Special: Cyberpunk: Edgerunners (Filme & Serien)

von Markus Fiedler



Cyberpunk: Edgerunners: Filmkritik: Brutal, düster, cyberpunkig
Filmkritik: Brutal, düster, cyberpunkig
Publisher: Netflix
Release:
2022
Spielinfo Bilder Videos
Von Spiele-Umsetzungen für Leinwand oder Bildschirm können die meisten Fans ein eher trauriges Liedchen singen. CD Projekt RED entscheidet sich mit der Adaption von Cyberpunk bewusst für einen anderen Weg als viele Lizenzinhaber und tritt selbst als Produzent für eine Anime-Serie bei Netflix auf. Ob Fans des Spiels damit glücklich werden, das verraten wir in unserer fast spoilerfreien Serienbesprechung.

Vom Spiel zur Serie


Das Open-World-Rollenspiel Cyberpunk 2077 ist einer der Titel, der von der ersten Ankündigung bis zum "fertigen" Spiel extrem lange gebraucht hat. Gute acht Jahre gingen ins Land bis die düstere Zukunftsvision, die lose auf dem Pen & Paper-Rollenspiel Cyberpunk 2020 beruht, das Licht der Welt erblickte – und die für die zum Teil hart verbuggten Release-Versionen ordentlich Prügel bezog. Mittlerweile hat CD Projekt RED nachgebessert und unlängst sogar den ersten DLC namens Phantom Liberty für das Spiel verkündet. Doch nicht nur auf PC und Konsole legt das polnische Entwicklerteam nach – auch als TV-Serie bei Netflix erscheint eine Art DLC: Cyberpunk: Edgerunners. Wir haben die Serie bereits gesehen und verraten euch, was genau sich dahinter verbirgt und ob sich das Ansehen lohnt.

Gleiche Stadt, neue Crew


Bald findet David (Mitte) in Dorio, Maine, Lucy, Pilar, Rebecca und Kiwi eine neue Familie – aber kann er wirklich jedem trauen?
Bald findet David (Bildmitte) in Dorio, Maine, Lucy, Pilar, Rebecca und Kiwi eine neue Familie – aber kann er wirklich jedem trauen?
Auch die Serie spielt in Night City, dem Ort des Videospiels. Allerdings werdet ihr keinen Charakteren begegnen, die ihr bereits kennt – Cyberpunk: Edgerunners führt ein komplett neues Ensemble ein, dessen Spuren in Night City mit Patch 1.6 auch Einzug ins Spiel finden. Darunter Hauptfigur David, einen 17-jährigen Schüler, der nach einer Reihe persönlicher Tragödien unbedingt zum Cyberpunk werden möchte, um sich für an ihm verübtes Unrecht rächen zu können. Eine implantierte State-of-the-Art-Cyberware-Wirbelsäule, mit der sich David schneller bewegen kann als das menschliche Auge wahrnimmt, ist seine Eintrittskarte in die Welt der Netrunner und Cyberpunks. Bald lernt er über die Diebin Lucy ein Team aus technisch verbesserten Söldnern kennen, das unter dem Kommando des Muskelbergs Maine riskante Aufträge für Fixer ausführt, die wiederum oft für einen der großen Tech-Konzerne arbeiten. Schnell checkt David zwei Dinge: Seine Herzensdame Lucy trägt ein dunkles Geheimnis mit sich herum. Und das Leben als Cyberpunk ist viel tödlicher, als er dachte …

