Vernunft gegen Besessenheit
Das Spiel beginnt genau an jener tragischen Stelle, als die 80 Samurai am Komoda-Strand in den Tod reiten: Man übernimmt Jin Sakai auf seinem galoppierenden Pferd, der zwar mit seinem Onkel, Fürst Shimura, noch einige Mongolen töten kann, doch dann von Pfeilen getroffen fällt. Aber er hat Glück, denn er wird von einer FRau namens Yuna schwer verwundet gefunden. Als Gegenleistung für ihre Hilfe soll er ihren Bruder, einen Schmied, vor den Mongolen retten. Aber Jin hat nur eines im Sinn: Erst seinen Onkel und dann ganz Tsushima befreien!
Yuna schlägt sich als Diebin durch, kann selbst kämpfen und sorgt für einen vernünftigen Gegenpol zum allzu heroischen Jin und seiner Besessenheit, wie ein ehrenhafter Samurai zu handeln. Auch wenn seine Haltung aus moderner Sicht töricht wirken mag, bleibt Sucker Punch damit dem überlieferten Zeitgeist samt der Vorstellung von Ehre angenehm treu. Warum Jin dem Ideal des Bushido, dem Weg des Kriegers, derart selbstmörderisch folgen will, verdeutlichen schöne Rückblicke in seine Kindheit, die auch seine Unsicherheit zeigen.
In schönen spielbaren Rückblicken erfährt man etwas über Jins Jugend.
Es sind vor allem Schuldgefühle, die ihn antreiben, denn er konnte den Tod seines Vaters nicht verhindern. Er fühlt sich schwach, nicht wie ein Samurai. Gerade als Fürstensohn lastet das schwer auf ihm: Sein Gang hin zum Grab wirkt zwar idyllisch, aber alle Augen der Familie ruhen auf ihm. In dieser wunderbaren Szene zeigt ein Spiel quasi im Vorbeigehen nicht nur die beruhigende Weisheit, die in der Beseeltheit der Dinge und Natur liegen kann, sondern auch den sozialen Druck der Ehre. In den Blicken der Trauerenden liegt auch die Erwartung, sie aufrecht zu erhalten.
Unterdrückte Schönheit
Die Beerdigung des Vaters gehört zu den stimmungsvollen Szenen des Einstiegs.
Aber Jin wirkt zu Beginn wie ein übereifriger und überaus dummer Mann, der nicht etwa – wie die clevere Yuna es empfiehlt - zur Festung der Mongolen schleicht, um seinen Onkel zu befreien, sondern tatsächlich zum Haupttor geht und Zweikämpfe sucht. Zwar kann er einige Mongolen töten und sogar den Khan auf sich aufmerksam machen, aber dann muss er gegen den überlegenen Feind Lehrgeld zahlen. Erst als er dem Tod nach einem Sturz ein zweites Mal knapp entrinnt, schmiedet er einen besseren Plan samt hinterhältiger Taktiken sowie wichtiger Verbündeter. Hier erkennt er, dass er einigen Idealen des Bushido sowie Lektionen des Onkels zuwider handeln muss. Und erst hier, nach diesem stimmungsvollen Prolog, öffnet sich das Abenteuer.
Was für eine Landschaft!
Als sich die Landschaft das erste Mal zeigt, hat mich ihre Schönheit einfach nur verblüfft. Ich wusste ja von den Trailern, dass Ghost of Tsushima malerisch inszeniert wird. Aber wenn man selber die Kamera drehen und durch dieses Land wandern oder reiten kann, ist die Wirkung viel intensiver. Es ist eindrucksvoll, wenn der Wind durch die Gräser jagt, wenn sich tausende weiße Blüten von Chinaschilf im Sonnenlicht wiegen und Nebelfetzen über Wiesen wabern. Es gibt verwunschene Täler in einem Meer aus lila Blumen, Sturm umtoste Steilklippen und goldene Wälder mit riesigen Ginko-Bäumen. Selbst nach 30 Stunden hatte ich mich nicht sattgesehen und musste immer wieder den Fotomodus aktivieren. Wenn diese 700 Quadratkilometer große pazifische Insel tatsächlich so aussieht und so viel Abwechslung bietet, muss ich da mal hin...