Auf Schusters Rappen ins Land der Toten
Keine Angst, wir besprechen Trek to Yomi möglichst spoilerfrei, kommen aber nicht umhin, auf ein paar Aspekte der Spielwelt und Geschichte näher einzugehen: Yomi bezeichnet in der Shinto-Mythologie das Reich der Toten, der "Trek to Yomi" ist demnach ein Marsch in die Gefilde des Jenseits. Diese Reise beginnt im Japan der Edo-Zeit und behandelt zunächst Ereignisse aus der Jugend des Protagonisten Hiroki. Später treffen wir ihn als erwachsenen Mann wieder, der nicht nur Grausamkeit des Krieges ins Antlitz blickt, sondern auch einen Abstecher in die Geisterwelt wagen muss, wo er es mit dämonischen Widersachern zu tun bekommt.
Und alle Kämpfe so: Von rechts kommen Feinde, deren Attacken man easy wegblockt und sie dann mit ein paar Hieben niederstreckt.
Buchstäblich ins Auge sticht der ungewöhnliche Look des Spiels: Trek to Yomi ist nicht gepixelt oder gezeichnet, sondern in handelsüblichem 3D modelliert – trotzdem ruft es laut „Seht mich an, ich bin ein Indie-Juwel“. Dafür verantwortlich sind Superbreitbild-Format, Schwarz-Weiß-Bild und fixe Kameraperspektiven von der ersten bis zur letzten Sekunde. Wie sich Trek to Yomi dem Betrachter präsentiert, ist perfekt durchorchestriert – jede Einstellung, jeder Kamerawinkel ist exakt so, wie sich die Macher das vorgestellt haben. Das sorgt für außergewöhnlich schöne Landschaftspanoramen, erlaubt intime Blicke auf Details und spielt ganz wunderbar mit Tiefenschärfe und Größenverhältnissen. Mal füllt mein Charakter höhenmäßig den kompletten Bildschirm aus, weil er sich gerade durch einen Felsspalt zwängt oder einen Hausaltar innerhalb eines Gebäudes untersucht, an anderer Stelle ist er nur eine Miniatur, die durchs Reisfeld marschiert, oder wird halb verdeckt von der Vegetation, die absichtlich ins Bild ragt.
Tolle Weitsicht, Rauchfahnen am Horizont: Die Panoramen in Trek to Yomi sind irre gut.
Wer
Ghost of Tsushima im optionalen Schwarz-Weiß-Modus gespielt hat, die Atmosphäre der
Way of the Samurai-Spiele schätzt oder generell eine Schwäche für das Japan der Edo-Zeit hat, der muss Trek to Yomi spielen. So famos wurde die Ästhetik des Akira-Kurosawa-Filmklassikers Die Sieben Samurai selten ins Spieleformat übertragen. Auch jenseits visueller Aspekte wird eine sehr klassische Samurai-Geschichte erzählt: Es geht um die Ermordung eines alten Meisters, um Rache für gefallene Freunde und Verwandte, um Kämpfe auf Leben und Tod. Obwohl man sich während des Spielens ständig über die einfallsreichen Kamerawinkel und die tolle Präsentation freut, ist der allgemeine Tenor ein sehr düsterer: Überall im Land liegen sterbende oder tote Menschen, Trauernde beklagen ihr Leid zwischen noch qualmenden Ruinen. Andernorts schreiten wir durch Tore, von denen aufgehängte Zivilisten baumeln, während eine im Lager wütende Feuersbrunst die Nacht erhellt. Schmerz und Tod sind vor allem in der ersten Spielhälfte allgegenwärtig, im weiteren Verlauf gesellen sich übernatürliche, traumgleiche Elemente dazu, wenn Hiroki das Land der Toten besucht. Zum Horrorspiel verkommt Trek to Yomi dabei nie, das Prädikat „unheimlich“ hat es sich aber verdient.
Blocken, Kontern, Zustechen
Tod und Gräuel säumen den Way of the Samurai. Der Wunsch nach Rache treibt die Hauptfigur an.
