Das Biest im Rücken
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Die ersten zehn Minuten des Abenteuers.
Funken fliegen im Wind, ein Holzsteg krümmt sich, wird mit voller Wucht von der Brandung geküsst und Cole versucht schnell vorwärts zu kommen. Überall Schreie, Blitze und im Hintergrund züngeln Flammen vor dem Schatten eines Riesen, der zwischen Wolkenkratzern wütet. Zerstört diese vulkanische Kreatur gerade Empire City? Als tapferer Superheld übernimmt man die Steuerung und stellt sich dem Ungetüm mit blitzenden Händen. Man weicht aus, teilt aus und fühlt sich sofort mittendrin im Chaos. Aber es reicht nicht, man ist einfach nicht stark genug und muss schließlich fliehen – nach Süden, in die neue Stadt New Marais, die dem realen New Orleans in drei großen Vierteln nachempfunden wurde.
Manchmal kann es helfen, mit einem dramatischen Paukenschlag zu eröffnen: Wer die ersten zehn Minuten von
inFamous 2 spielt, wird im Stile von
God of War unterhalten und bekommt einen Vorgeschmack auf den technischen Fortschritt des Actionspiels. Sucker Punch hat zwei Jahre lang an der Grafikschraube gedreht, um dieses Abenteuer vor allem hinsichtlich der Licht- und Partikeleffekte sowie der Weitsicht heraus zu putzen. Und es gelingt dem Team aus Seattle, sowohl technisch als auch architektonisch mit frischer Kraft zu punkten - auch wenn die Bildwiederholrate in einigen explosiven Situationen schon mal in den Keller kriecht. Man bekommt aber gerade in der ersten Stunde richtig Lust auf die elektrostatischen Ausflüge, wenn man zwischen all dem Rauch und Feuer als rächender Blitz unterwegs ist.
Paukenschlag und Geigenabgang
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Cole McGrath: Vom Fahrradkurier zum Superhelden! |
Aber es gelingt Sucker Punch nicht, den Nachfolger auch spielerisch zu verbessern. Denn nach diesem spektakulären Einstieg schleicht sich Stunde um Stunde neben vielen waffentechnischen Déjà-vus aus Empire City auch eine atmosphärische Ernüchterung ein, bevor man nach fünfzehn bis achtzehn Stunden trotz toller Kulisse ein solides, aber keineswegs begeistertes Resümee zieht. Der technisch unterlegene Vorgänger (
Wertung:84%) hat mir im Ganzen wesentlich besser gefallen. Ja, es gibt auch immer wieder grell brutzelnde Highlights und spektakuläre Zerstörungen, aber schon die Ausgangslage der Story und die spätere Inszenierung der Gespräche dämpfen den Optimismus. Worum geht es? Da draußen ist ein riesiges Monster, es heißt „Das Biest“, wütet in Empire City, aber kommt immer näher. Cole muss nach Süden fliehen und Batterie-Kerne finden, damit er es irgendwann besiegen kann. Also versucht man Elektro-Rocky zu werden, um Flammen-Drago im Finale eins zu verpassen.
Okay, geschenkt, denn die platte Story knüpft immerhin nahtlos an die Geschehnisse des Vorgängers an. Ist ja auch ein Superheldenspiel, zumal man als alter Hase seine Spielstände importieren und direkt weiter machen kann – sehr schön. Dieser Übergang ist genauso lobenswert wie das offene Ende, allerdings krankt das Abenteuer spätestens in der Mitte an seinen schwachen Sidekicks, Sprechern und Dialogen. So beeindruckend die urigen Stadtviertel mitunter aussehen, so schlecht wirken die Charaktere - zu oft spukt einem ein "billig" durch den Kopf. Selbst im englischen Original hört sich Cole seltsam fade an, in der qualitativ noch tiefer rauschenden deutschen Version gesellen sich lustlos gesprochene Nebencharaktere mit schweren Mimikproblemen hinzu; lippensynchron oder charismatisch ist fast gar nichts – und Zeke hat als einziger Partner so schwere Probleme mit dem Witz, dass ein Wiedersehen mit ihm zu Beginn der Storymissionen kaum Freude macht. Das kann er zwar später etwas ausgleichen, wenn es zwischen den beiden Kumpeln kriselt, aber im Vergleich zur Charakterinszenierung in
Enslaved oder
Uncharted ist das ein schauspielerischer Klassenunterschied.