Brettspiel-Test: Magic: The Gathering (Sammelkartenspiel / Living Card Game)

von Jörg Luibl



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Der Minecraft-Effekt

Alleine das prominente Thema der Fantasy und etwas Rollenspielflair hätten natürlich nicht ausgreicht, um Magic so durchstarten zu lassen. Hinzu kommt noch etwas ganz Wichtiges, das heutzutage vielleicht gewöhnlich scheint: Man kann aber rückblickend fast von einem Minecraft-Effekt sprechen, den Magic vor 25 Jahren im analogen Bereich vorweggenommen hat. Denn ganz entscheidend für den Erfolg war natürlich der Reiz des langfristigen Bauens und Sammelns, des Tüftelns und Bastelns.

Es gibt ja fünf Sorten von Mana mit unterschiedlichen Stärken, so dass man sich wie in einer Magieschule mit seinen Decks
Das Deck zum Nachziehen und der Friedhof für abgelegte Karten.
Das Deck zum Nachziehen und der Friedhof für abgelegte Karten. Wie man spielt? Erklärt Eike im Video-Guide.
auf ein oder mehr Elemente sowie Taktiken spezialisieren kann - man hat ständig etwas zu tun, betreibt immer Feintuning. Im Gegensatz zu klassischen Kartenspielen entsteht über Zusatzkarten sowie Themenboxen eine Art von Leben. Und man kann sich immer wieder aufs Neue mit seinem Deck beschäftigen. Aber warum macht das Experimentieren mit immer neuen Kombinationen so viel Laune?

Aufbautaktik und Duellcharakter

Der eigentliche Spielspaß schlummert zunächst in der ebenso evolutionären wie kombinatorischen Struktur: Man kann sich nicht sofort Feuerbälle um die Ohren hauen oder
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Zauber und Gegenzauber: Es gibt klassische Konter, die auch in mehreren Stufen hintereinander wirken könnte.
große Bestien freilassen, sondern muss erst Länderkarten auslegen, um daraus Mana zu gewinnen, so dass man damit seine Beschwörungen bezahlen kann - das ist simpel und logisch. So baut man quasi langsam sein kleines arkanes Reich mit Wäldern, Gebirgen, Wüsten sowie Helden und Kreaturen auf, während ein immer stärkerer Schlagabtausch aus Angriffen und Blocks entbrennt, bis einer der beiden Zauberer mit null Lebenspunkten besiegt wird - je nach Zugglück kann das Feuerwerk in ein paar Minuten vorbei sein oder in ein spannendes Duell münden, bei dem es auf jede Karte ankommt.

Man muss zwar eigentlich "nur" eine gute Mischung aus Ländern, Zaubern, Artfefakten und Kreaturen finden. Aber genau da bieten sich bis heute zig Möglichkeiten. Wie will man spielen? Mit kleinen Nadelstichen oder großen Brechern? Mit subtilen Diebstählen, brachialen Mutationen oder effizienten Kombinationen? Und genau da hilft auch die ebenso simple wie starke Farben- und Symbolsprache mit Weiß (Sonne), Schwarz (Schädel), Rot (Flamme), Blau (Tropfen) und Grün (Baum). Sie wird durch ihre plausiblen Charakteristika mit den nachvollziehbaren Wirkungsketten nochmal verstärkt: Rot = Feuer = aggressiv = eher viel Schaden; Weiß = Licht = defensiv = eher viel Heilung und so weiter. Auch ohne Studium eines komplexen arkanen Regelwerks ergeben sich ganz natürliche Assoziationsketten, mit denen jeder etwas anfangen kann. Man kann quasi ganz simpel mit Wasser auf Feuer antworten, aber genau das bis in die letzte Karte seines Decks auch im spielerischen Detail verankern, so dass Farbe und Taktik eine gewisse Symbiose eingehen.

Kartentext schlägt Regelwerk.
Die goldene Regel: Der Kartentext hat immer Vorrang.
Hinzu kommen schon im Jahr 1993 spielmechanische Feinheiten, die bis heute nahezu alle Varianten dieses Genre prägen: Karten werden bei Gebrauch erschöpft, indem man sie "tappt", also um 90 Grad dreht - sie müssen also im effizienten Wechsel eingesetzt werden. Außerdem sorgt die geniale goldene Regel dafür, dass man mit jeder neuen Karte für Überraschung sorgen kann - denn der Kartentext schlägt den Regeltext. Sprich: Jede neue Edition ist offen für neue Regeln, Kombos & Co. Und das sorgt auch für taktische Varianten, die weit über Schere, Stein, Papier oder simple Manöver wie Flieger gegen Fußtruppen oder Konterzauber hinausgehen. Mittlerweile gibt es komplexe Themendecks mit Kettenreaktionen oder aufbauenden Effekten, die z.B. das Wesen der Vampire oder Zombies, der Drachen oder Katzen in irgendeiner Form mehr oder weniger charakteristisch abbilden.