Edgerunner Rebecca ist ebenso klein wie schießwütig...
Edgerunner Rebecca ist ebenso klein wie schießwütig...
Ohne viel zu verraten zu den zehn, knapp 30 Minuten langen Folgen der erste Staffel zu verraten: Cyberpunk: Edgerunners fährt eine ähnlich düstere Crimestory wie die Spielehandlung auf, allerdings ist nichts davon wirklich neu. Bereits vor etwa 40 Jahren wurde der Begriff Cyberpunk hauptsächlich für die Romane des Schriftstellers William Gibson geprägt, dessen Neuromancer-Trilogie allgemein als Geburtsstunde des düsteren Sci-Fi-Subgenres zählt. Wer gern liest, dem seien neben Gibson auch der Vierteiler "Otherland" von Tad Williams sowie "Das Unsterblichkeitsproramm" von Richard Morgan empfohlen (wahlweise auch als Live-Action-Serie "Altered Carbo" bei Netflix zu sehen). In Japan setzte sich die neue Idee vor allem im Manga- und Animebereich durch, denn schon Ende der 80er Jahre erschienen dort Cyberpunk-Meilensteine wie "Ghost in the Shell" oder "Battle Angel Alita" (ab 1991). Insofern ist es nur konsequent, dass sich CD Projekt RED als Adaption ihrer Spielwelt für eine Animeserie entschied.

Die Schatten im Blick


Der Fixer Faraday hat dem Begriff „Vierauge“ eine ganz neue Bedeutung verliehen.
Der Fixer Faraday verleiht dem Begriff "Vierauge" eine ganz neue Bedeutung...
Ein weiterer wichtiger Baustein von Cyberpunk ist noch älter: die Film-Noir-Klassiker des Hollywood-Kinos der 40er und 50er Jahre. Die bekanntesten wie "Die Spur des Falken" oder "Tote schlafen fest" basieren dabei auf Romanen von Dashiell Hammett oder Raymond Chandler und stellen einen zynischen und desillusionierten Detektiv ins Zentrum des Geschehens, das meist ohne Helden auskommt und lediglich verschieden bösartige Figuren enthält. Die Filme wurden daher auch meist in Schwarz-Weiß gedreht, obwohl es längst Farbfilm gab. Und wer genau hinsieht, findet viel von dieser Ästhetik auch in Cyberpunk: Edgerunners wieder. Zwar ist die neue Animeserie in Farbe gedreht, aber vor allem die harten Schattenwürfe in den Gesichtern der Figuren und der Umgebung erinnern an die alten Filme – genau wie die undurchsichtigen, meist nur auf den eigenen Vorteil bedachten Charaktere.

Natürlich haben sich solche Geschichten über die Jahrzehnte weiterentwickelt und wurden schon in den 80er Jahren mit Filmen wie "Robocop" sehr viel blutiger. Und Cyberpunk: Edgerunners ist da auf der Höhe der Zeit: Das Animestudio Trigger, mit dem CD Projekt zusammenarbeitete, zelebriert die Blutbäder in der Serie regelrecht und verdient sich damit die von Netflix selbst vergebene Freigabe ab 16 Jahren redlich. Ein wenig nackte Haut und Andeutungen von Sex gibt es auch zu sehen, aber es ist doch die extreme Gewalt, die hier die Zeichen setzt. Daneben finden aber auch Themen ihren Platz, die im Spiel nur eine Nebenrolle einnahmen.

Action mit Seele


Die aus dem Spiel bekannten Gangs finden sich auch in der Serie – und erleiden ein ähnliches Schicksal.
Aus dem Spiel bekannte Gangs finden sich auch in der Serie – und erleiden ähnliche Schicksale.
Denn das Drehbuch von Edgerunners interessiert sich nicht nur für die Fähigkeiten, die die Cyberware ihren Trägern ermöglicht, sondern auch für die psychologischen Folgen. Wie viele künstliche Teile verträgt ein Körper und vor allem ein Geist, bevor menschliche Seiten verloren gehen? Und der Träger eine Cyber-Psychose davonträgt – etwas, vor dem die meisten Cyberpunks in Night City insgeheim große Angst haben. Nun setzt sich die Serie damit nicht ständig auseinander, die Action steht hier klar im Vordergrund. Aber die Cyber-Psychos, im Spiel als Nebenmissionen enthalten, dienen in der Serie als sehr reales Schreckgespenst einer Zukunft, die keiner der Söldner erleben möchte.

