Die Tragik zwischen Joel und Ellie
Zwar muss man
The Last of Us nicht zwingend gespielt haben, weil die Story all das stückweise in Erinnerung bringt, aber ich kann es nur wärmstens empfehlen, denn ohne diese Erlebnisse wird man vielleicht nicht nachvollziehen, wie stark, aber auch kompliziert die Bindung der beiden ist. Die Gewaltszenen waren für mich jedenfalls weniger bedrückend als die Tragik zwischen diesen beiden, die schon im ersten Teil zu einer emotionalen Kälte führen konnte, die mich - verstärkt durch die eindringlichen Gitarrenklänge von Gustavo Santaolalla - tief berührte. Okay, ich bin Vater, hab Töchter, kann Joel vielleicht besonders gut verstehen. Und ja, diesmal habe ich eine oder zwei Tränen verdrückt...
Apropos Musik: Die Kompositionen diesmal? Wunderbar, Crooked Still und andere ergänzen Santaolalla sehr gut. Akustisch und musikalisch wird diese Rache-Geschichte, in der es an der Oberfläche ja nur um Hass und Vergeltung geht, sehr gut mit ruhigen, melodischen Klängen verstärkt. Darunter verbergen sich ja unterschiedliche Schicksale, Motive und die Frage des Gewissens: Wie weit würde man für seine Freunde und Familie gehen? Was tut man seinen Feinden an? Kann man noch in den Spiegel schauen, wenn man selbst zum Killer wird? Zerstört die Rachlust letztlich die Menschlichkeit - und die Fähigkeit zu lieben? Oder um Nietzsche zu zitieren: "Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein." Dieses The Last of Us 2 wird euch sehr tief in die Augen blicken - und ihr werdet euch verdammt nochmal erschrecken.
Apokalyptische Idylle on Jackson
In den überfluteten Arealen kann man auch tauchen: Es gibt zig Wege zum Ziel.
Aber die Regie schmeißt euch nicht sofort in diese wilde emotionale Achterbahnfahrt - sie lässt sich Zeit dabei, damit euch erst langsam flau im Magen wird. Dabei beleuchtet sie neue Beziehungen mit anderen Konflikten und findet die so wichtige Balance aus Stress und Entspannung, aus Terror und Erkundung. Zu Beginn wirkt die Welt friedlich, fast schon idyllisch - und es gibt auch später viele wunderschöne Momente. Das ist kein Spiel, das einen komplett runterzieht. Wenn man die Holzpalisaden von Jackson sieht, fühlt man sich ein wenig an den Einstieg von
Red Dead Redemption 2 erinnert, zumal sich Ellie in ihrem Tagebuch ähnlich Notizen macht und Tiere sowie Landschaften zeichnet wie Arthur Morgan. Auch dieses apokalyptische Amerika ist letztlich ein Wilder Westen.
In dieser geschützten Siedlung wohnen Joel und Ellie, die mittlerweile 19 Jahre alt ist. Es gibt in Jackson Strom, Geschäfte, eine Bar, Gärten, einen Stall und einen Alltag, an dem man ein wenig teilnehmen kann - inklusive Schneeballschlacht mit den Kids. All das sieht so klasse aus (mal darauf achten, wie tapsig das Kleinkind den Vater aus der Kita zieht!), dass ich mich über die vielen Klonfiguren in Version 1.01 wunderte: Eine Brünette mit kariertem blauen Hemd taucht sogar an die sechs, sieben Mal auf, sogar als Zwilling in der Bar. Ein Typ mit Kappe dreimal etc. Ich habe im Vorfeld bei Naughty Dog nachgefragt: Es kommen bis zum Release noch Patches, die das sowie einige Bugs (ich hatte eine Stelle mit einem schweren Grafikfehler bei Seilbenutzung sowie einen Absturz) beheben sollen. Das ist natürlich kein großer Kritikpunkt, aber angesichts der sonstigen Akribie ärgerlich. Und der Patch von gestern Abend (11. Juni) auf Version 1,02 hat die Klone leider nicht verschwinden lassen...
Der Kuss wird zum Aufreger
Ellies Beziehung zu Joel und die frische Liebe zu Dina werden thematisiert,
Auch in Jackson herrscht kein Friede, Freude, Eierkuchen, denn die lesbische Beziehung zwischen Ellie und Dina bzw. ihr Kuss auf einer Party sorgt bei jemandem für Ablehnung: Bitte nicht vor den Kindern! Wie bitte? Und dann noch zickig werden! Aber es geht in diesem Abenteuer nicht um einen besonderen Fokus auf LGBT, um irgendeine künstliche Fixierung, zumal alle anderen Beziehungen heterosexuell sind - es geht um ganz "normale" menschliche Konflikte. Übrigens wird die noch frische Beziehung zwischen den Frauen glaubwürdig und nachvollziehbar dargestellt - da habe ich mir extra weiblichen Rat geholt. Mimik und Gestik werden hier ja fast auf Filmniveau eingesetzt. Es gibt auch eine unheimlich starke Szene mit Joel, in der man die tiefe Traurigkeit, dieses Ringen um Fassung in seinen Blicken erkennt und emotional nachempfinden kann.
Abseits der Action warten in den 35 Stunden (ich habe allerdings fast jede Ecke durchstöbert) immer wieder Ruhephasen, darunter auch tolle Rückblicke, teilweise bis in die Jugend, damit man Beziehungen verstehen und Identifikation aufbauen kann. Während man u.a. durch verblüffend detailgetreu gebaute Museen spaziert, können sich Charaktere, die man vielleicht für Helden oder Arschlöcher hält, die man reflexartig in eine Schublade packt, ähnlich entwickeln wie in manchen TV-Serien. Das gilt auch für Fraktionen, denn Naughty Dog spielt über Graffiti, Texte und Symbole mit politischen oder religiösen Feindbildern, lädt einen quasi zur Vorverurteilung ein, nur um dann Stunden später zumindest einen anderen Blickwinkel zu öffnen. Das heißt aber nicht, dass sie Gleichmacherei betreiben oder alle über einen Kamm scheren. Die Unterschiede werden immer noch sichtbar.