euch erste Hinweise auf den nächsten Koloss oder wertvolle Tipps während der Kämpfe gibt. Die spricht übrigens in einer fremden Sprache zu euch, die lediglich deutsch untertitelt wird, was den Reiz dieser Welt nur noch erhöht.

Aber befindet man sich bloß auf einem Bosskampfkreuzzug ohne Story, ohne inneren Zusammenhalt? Nein. SotC zieht einige stilistische Joker: In vielen Spielen wird endlos gequatscht, gefaselt und gezwischensequenzt. Ein Klischee jagt das andere, der Schmalz trieft literweise - gerade japanische Spiele können schnell in heroischer Kitschsauce versinken. Kein Wunder: Fantasy ist ein verdammt schwieriges Terrain. Nicht nur in Literatur und Film, sondern auch und gerade im Spiel. Wie soll man mit einer Welt verzaubern, ohne das hundertste Tolkien'sche, Bradley'sche, D&D'sche Plagiat zu sein? Indem man etwas Neues erzählt, indem man fremd, einzigartig und anders ist. Hier entsteht eine erhabene, wahrhaft epische Atmosphäre alleine schon über die Musik und die Kulisse.

So viel Pathos kann natürlich verdammt gefährlich sein. Es kann sich fast lautlos so gewaltig aufbäumen, dass Held und Story unter seiner Last zerbrechen. Auch hier gibt es Augenblicke, in denen die Monumentalität fast schon erdrückend wirkt - man hat das Gefühl, wie ein Wurm durch das Tal der Sieben Weltwunder zu kriechen. Aber in welchem Spiel hatte man das das letzte Mal? In welchem Spiel braucht man länger als zehn Minuten, um sich einen Reim auf die Welt zu machen oder sie zu durchschauen?

SotC lässt euch wesentlich länger zappeln.  Um so größer ist die Überraschung, wenn es im letzten Drittel noch mal richtig Fahrt aufnimmt: Plötzlich gibt es den ersten Film, der eine andere Bedrohung als die eines Kolosses offenbart und die Story wirft mächtige Schatten, die die Idylle und die Ruhe wegwischen.  Plötzlich fühlt man sich selber gejagt. Plötzlich ist Eile geboten. Die letzten zwei der dreizehn Stunden sind dann mindestens so intensiv wie in Metroid Prime oder Beyond Good & Evil . Das Finale gehört aufgrund seiner mythischen Dramaturgie zu den größten der Videospielgeschichte. Alleine dafür lohnt sich der Kauf. Man will danach einfach nur noch tiefer in diese bizarre Welt abtauchen...

Kleine Schönheitsfehler

Gibt es Schwächen? Ja, vielleicht die Linearität des Abenteuers. Und es gibt technische Mängel: Angefangen bei kleineren Clippingfehlern während des Kletterns bis hin zu den angesprochenen Pop-Ups. Und dass der Sturz aus großer Höhe meist tödlich endet, aber man plötzlich ohne Blessuren nach einem Fall von hunderten Metern in einem kniehohen See zum Stehen kommt, hätte
Das Licht eures Schwertes weist den Weg zum nächsten Koloss.
ebenfalls vermieden werden müssen - zumal man sich an anderen Stellen das Genick bricht. Aber das sind angesichts des gewaltigen Panoramas wirklich nur Peanuts. Ich dachte, dass Soul Calibur III schon alles aus der PS2 herausgekitzelt hätte, aber diese atemberaubende Kulisse setzt noch mal eins drauf. Nicht, weil sie mit noch mehr Polygonfeinheiten oder Farbenzauber protzen würde, sondern weil Figuren und Landschaft eine wunderbare Symbiose eingehen.

Auch die Einstellung der Perspektive verlangt Eingewöhnung. Die Kamera befindet sich gerade beim Reiten nicht immer optimal hinter, sondern etwas zu niedrig und seitlich neben dem Helden. Doch spätestens nach dem dritten Kampf hatte ich keine Probleme mehr mit der Justierung. Und man darf nicht vergessen, dass die Kamera auch eine große Stärke hat: Ihr könnt die Kolosse beim Kampf fixieren und weiter reiten oder rennen, so dass ihr sie selbst hinter euch immer im Blick habt, um vielleicht die Waffe zu wechseln, sie anzuvisieren oder auf den Pferderücken zu steigen. Dadurch entstehen unheimlich intensive Verfolgungs- und Kampfszenen, in denen euch die Riesen gefährlich nahe auf den Pelz rücken.

Schweres Erbe

Man muss sich noch mal vor Augen führen, was hier geleistet wurde. Das Team von Game-Designer Fumito Ueda stand vor einer verdammt schweren Aufgabe: ICO wurde zwar von der Fachpresse gefeiert, aber hat sich international miserabel verkauft. Dass diese Welt überhaupt noch mal Schauplatz eines Spiels wird, stand lange auf Messers Schneide. Welche Fehler hatte man gemacht? Aus unserer und der Sicht der meisten Redakteure und Spieler gar keine, aber ICO konnte die Masse nicht ansprechen. Das Team hatte bereits in einem sehr frühen Interview geäußert, dass man deshalb in SotC die Action forcieren wolle. Außerdem wollte man nicht von einem Nachfolger, sondern etwas Neuem sprechen. Das hat mich zunächst sehr misstrauisch gemacht, denn meist werden Spiele für den Mainstream so glatt gebügelt, dass sie später weder Anspruch noch Seele haben. Umso größer war die Freude nach diesem Spiel. Es ist die meisterhafte Beschränkung auf das Wesentliche, die dieses epische Abenteuer so auszeichnet. Ihr bekommt in jeder Spielminute Klasse statt Masse. Ich wünsche Fumito Ueda und seinem Team daher jeden einzelnen eurer Euros, damit wir davon in Zukunft noch mehr bekommen. Ein PS3-Projekt der Japaner ist schon in Arbeit, allerdings ist noch nicht bekannt, ob es erneut in dieser Fantasy-Welt spielen wird.
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Kommentare

