H.P. Lovecraft am Tisch
Wir hatten immer sehr viel Spaß am Tisch, wenn wir zusammen zwischen Mord, Ritualen und Wahnsinn ermittelt und uns den Großen Alten gestellt haben. Ich habe das kooperative Brettspiel
Arkham Horror im Jahr 2010 hier vorgestellt, es folgten das mit seinen Rätseln noch kreativere, für dieses Videospiel als Vorbild dienende
Villen des Wahnsinns, das strategischer konzipierte
Eldritch Horror sowie der opulente Tabletop-Krieg in
Cthulhu Wars. Das Thema H.P. Lovecraft war schon immer reizvoll für mich, es gibt sogar eine Einführung in den
Cthulhu-Mythos sowie eine kurze
Geschichte seines Lebens in unserem Archiv.
Arkham Horror: Mothers Embrace beruht auf dem Brettspiel Arkham Horror und bietet deutsche Texte und englische Sprachausgabe.
Warum erzähle ich das? Weil man dann vielleicht besser nachvollziehen kann, warum es mich so ärgert, dass man schon wieder ein Spiel in den Sand gesetzt hat - und ich Idiot so neugierig wurde, dass ich
Arkham Horror: Mothers Embrace eine Chance geben musste. Dabei wollte ich nach den letzten enttäuschenden digitalen Abenteuern, nämlich
Call of Cthulhu (2018, Wertung: 60%) sowie
The Sinking City (2019, Wertung: 59%) nichts mehr von Azatoth & Co auf dem Bildschirm sehen - den besten Ansatz hatte noch das über fünfzehn Jahre alte
Call of Cthulhu: Dark Corners of the Earth (2005, Wertung: 64%). Aber wenn ein bekanntes Brettspiel digitalisiert wird, das man in guter Erinnerung hat, wird man schonmal schwach...
Brettspiel ist nicht Videospiel
...und machte es sich gemütlich vor dem Bildschirm. Doch kaum hat man das Licht gedimmt und das Abenteuer gestartet, entfaltet sich der digitale Schrecken, der weit unter das Niveau der oben genannten Titel sinkt. Schon in den ersten holprigen Dialogen und brüchigen Szenen flüchtet jeglicher Hauch von Stimmung in den Keller - da klammert er sich dann zitternd an die schöne Box von
Villen des Wahnsinns. Asmodee Digital hat leider den großen Fehler gemacht, aus den Vorlagen eine Art filmisches Erlebnis mit direkter Steuerung der Charaktere machen zu wollen. Man hat also nicht werktreu designt wie bei
Elder Sign: Omens, es gibt ja nicht mal einen kooperativen Modus (!), sondern wollte ein großes Adventure für Solisten inszenieren. Also begibt man sich in den Ring der Vergleichbarkeit mit all den etablierten Abenteuern und Standards.
Erstmal eine Vase zusammen basteln, um zu erfahren, dass man eine Vase zusammen gebastelt hat...
An dieser Aufgabe scheitert das französische Team von Artefacts Studio komplett. Es entsteht keinerlei Knistern, Spannung oder gar dichte Atmosphäre. Dass es bei so einem Spiel schon im Hauptmenü Rechtschreibfehler in der deutschen Version gibt, ist bereits ein böses Omen. Aber danach stolziert man steif durch hoffnungslos veraltete Kulissen, an statischen Figuren vorbei, muss Clippings, Bewegungsfehler, grobe Texturen und schlechte englische Sprecher sowie ganz schlimme Texte ertragen. Die Erkenntnis, dass man in einer Aufgabe die Teile der zersplitterten Vase zusammensetzt ist jene, dass es sich wohl um eine zersplitterte Vase handelt, die von dem kleinen Tisch gefallen ist...autsch! Bullshit-Bingo deluxe statt Nervenkitzel und Ahnungen. Selbst die Steuerung zickt: Findet man etwas, muss man es umständich ins Inventar fummeln.
Zum Wegrennen schrecklich
Blaue Punkte zeigen Interaktionsmöglichkeiten.
Als der FBI-Agent auftaucht und redet, fühlt man sich schließlich wie in einem billigen Trash-Film. Was zur Hölle redet der? Es gibt lediglich künstlich wirkende Dialoge und Szenen, dazu statische Mimik und Gestik, es ruckelt sporadisch, die Kamera ist zu nah dran und wenn man "sprintet" fühlt sich das immer noch an wie Spazieren - man kann also nicht mal durch die statische Kulisse spurten, um vor all dem wegzurennen! Normalerweise grase ich selbst in mittelprächtigen Abenteuern gerne alles ab, erkunde die Umgebung, aber das ist mir hier spätestens in der Universität vergangen. Dazu gibt es ja nervige Ladephasen und seltsame Grafikfehler beim Betreten von Zimmern, während man in Fluren und Räumen blaue Symbole abarbeitet und plötzlich in schlimm vereinfachte Rundenkämpfe gegen Kultisten verwickelt wird! Die sehen alle aus, als wären sie aus einem Klonlabor des Horrorkitsches geflohen. Panik? Angst? Wenigstens Respekt? Alles Fehlanzeige. Die Regie und Inszenierung sind vor allem dann eine Katastrophe, wenn man daran denkt, wie viel Spaß und Stimmung man am Tisch mit diesem Spiel hatte.
Das Item- und Inventarmanagement ist unnötig fummelig.
Zwar beruht einiges auf den bekannten Hintergründen, Regeln sowie Mechanismen wie Aktionspunkten, die ja auch dort zum Einsatz kamen: Die Charaktere, von denen bis zu drei unterwegs sind, haben neben Lebenspunkte auch einen Verstand. Begegnen sie Gefahren oder entscheiden sich für das Falsche in Multiple-Choice-Situationen, sinkt dieser und sie können wahnsinning werden. Außerdem unterliegen sie alle dem wachsenden Horror, der über die Mythos-Anzeige dargestellt wird. Sie sammeln Munition, Hinweise, Waffen und je nach Zusammensetzung der Gruppe sind manche Aufgaben leichter oder schwerer. Aber selbst beim Kampfsystem hat man sich ja gegen Würfelproben und für eine 08/15-Variante entschieden. Macht einen großen Bogen um dieses Spiel und schaut euch eines dieser Brettspiele an:
Villen des WahnsinnsArkham HorrorEldritch HorrorCthulhu Wars