Test: Heavy Rain (Adventure)

von Jörg Luibl



Entwickler:
Publisher: Sony
Release:
24.06.2019
08.10.2010
02.03.2016
Erhältlich: Digital (Epic Games Store)
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ab 6,99€
Spielinfo Bilder Videos
Ein Oskar für den Kameramann

Officer Blake: Ein cholerischer Haudrauftyp mit klasse deutscher Stimme. Man kann jederzeit zwischen anderen Sprachen wechseln und Untertitel einblenden.
Heavy Rain sieht nicht nur fantastisch aus, weil sich die Polygonfiguren dank professionellem Motion Capturing (knapp 70 Schauspieler haben 172 Tage lang ihre Rollen gemimt) erstaunlich natürlich bewegen oder sich so tief in die Augen schauen lassen, dass man die haarscharfen Wimpern und Falten zählen kann - das, was in Uncharted 2 in den Zwischensequenzen für Filmflair gesorgt hat, gibt es hier quasi nonstop von der ersten Spielminute bis zum Finale. Quantic Dream konnte da natürlich aus dem Vollen schöpfen: Das Team besitzt als Motion Capturing-Dienstleister selbst einen 3D-Scanner und hat mal eben ein paar hundert Schauspieler zum Probe sprechen antanzen lassen.

Das berühmte "Casting"-Video war quasi nur der Anfang einer klassischen Filmrecherche. David Cage ist mit seiner offensichtlichen Filmbegeisterung in prominenter Gesellschaft: Auch Hideo Kojima hat den Bildschirm gerne und ausgiebig in eine Leinwand verwandelt. Allerdings gibt es hier einen Unterschied, denn während man in Metal Gear Solid 4  für lange Zeit reiner Zuschauer ist, bleibt man in Heavy Rain quasi immer die handelnde Person. Dadurch entsteht viel weniger ein Bruch als vielmehr ein Fluss zwischen Passivität und Aktivität.

Ohne die grandiose Kulisse wären das trotzdem nur herrlich animierte Gespenster: Und in diesem Fall geht es nicht nur um Texturen oder Plastizität, sondern um die authentische Architektur und Requisite all der Orte: Egal ob Polizeistation, Psychopraxis, Fabrikhalle, Uhrenladen, Shop oder Hotel - ich habe selten ein Spiel mit so glaubwürdig und akribisch
Ethan beim Psychiater: Wie schätzt er sich selbst ein? Das Spiel ist in vielen einfachen Situationen offen.
recherchierten Schauplätzen gesehen. Es entstehen fast Stillleben des Alltags, die mehr sind als bloße Fotografien. Denn obwohl man bis auf Ausnahmen nichts aufheben und einsammeln kann, ist im wahrsten Sinne des Wortes auch immer Leben in der Bude. In einer der ersten Szenen im Kaufhaus staunt man über die glaubwürdige Darstellung der Menschenmenge - natürlich kann man da mit kaum jemandem interagieren, aber schon das zähe Durchzwängen bildet den Alltag in einer überfüllten Einkaufsmeile gut ab. Später erlebt man Ähnliches in der Disco: Man kann in der Menge untertauchen, sich an hunderten Tanzenden vorbei zwängen, während einem die Trancebeats in die Ohren hämmern.  

Luft nach oben

Es ist allerdings schade, dass man bis auf die relevanten Ansprechpartner mit niemandem dieser Besucher in irgendeiner Form interagieren oder kommunizieren kann - man vermisst keine Dialogbäume, aber für die Illusion wäre es klasse gewesen, wenn ein knutschendes Liebespaar oder ein rauchender Gast einfach einen Kommentar abgegeben hätten, wenn man sie z.B. länger anstarrt. Gerade solche Reaktionen hätten aus all den Tanzenden noch mehr als Statisten machen können. Und manchmal meistert Heavy Rain auch diese stille Lebendigkeit abseits des Hauptpfades: Wer sich mit dem FBI-Ermittler über den ersten Tatorts an den Bahngleisen bewegt, trifft auf sehr natürlich agierende Polizisten.

Trotzdem wirkt die oben beschriebene Situation im Club "Blue Lagoon" wesentlich lebendiger als das, was etwa in Mass Effect 2 in den zwei Bars zu sehen ist. Und das, obwohl beide Spiele theoretisch dieselben Voraussetzungen hatten: Einen Raum mit tanzenden Menschen zu füllen. In Heavy Rain ist die Illusion eines vollen und lauten Hauses wesentlich stärker; auch später auf einer Hausparty kann man im Trubel abtauchen. Ohne zu viel verraten zu wollen: Auch der (natürlich optionale) Sex wirkt hier sinnlicher und natürlicher - für mich ist das eine der besten erotischen Szenen der Videospielgeschichte.

