Von der Gejagten zur Jägerin
Ellie muss ähnlich wie ein Sam Fisher oder Solid Snake geduldig sein, abwarten und sich eine Taktik überlegen, während ihre Häscher manchmal nur wenige Meter entfernt sind. Aber die 19-jährige ist keine leichte Beute, sie kann den Spieß umdrehen: Sie hat schon so viel erlebt, so viel Schreckliches gesehen und ist mittlerweile nicht nur vom Teenager zur toughen Erwachsenen gereift, sondern auch mit vielen Waffen trainiert, die sie alle modifizieren kann; hinzu kommen Fähigkeiten wie Überleben, Tarnung oder Präzision, die man im Laufe des Spiels in linearen Talentbäumen weiter entwickeln kann. Auch wenn sie schmächtig wirkt, ist sie sehr agil, kann über L1 flink im Nahkampf ausweichen und was noch viel wichtiger ist: Sie hat selbst einen Killerinstinkt entwickelt. Und sie kennt im Kampf keine Skrupel.
Aus dem Liegen heraus kann Ellie noch feuern.
Man fühlt sich fast wie im Dschungel eines Metal Gear Solid, wenn man im Unterholz lauert, Patrouillen beobachtet und mit Flaschenwürfen oder Rauchbomben für Ablenkung sorgt, wenn man selbst mit dem Bogen schießt oder Sprengfallen legt - die Kulisse erreicht dabei allerhöchstes Niveau, was Spiegelungen, Verwehungen, Nässe, Rauch oder andere Partikelelffekte angeht. Und wer die Pferde in
Red Dead Redemption 2 cool fand, sollte sich diese Rösser mal genauer ansehen - die wirken nochmal realistischer. Man kann übrigens einen von fünf Schwierigkeitsgraden jederzeit festlegen und sogar einzelne Bereiche wie Gegner oder Tarnung noch kniffliger gestalten; mehr dazu im Test, aber "normal" wirkt jetzt anspruchvoller.
Denn selbst wenn Ellie als Killermaschine natürlich stark überzeichnet wird, muss sie unheimlich aufpassen, im Idealfall mit einem Wurf ins Gesicht erstmal Feinde irritieren, besser noch leise töten und im Zweifel einfach fliehen oder umgehen. Es gibt zudem einige sehr gelungene Horror-Momente, vor allem in den labyrinthischen Gebäuden, in denen man die Beine auch deshalb gerne in die Hand nimmt, weil da groteske Kreaturen im Dunkeln lauern, die einem trotz Schrotflinte und Molotow-Cocktail so richtig Angst einjagen können. Der Regie gelingt es nicht nur, die Spannung über subtile Reize von der bizarren Schmiererei an der Wand über seltsame Geräusche langsam aufzubauen. Sie sorgt auch immer für wichtige Ruhephasen, in denen man deutlich akrobatischer als im ersten Teil die angenehm verwinkelten Schauplätze erkunden, kleinere physikalische oder mathematische Rätsel lösen und Geheimnisse entdecken kann.
Die Fratze der Gewalt
Im Nahkampf geht es zur Sache: Aber Ellie kann per L1 flink ausweichen.
Aber so elegant man auch schleichen und täuschen kann: Die Fratze der Gewalt lässt nicht lange auf sich warten. Wenn sich Ellie von hinten nähert und auf Knopfdruck töten will, sieht man keinen sauberen Schnitt, sondern ein Anspringen, Niederringen und Abstechen, das all die Anstrengung hinter dem Töten visualisiert. Naughty Dog hält die Kamera voll drauf: Egal ob sich Hunde im Gesicht verbeißen, Verbrannte kreischen, Angeschossene wimmern oder Köpfe nach einem Tritt platzen. Auch der Nahkampf erreicht eine Intensität, die an Condemned erinnert. All das wird erbarmunglos dargestellt, unterstreicht die gnadenlose Realität in einem apokalyptischen Amerika und dürfte bei einigen Spielern für Unwohlsein sorgen - genau das ist das Ziel der Regie.
Noch sind viele Fragen offen, auch die Wirkung der Gewalt im Kontext der Story kann erst final eingeordnet werden.
Mit seinen zombiesk Infizierten, seinen grässlich mutierten Kreaturen und skrupellosen Menschen teilt dieses Abenteuer die brutale DNA mit TV-Serien wie The Walking Dead von Robert Kirkman. In The Last of Us wurde man Zeuge, wie die Zivilisation versank und ein Pilz die meisten Menschen tötete oder in Mutanten verwandelte. In diesem Nachfolger geht es zwar an der Oberfläche schlicht um Rache: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Aber darunter geht es darum, was aus der Menschheit geworden ist: Gibt es so etwas wie Gut und Böse überhaupt noch? Oder sind nicht alle gleich brutal? Rechtfertigt der Zweck alle Mittel? Es gibt reichlich leise Töne und einige klasse Momente zum Reflektieren über diese Gewalt. Dazu tragen markant dargestellte Charaktere und glaubwürdige Beziehungen bei, die weit weg von üblichen Klischee-Figuren für eine authentische Atmosphäre sorgen.