Was gefällt nicht so gut?

Ein Spiel in der Endphase. Schräg liegende Karten sind "getappt", also schon gebraucht.
Ein Spiel in der Endphase. Schräg liegende Karten sind "getappt", also schon gebraucht.
Trotzdem habe ich Magic nach der anfänglichen Begeisterung auch über Jahre hinweg nicht gespielt. Denn irgendwann wurde es einfach zu viel mit den neuen Karten - statt Klasse begegnet man in Magic auch Masse. Manchmal lässt die Druckqualität zu wünschen übrig, einige Motive und Sprüche wiederholen sich in leicht abgewandelter Form, manche Karten oder auch Regeln sind einfach nicht gut designt und die Veröffentlichungspolitik gleicht einem ermüdenden Dauerfeuer. Bis heute erscheinen quasi jedes Jahr mehrere "Blöcke" mit bis zu drei Untersets, so dass es mittlerweile über 14000 Karten gibt. Hinzu kamen über die Jahre einige digitale Ableger auf diversen Systemen und mittlerweile gibt es auch Spielvariante für bis zu sechs Personen (Commander) oder Brettspielhybriden wie "Entdecker von Ixalon" mit auslegbaren Geländeteilen.

Aus Sammelspaß kann auch Sammelsucht werden; und damit ein finanzielles Problem. Wer wirklich alle Karten einer Edition besitzen will, kann dafür ja keinen festen Preis bezahlen, sondern muss auf gut Glück immer wieder zuschlagen und tauschen, weil die so genannten "Booster" nur eine zufällig zusammen gesetzte Zahl an Karten beinhalten. Und wer sich als Profi auf Turnieren beweisen will, braucht einige seltene Karten doppelt, dreifach oder vierfach. Außerdem darf man auf offiziellen Turnieren in bestimmten Spielmodi nicht mit ganz alten Editionen antreten, sondern lediglich mit aktuellen, so dass man stets zum Nachkaufen gezwungen wird.

Allerdings darf man nicht vergessen, dass auch genau diese Ungewissheit neuer Karten ein Teil der Unterhaltung ist - schließlich entsteht auch bei der Öffnung eine gewisse Spannung. Nur kann Magic trotz seiner vielen Facetten sehr langweilig
Auch wenn Ixalan (oben) die aktuelle Edition ist: Ich hab mit den drei Decks meiner zehnten Edition (unten) von 2007 immer noch Spaß.
Auch wenn Ixalan (oben) die aktuelle Edition ist: Ich hab mit den drei Decks meiner zehnten Edition (unten) von 2007 immer noch Spaß.
sein: Der Zufallsfaktor ist Segen, aber auch Fluch, wenn man einfach zu wenige Länder oder Kreaturen zieht, so dass man gar nicht erst in einen Schlagabtausch kommt, sondern lediglich ohne Chance zusehen muss, wie die Lebenspunkte schwinden.

Fazit

Magic: The Gathering ist so etwas wie der Zauberwürfel der Sammelkartenspiele - kreativ, prägend und bis heute faszinierend. Ihre Erfinder Rubik und Garfield dürfen sich zu den großen Pionieren der Spielewelt zählen. Auch wenn vieles an Magic mittlerweile gewöhnlich scheint, ist es eben nicht nur der Begründer eines Genres, sondern auch wichtiger spielmechanischer Feinheiten vom Kartentappen bis zur goldenen Regel, auf die nahezu jeder Nachkomme im Geiste setzt. Aber der Erfolg wäre nicht denkbar gewesen, ohne die mächtige Kombination aus Duellcharakter, Bildsprache, Rollenspielflair sowie unheimlich anschaulichem Regelwerk und vor allem starker Symbolik, die Aufbautaktik mit fünf Elementen anbietet, die weitgehend logische Assoziationen wie Feuer und Aggression, Wald und Wachstum etc. hervorrufen. Man kann rückblickend fast von einem Minecraft-Effekt sprechen, den Magic vor 25 Jahren im analogen Bereich vorweggenommen hat. Denn ganz entscheidend für den Erfolg ist natürlich auch der Reiz des langfristigen Bauens und Sammelns, des Tüftelns und Bastelns - es gibt kein perfektes Deck! Nur sind der Zufallsfaktor, die nicht enden wollende Kartenfülle, die nicht immer qualitativ überzeugt, sowie die inflationäre Vetriebspolitik, die zum stetigen Neukauf mit Glücksfaktor animiert, auch ein Fluch, mit dem Magic auf ewig kämpfen muss. Nur braucht man sich dem nicht beugen, wenn man mit Kumpels spielt. Über Jahre lag meine zehnte Edition aus dem Jahr 2007 im Keller und mein schwarzes Deck hat auf Anhieb ein aktuelles  geschlagen.


Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps, Klassiker oder ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet. Mehr Brettspiel-Tests und eine Top 20 findet ihr hier.