Veldrin schrieb am
@Doc Angelo
Der Insekten-Menschen-Vergleich war gut. Ja, wenn mans so betrachtet ergibt es eher einen Sinn. :)
Doc Angelo schrieb am
Veldrin hat geschrieben:Also die KI ist doch naja. Wollten die Kolosse unbedingt sterben, oder warum kann man so quasi ohne Gegnenwehr auf der Hand oder dem Rücken herumklettern? Ich meine, wieso streichen die Kolosse die ?Fliege Mensch? nicht einfach fort oder zerquetschen sie einfach? Nein, stattdessen lassen sie sich lieber zig mal irgendwo reinstechen und flattern oder zappeln dabei halbherzig etwas herum.
Dass ich also die zumeist wehrlosen Kolosse töten muss, finde ich auch bescheuert. Ich möchte nicht andere Lebewesen töten nur um eines zu retten. Und monoton ist es ja auch.
Ja, wenn man beginnt darauf zu achten, dann kann einem auffallen, das sich der eine oder andere Koloss vielleicht ein wenig hölzern oder auch zu langsam bewegt. Aber es wird am Ende des Spiels (sozusagen) "erklärt", das es in dieser Welt so ist und woher das kommt. Zudem finde ich, das ein Vergleich mit Menschen und Insekten angebracht ist. Manchmal wundert man sich, was man alles anstellen muss, um eins dieser Viecher los zu werden. Im Vergleich zum Insekt bewegen wir Menschen uns im Zeitlupentempo. Aber das Wichtigste ist eigentlich immer: Man muss es zulassen, an die Welt des Spieles zu glauben. Bei Fantasy-Filmen kann man es ja auch ohne Probleme genießen, das es Monster und Magier gibt und kleine Menschen sich unsichtbar machen können. ;)
Ansonsten wollte ich sagen:
Hab es vor ein paar Tagen erst durchgespielt... und es ist definitiv auf meiner Top5-Liste. Ein unheimlich tolles Spiel. Sowas gabs noch nie, und wirds auch nicht mehr geben, denn es ist einfach einzigartig. Zwar ein geschundener Begriff, aber hier trifft er zu: Das Spiel ist eine Erfahrung.
Veldrin schrieb am
Also die KI ist doch naja. Wollten die Kolosse unbedingt sterben, oder warum kann man so quasi ohne Gegnenwehr auf der Hand oder dem Rücken herumklettern? Ich meine, wieso streichen die Kolosse die ?Fliege Mensch? nicht einfach fort oder zerquetschen sie einfach? Nein, stattdessen lassen sie sich lieber zig mal irgendwo reinstechen und flattern oder zappeln dabei halbherzig etwas herum.
Dass ich also die zumeist wehrlosen Kolosse töten muss, finde ich auch bescheuert. Ich möchte nicht andere Lebewesen töten nur um eines zu retten. Und monoton ist es ja auch.
Die Atmosphäre ja die ist große klasse. Mit Agro umherreiten und die Landschaft bewundern. Die Story ist zwar mager aber auch ganz nett. Aber das kann doch nicht alles sein.
Also meins ist es nicht. Ich kann die Wertung nicht nachvollziehen. Aber gut, Geschmäcker sind halt verschieden.
Danny1981 schrieb am
saxxon.de hat geschrieben:
Danny1981 hat geschrieben:Finde ich aber interessant, dass du dann ausgerechnet FF XII anführst.
In FFXII kämpft meine Party ohne mein Zutun. Ich hab diese ganzen KI-Scripte so aufeinander abgestimmt, dass ich die Gruppe nur noch von einem Gegner zum nächsten lenken muss, den Rest machen die alleine. Gegner auswählen, tanken, Schaden machen, heilen, Buffs oben halten, alles automatisch ;). Nur bei Bossen muss ich aktiv eingreifen. So fühlt sich's kein bisschen wie Grinden an, eher wie eine Art verlangsamtes Rumlaufen ;) Für mich lag der Spaß im Kampfsystem des Spiels darin, genau diese KI-Routinen immer weiter zu perfektionieren und als alter Pen & Paper-Min- / Maxer war es dann auch sehr befriedigend zu sehen wie der Plan aufging und alles reibungslos ineinandergriff.

:D ich werde immer ausgelacht, wenn ich genau diese Spielweise als Grund angebe, wieso FF XII das meiner Meinung nach beste Kampfsystem hat :)
Aber da spielt dir die Erinnerung wirklich einen Streich : FF XII war Grinden in Perfektion. Und das meine ich genau so wie du gesagt hast : Es hat nicht gestört und machte Spass! Es hat mich in Dragon Age z.B. tierisch gefreut, dass das System seine Rückkehr gefeiert hatte! Spiel auf den höchsten Schwierigkeitsgrad, mod für 18 Taktikslots runterladen und Spass haben :)
schrieb am