Die perfekte Illusion?Eine Maus mit einer Mission: Minnie aus den Klauen der garstigen Oberhexe Mizrabel befreien!
Ende 1990. Die letzten Mauerbrösel wurden noch zusammengefegt, der Jungkautz entdeckte die glitzernde Welt der Videospiele für sich. Ich hatte vorher schon einige Erfahrungen mit interaktiver Unterhaltung gemacht, schließlich konnte der
KC-87 in BASIC und Maschinencode programmiert werden. Wer einmal mehrere Tage damit verbracht hat, Zahlenkolonnen in den mathematisch kaum erfassbaren Speicher eines Computers zu hacken, der weniger Rechenleistung hatte als heute eine Flasche Wasser, um am Ende eine Partie rudimentäres Snake zu spielen, der wusste, was wahre Erfolge sind. Kurz darauf beglückten mich meine Eltern mit einem Game Boy - und einige Monate später stand ich, mit dem geballten Fachwissen einiger „Video Games“-Ausgaben im Hinterkopf, auf einer Messe vor dem schönsten schwarzen Plastik, das ich bis dahin zu sehen bekam: Dem Sega Mega Drive. Ein herrliches Teil! Ich musste es haben!
Zwar ist das Spiel selbst nach heutigen Maßstäben sehr kurz - aber das Leveldesign gleichzeitig so abwechslungsreich, wie man es sich nur wünschen kann.
Mein zusammengekratztes Taschengeld reichte für ein Extra-Spiel, und mit dem Konzept von Micky Maus war ich, trotz des Eisernen Vorhangs, dank West-Verwandter gut vertraut. „Castle of Illusion starring Mickey Mouse“ leuchtete mich an. Die Sache war klar. Und meine Welt sollte nie mehr so sein wie zuvor.
Antennenkabel, Kanal 36, Mega-Drive-Schalter mit einem satten Klacken auf „On“, die Power-LED leuchtet ermutigend rot. „Once upon a mouse…“ steht da. Äh. Was heißt’n das? Meine Englischkenntnisse waren damals noch bescheiden, jeden zweiten Satz des Intros, in dem Micky und Minnie einen fröhlichen Walzer durch die grüne Landschaft von Vera City tanzen, musste ich nachschlagen. Das junge Glück wird jäh durch die garstige Hexe Mizrabel unterbrochen, die Minnie ihre Jugend und Beliebtheit neidet. Klar, dass Frollein Maus entführt wird. Noch klarer, dass sich Herr Mäuserich natürlich umgehend forschen Schrittes in das Titel gebende „Castle of Illusion“ begibt, um seine Herzensdame zu befreien! Ein Abenteuer wie kein Zweites…
Schwer ist Castle of Illusion zwar nicht, aber einige Levels (wie hier der Ausflug ins gigantische Uhrwerk) halten eine solide Herausforderung bereit.
Mit dem Hintern voran!
Aus heutiger Sicht betrachtet ist Castle of Illusion wirklich nichts Besonderes: Es ist extrem kurz (das Durchspielen dauert keine Stunde), lachhaft einfach, es gibt keine Charakterentwicklung, keine Achievements, keine Perks, keine Killstreaks, keine Schleichlevels. Und dennoch kann ich mich an kein Spiel erinnern, das ich in all den Jahren so oft durchgezockt habe. Dutzende Male. Absurd, ich weiß. Ich kenne alle Abgründe, in denen sich ein Extraleben versteckt. Ich weiß genau, welche Steine im Schlosslevel vor einem herunterfallen, und welche erst hinter einem. Ich kenne den Punkt, an dem mich der Clown-Boss nicht treffen kann. Es spielt für mich keine Rolle, dass ich manche Levels auch heute noch rein nach Gehör spielen kann. Ich kenne Castle of Illusion in- und auswendig. Und trotzdem spiele ich es auch heute noch, mit 36 Jahren, immer wieder durch. Zum einen, weil mein Mega Drive von damals noch astrein funktioniert. Zum anderen, weil wahre Liebe nie vergeht.