Ein Hauch von Rollenspiel
An dieser Stelle erkennt man schon das Rollenspielflair, das sich durch Pandemic zieht. Man liest vor dem Start des Abenteuers eine Einleitung und zwischendurch immer wieder kleine Texte vor, so dass ein erzählerischer Rahmen entsteht. Außerdem entwickeln sich die Charaktere entweder über weitere Fähigkeiten oder Narben sowohl positiv als auch negativ. Auch hier gibt es einen coolen Spannungsfeffekt, denn die Narben werden z.B. von links nach rechts auf den Karten freigerubbelt, so dass man nicht weiß, was passiert - oder ob sogar der Tod hinter einem silbergrauen Feld wartet.
Auch die Kampagne ist mit einem cleveren Spannungsbogen aufgebaut, so dass sich die Ereignisse jeden Monat zuspitzen, zumal die Herausforderungen steigen. Im Januar bekommt man noch eine einfache Aufgabe: Man soll Nordamerika erkunden. Das klingt komisch, aber das Gebiet westlich von New York liegt ja seit 71 Jahren im Dunklen und soll wieder an das so genannte Raster angeschlossen werden.
Hurra, der Westen der USA wurde erkundet!
Das Problem: Man muss zuerst ein Versorgungszentrum in Washington bauen, um aus diesem heraus die Expedition zu starten. Spielpraktisch bedeutet das: Für Ersteres braucht man fünf, für Letzteres drei blaue Karten. Hat man das geschafft, darf man nicht nur den ersten großen Landsticker anbringen, und sieht zum ersten Mal die amerikanische Westküste samt neuer Orte, sondern darf auch die erste Box mit neuen Karten, Regeln & Co. öffnen und entscheiden, ob man entweder Städte oder spezielle Karten stärkt - also Einwohnerzahl erhöhen oder Seucheneffekte abschwächen. All das sind motivierende Elemente, die sowohl für Ungewissheit als auch Belohnungseffekte sorgen: man entwickelt, sammelt und verändert sich und die Welt.
Steigerung von Bedrohung und Möglichkeiten
Man kann mehrere Charaktere erstellen.
Jeder Spieler startet mit einer zufälligen Hand aus Karten, darunter farbig markierte Städte sowie sofort spielbare Ereignisse, und zieht am Ende zwei nach. Die Herausforderung besteht darin, möglichst schnell diese Karten für eine Aufgabe zu sammeln und gleichzeitig die Folgen der Seuche einzudämmen, die quasi in Schüben jede Runde zufällig andere Städte bedroht und Vorräte vernichtet. Sind die aufgebraucht, kann eine Epidemie ausbrechen und sich auf die benachbarten Orte ausweiten - inklusive böser Kettenreaktionen. Außerdem gewinnt die Seuche im Laufe der Zeit an Stärke, so dass man tatsächlich das Gefühl hat, dass sich eine globale Schlinge zuzieht. Dabei kann einem auch der Zufall übel mitspielen, denn man zieht sowohl Hand- als auch Epidemiekarten aus einem verdeckten Stapel.
Wer das Jahr überlebt, kann seinen Erfolg anhand der Tabelle ablesen.
Umso wichtiger ist die Effizienz der Bewegung, über die alle am Tisch frei diskutieren können: Jeder Spieler hat vier Aktionen zur Verfügung, die er in beliebiger Reihenfolge und auch mehrfach ausführen kann. Dabei dreht sich neben der erwähnten Aufklärung sowie dem Bau von Versorgungszentren alles darum, wie man von A nach B kommt, um Vorräte herzustellen, abzuliefern oder Karten mit anderen Spielern zu tauschen. Und das Coole ist: Selbst die Übersichtskarten für diese Aktionen haben Platz für Sticker - denn es kommen weitere hinzu. Diese parallele Steigerung der Bedrohung einerseits und der Möglichkeiten andererseits, sorgt für eine tolle Dynamik! Die kann schnell ins Tragische wechseln, so dass man einen Monat verliert, weil die Seuche zu stark und die Aufgaben nicht zu meistern waren.
Es gibt viel zu öffnen und zu kleben.
Aber es gibt kein strenges Game Over: Man kann man exakt diesen Monat nochmal angehen oder bei zweiter Niederlage zum nächsten wechseln. Schön ist übrigens auch, dass das im Kalender berücksichtigt wird, den man über die zwölf Monate mit seinen Notizen füllt.
Fazit
Pandemic Legacy - Season 2 ist ein klasse kooperatives Brettspiel, das direkt in meine Top 20 gestürmt ist! Natürlich vertieft es "nur" die Spielmechanik des sehr guten Vorgängers, aber das Szenario mit der postapokalyptischen Terra incognita gefällt mir noch besser. Außerdem gebührt Matt Lecock und Rob Daviau großer Respekt dafür, dass sie mit kleinen, aber feinen Zusätzen für noch mehr Dramatik mit Rollenspielflair sorgen. Über die zufällig gezogenen Karten sowie die Verschärfung der Seuchenfolgen spitzt sich die Bedrohung zu, während man andererseits mit neuen Karten belohnt wird und seine Charaktere sowie Regeln und Welt mit weiteren Stickern verändert. Das ist eine Dynamik, die euch so nur Legacy-Spiele bieten. Zwar erlebt man sie nur einmal, aber dafür individueller und intensiver. Falls euch dieses Prinzip gefällt, kann ich euch neben Pandemic Legacy - Season 1 auch Risiko Evolution empfehlen, das den Strategie-Klassiker kreativ modernisiert.
Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.
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