Selbst banale Aktionen wie der Gang auf den Spielplatz tragen zur Atmosphäre eines außergewöhnlichen Spiels bei - Quantic Dream etabliert den interaktiven Thriller für Erwachsene.
Selbst Kleinigkeiten in der Bewegung sorgen dafür, dass die Schauplätze (1080p wird übrigens nicht unterstützt) lebendig wirken - etwa, wenn jemand Unbeteiligtes plötzlich durch das Bild läuft, Schatten an Fenstern vorbei huschen oder irgendwo ein Kind jammert. Man fühlt sich immer in einer authentischen Situation. Heavy Rain wirkt aber vor allem deshalb fantastisch, weil die Kamera den Alltag so hervorragend aus zig Blickwinkeln einfängt und die Perspektive ähnlich wie in 24 auch mal geteilt wird: Mal schleicht die Kamera langsam wie eine Schlange von schräg unten um den Protagonisten, mal entfernt sie sich in erhabene Distanz und wenn es dramatisch wird, passiert auf zwei oder drei geteilten Bildschirmen etwas gleichzeitig, während man sich selbst aktiv bewegt. Es gibt derzeit kein Spiel, das so nah an die Cinematographie eines Films heran kommt - auch wenn das Tearing manchmal etwas stört.

Natürlich kann das langweilig anmuten, wenn man bloß einen Kühlschrank öffnet oder ein Blick auf die Uhr wirft - auch das ist Heavy Rain. Aber die scheinbar banalen Nebensächlichkeiten tragen mit dazu bei, dass man sich in die Rolle vertieft. Und es gibt zahlreiche psychologisch wacklige Situationen, in denen die Lage brenzlig wird: In einem Supermarkt hat man z.B. die Wahl, ob man sich in einen Überfall einmischt oder nicht - man kann sich auch verstecken oder sich an ihn heran schleichen, wenn man denn lautlos bleibt. Greift man ein, hat man wiederum die dynamische Wahl der Ansprache an den Täter, der schon den Kassierer bedroht. Man steht zunächst weit weg, muss die Hände erheben und kann während dessen etwas Aggressives, Professionelles oder Beruhigendes aus den über den Kopf schwirrenden Möglichkeiten wählen. Je nachdem, welche Worte man ausspricht, kann man zur Deeskalation beitragen und dem Mann langsam näher kommen. Aber das Ganze kann auch kippen und plötzlich muss man handgreiflich werden, um nicht selbst niedergeschossen zu werden.    
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Kommentare

Nerix schrieb am
Viel Spaß! Fand es damals auch klasse
Herschfeldt schrieb am
Ab heute soll es endlich auf dem PC erscheinen! Leider tut sich noch nix im Installationsmenü EGS :roll:
Ich habe die Demo gespielt und bin begeistert. Freue mich tierisch das Spiel auf dem PC zu spielen.
Ist eins der von zwei Spielen, die ich wie GTA V erst auf PS3 dann PS4 und jetzt PC spiele.
In der Tat zwei Spiele die für mich sehr viel richtig machen. Ich würde wahrscheinlich auch noch mehr Games doppelt kaufen z.B. Uncharted oder God of War. Wäre schon hübsch auf PC.
Am liebsten sofort auf PC! Aber leider kann ich wie die meisten Menschen nicht warten... Geduld wäre ein Tugend.
DARK-THREAT schrieb am
Heavy Rain soeben beendet, auch noch das bestmögliche Ende für Ethan, seinen Sohn und Madison gesehen. Hätte ich nicht gedacht, dass mir bei dem Spielverlauf es gelingt. Der Origami-Killer ist gestorben und nur der FBI-Agent hat seinen Job hingeschmissen, da ich bei ihm aufgegeben hatte.
Was ein echt genialer, emotionaler Thriller. Gebe dem Spiel 90%... ich freue mich schon auf Beyond 2 Souls.
Nerix schrieb am
Wie ihm manche das Spielerlebnis sofort schlecht reden wollen.... Mir ging es genau wie ihm, viel Spaß dabei! Klasse Spiel.
GamepadPro schrieb am
mieses gameplay im sinne von malen nach zahlen auf 10 stunden gestreckt. stell dich vor spiegel, schrank, oder herd und drücke angezeigte taste für taste und taste für taste. prüfe angezeigte gedankenblasen. Schlägereien als billiges quicktimeEvent inszeniert. rätsel: suche schlüssel oder irgendwas anderes und sprich mit Personen, damit es endlich weitergehen kann; hier gibt es einige varianten.
wenn man das nun als spiel bewertet, kommt Heavy Rain kaum über die 30%. oder soll das ein film sein?
schneiden wir das zu einem film zusammen:
Heavy Rain The Movie (englisch)
https://www.youtube.com/watch?v=k0JFhvugVNI
deutsch
https://www.youtube.com/watch?v=lGZymAHoWJo
sollen die von der tvToday sich das mal anschauen und hier ihre Kritik abgeben.
schrieb am

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