Kommentare

juicy_B schrieb am
Hab mich jetzt auch mal für Eternal angemeldet während ich auf eine Beta-Einladung bei Magic warte (Danke für die Links) und ich muss sagen es spielt sich erstaunlich ähnlich.
Schneller auf jeden Fall. Für den Anfang bekommt man nach und nach einige Themen Decks.
Was ich bis jetzt gesehen habe konnte man sich sowohl für Echtgeld als auch Gold (In-Game-Währung) kaufen.
Es gibt schon eine Erweiterung und entsprechend schon einige Karten zum Sammeln.
Inwieweit das als Casual Sinn macht muss ich mal noch ausprobieren. :)
Falls jemand ebenfalls Lust hat zum Probieren, dürft ihr gerne über den Link gehen. Gibt's drei Booster-Packs zum Anfang.
https://www.direwolfdigital.com/eternal ... 8fc6e91006
Grauer_Prophet schrieb am
Ich empfehle jeden der sich für das Thema interessiert sich auf Fachseiten damit auseinanderzusetzen....
Die 2 Seiten gehen einfach auf zu viele Dinge nicht ein ....
Magic ist nicht Teuer wenn man die richtigen Formate spielt (Pauper) oder eben nur Casual ....
Sammler sollten einen Bogen darum machen da jedes Jahr zig neue Karten rauskommen-das geht natürlich ins Geld...
Aber zum Spielen muss man nicht alle Karten der Edition besitzen usw...
mindfaQ schrieb am
@MoS666: Wenn ich die Preise für die Booster ansehe, sieht Eternal für mich als Anfänger erst einmal nicht preiswert aus. Meinst du das fairste F2P-Modell im Videospielbereich überhaupt oder bei Kartenspielen? Das Beste überhaupt kann es nicht sein, weil es genug Titel gibt, die gar keine gameplayrelevanten Dinge verkaufen (z.B. Dota 2), hier werden jedoch Karten verkauft, die Gameplayrelevant sind und man ist von vorn herein erst einmal eingeschränkt.
@casanoffi
Hehe, das stimmt. Es ist auf jeden Fall auch schön, dass das Format einem (zeitlich / Manavorrat) erlaubt, auch mal dickere Karten zu spielen, die im normalen Constructed Format viel zu langsam wären.
Ein preiswertes TCG hätt ich auch gern. Hearthstone hatte ich auch irgendwann abgebrochen, weil es einfach genervt hatte, nicht alle Karten zu besitzen. Wahrscheinlich bräuchte man ein Card Game statt Trading Card Game ;).
casanoffi schrieb am
mindfaQ hat geschrieben: ?21.01.2018 10:00 @casanoffi: Ja Commander hatten wir auch zuletzt gespielt. Ich hatte nur keinen vernünftigen Commander und alle meine Combos wurden gecountert :D. Da aber so viele Karten gespielt wurden, die ich nicht kannte, war es gar nicht so leicht, die ganzen Interaktionen im Blick zu behalten bei 4 Spielern.
Dadurch, dass man eh schon Probleme hat, seine eigenen Karten auswendig zu kennen, ist es wirklich nur Profis vorbehalten, auch noch die Karten und möglichen Kombos der Gegner zu kennen.
Aber das sorgt ja auch immer für den Spaß dabei :D
Selbst bei einem 1 vs 1 ist das selten möglich, bei einem 4 vs 4 wird das sowieso immer zum fröhlichen Zufallsfest.
Hinzu kommt noch, dass wir alle nicht jünger werden :lol:
Alandarkworld hat geschrieben: ?21.01.2018 12:36 Ich würde einiges darum geben, mal ein ordentliches digitales TCG spielen zu können, das nicht auf dem Pay-to-win Prinzip beruht.
Naja, P2W liegt ja fast schon in der Natur von TCGs. Ich finde persönlich finde das nicht schlimm, kann aber verstehen, wenn das für viele ein No-Go ist.
MoS666 schrieb am
Ich habe gestern (auf Vorschlag in diesem Thread auf der ersten Seite) mal mit Eternal Card Game angefangen.
Ist ebenfalls Free to Play, inwieweit es Pay2Win ist, kann ich noch nicht beurteilen.
Ist aber ähnlich Magic von den Regeln und von der Einfachheit der Bedienung eher wie Hearthstone.
Es gibt das Spiel auf Steam im Early Access und für Android und IOS.
Das Free-to-Play System soll sehr fair sein, man bekommt relativ viele Booster und Karten.
Habe einen Bericht auf einer deutschen Seite gefunden, welcher es als das fairste Free-to-Play System aktuell deklariert.
Wenn ihr einsteigen wollte, könnt ich euch gerne über meinen Refer-Link anmelden.
Dann bekommt ihr (und ich) ein paar extra Karten.
https://www.direwolfdigital.com/eternal ... b8049c2aa2
Grüße,
MoS
schrieb am