So viele Worte und nix über den spielerischen Gehalt gesagt? Das könnte daran liegen, dass Trek to Yomi in dieser Hinsicht nicht viel zu bieten hat. Zwar sind Kämpfe der Hauptbestandteil des Spiels, doch ihre repetitive Struktur lässt sie banal wirken. Das 2D-Kampfsystem – in vielen Szenen dürft ihr zwar in die Tiefe laufen, doch alle Fights finden auf einer Ebene statt – bietet mit zweierlei Hieben, Ausweichrolle, einer Reihe einfacher Kombos, Block- und Parier-Mechanik sowie dreierlei Fernwaffen genug Optionen. Doch zum einen fühlt sich das Timing nie so präzise an, wie man es gerne hätte, zum anderen sind die Angriffsmuster der Feinde gleichförmig und langweilig. Als Taktik reicht: Blocken, Zurückweichen, schnelle Katana-Hiebe. Und das hunderte Male. Nach jeweils zwei, drei, vielleicht mal vier Feindgruppen kommt ein Speicherpunkt am Wegesrand, der eure Energieleiste füllt. Das ist rasch verstanden und Frust entsteht nie, doch die Struktur ist so einfallslos, dass ich wirklich erstaunt war, wie konsequent bzw. dreist die Entwickler das durchziehen. Ich an ihrer Stelle hätte mir große Sorgen gemacht, die Spieler damit zu langweilen.
Die diffuse Beleuchtung in den Innenbereichen ist besonders stimmungsvoll.
Trotz der fixen Kameraperspektiven, die an Capcom-Klassiker wie
Resident Evil oder
Onimusha erinnern, habe ich mich fast nie in der Laufrichtung vertan. Ihr kennt das von früher: Man läuft in den Bildschirm hinein, dann springt die Kamera zum nächsten Punkt und prompt dirigiert man die eigene Spielfigur in eine ungewollte Richtung. Trek to Yomi vermeidet das erstaunlich geschickt – und wenn es doch mal passiert, wird man vielleicht sogar belohnt. Denn dieses Spiel versteht es meisterlich, tote Winkel zu nutzen, die sich so wunderbar für Collectibles eignen. Das kennen Spieler der alten
God of War-Episoden: Wie oft fand man eine klug verborgene Schatztruhe, wenn man ein bisschen um die Ecke dachte! Trek to Yomi ist ähnlich gut darin, viele der kleinen Sammlerstücke (die man sich im Menü leider nicht gezoomt anschauen darf) gekonnt zu verstecken; auch Zusatzmunition oder Nahrung entdeckt nur, wer neugierig in alle Richtungen linst. Eine Warnung von mir: Könnt ihr es auf den Tod nicht ausstehen, wenn ihr nicht wisst, welcher Pfad der mit dem Sammelgegenstand ist und welcher der, wo das Level weitergeht? Dann zieht euch warm an, ich habe an Abzweigungen viele Male einen Weg genommen, wo dann eine Brücke zerbrach oder Hiroki einen Abhang heruntersprang – in solchen Fällen werde ich wohl nie erfahren, welche Belohnung hinter der anderen Ecke gewartet hätte.
Eine von drei Fernkampfoptionen: Bogen spannen, Pfeil abschießen. Kommt leider ohne DualSense-Feedback aus und vermittelt kein gutes Spielgefühl.
Wer glaubt, Trek to Yomi wäre das Werk eines japanischen Entwicklerstudios – schließlich ist das Edo-Samurai-Thema so gekonnt umgesetzt und die Sprachausgabe nur in feinstem Japanisch –, der irrt. Das Spiel ist eine Koproduktion des italienischen Spielemachers Leonard Menchiari (zuletzt verantwortlich für den Retro-Bluff
The Eternal Castle Remastered) mit dem polnischen Studio Flying Wild Hog, bekannt für seine
Shadow Warrior-Reihe. Wie es Menchiari und Flying Wild Hog gelang, dem Spiel so viel Fernost-Esprit und Authentizität einzuhauchen? Zum Beispiel durch die passende Musik: „Die basiert auf historischem Material aus bestimmten Regionen Japans und ist von der Atmosphäre und den Gefühlen inspiriert, die wir erzeugen wollten. Einige der Instrumente, die bei den Aufnahmen zum Einsatz kamen, sind extrem selten und die Tonleitern entsprechen der Zeit, bevor die Kultur verwestlicht wurde.“ Solche und weitere Einblicke gewährte Menchiari in zwei Posts auf dem offiziellen PlayStation Blog (
hier &
dort). Bei den Kollegen von
Gamingbolt verriet Game Director Marcin Kryszpin von Flying Wild Hog außerdem, dass man Aki Tabei Matsunaga, einen Historiker mit dem Spezialgebiet Edo-Zeit, als Berater für Trek to Yomi engagiert habe.