Ein typischer "Blade Runner"-Look darf auch im Anime-Night-City nicht fehlen.
Ein typischer "Blade Runner"-Look darf auch im Anime-Night-City nicht fehlen.
Auch die Stadt selbst entdecken Spieler in der Serie wieder, wie beispielsweise die Bar Afterlife, in der David und sein Team sich herumtreiben. Allerdings kann Edgerunners auch hier mit einem eigenen Look aufwarten, der sich ein wenig vom Spiel unterscheidet. Besonders auffällig ist die Farbgebung, die nicht nur regelmäßig wechselt, sondern auch in seltsam anmutenden Kombinationen für Licht- und Schatteneffekte eingesetzt wird - und verdammt stylish ist. Wie die ganze Serie zwar auch optisch den Anime nicht neu erfindet, aber einen eigenen Zeichenstil präsentiert, der nicht aussieht wie hundert andere. Das gilt auch für die Kameraführung: Während es im Spiel zwingend notwendig ist, den größtmöglichen Überblick zu behalten, leistet sich die Serie Einstellungen, in denen eigentlich gar nichts zu sehen ist und nur der aus dem Off zu hörende Text die Story weiterträgt. Das ist ungewöhnlich, aber durchaus eine angenehme Abwechslung.

Ver#*(!!**$/ Sche%+**


Die Cyberware-Wirbelsäule, die David sich einsetzen lässt, macht den 17-jährigen zum vielversprechenden Cyberpunk.
Die Cyberware-Wirbelsäule, die David sich einsetzen lässt, macht den 17-Jährigen zum vielversprechenden Cyberpunk.
Weniger cool ist hingegen die fast krampfhaft pubertär-wüste Sprache, bei der kaum ein Dialogsatz ohne derbste Schimpfworte auskommt. Hier hat die deutsche Fassung etwas übertrieben, wirkt manchmal fast albern und nimmt so ein wenig von der Ernsthaftigkeit und dem Schwermut heraus, die Cyberpunk: Edgerunners eigentlich guttun. Denn aus dem drohenden Unheil für sämtliche Charaktere, die der Zuschauer bald auf die eine oder andere Art liebgewinnt, zieht die Serie einen Großteil ihrer Spannung – hier lauert der Tod wahrlich an jeder Ecke. Und damit gelingt der Umsetzung etwas, das bei Spieleadaptionen selten ist: Sie fängt die Stimmung und die Atmosphäre des Spiels gut ein und holt die Fans von Cyberpunk 2077 wirklich ab. Es hilft allerdings, wenn man mit Animes grundsätzlich etwas anfangen kann und mit dem gegenüber dem Spiel nochmal deutlich angezogenen Gewaltgrad kein Problem hat.

Unterm Strich beweist CD Projekt mit Cyberpunk: Edgerunners, dass es offensichtlich eine gute Idee ist, nicht einfach nur die Rechte zu verkaufen, sondern auch selbst mit Hand anzulegen, um eine gute Spiele-Umsetzung zu schaffen. Als Anime bleibt die Serie zwar vermutlich eher ein Nischenprodukt und erreicht auch nicht die Tiefe eines Ghost in the Shell oder die erzählerische Wucht eines Arcane, aber als verdammt blutige Action-Dystopie mit coolen Charakteren kann sie bestehen – auch wenn die meisten Fans solcher Stoffe hier nicht wirklich etwas Neues erzählt bekommen.

Kommentare

dermoritz schrieb am
Flojoe hat geschrieben: ?19.09.2022 21:38 Die deutsche Synchronisation ist einfach ein Sahnestück! Ich sag nur? ?Boah! Echtes Froschfotzen Leder? ? Wer die übertrieben oder unpassend findet hat einfach keine Ahnung.
Das ist mir auch aufgefallen - die Synchro ist wirklich super. Verschiedene Charaktere verwenden auch ganz andere Wortschätze.
Sevulon schrieb am
TO THE MOOOOOOOOOOON!!
Bin jetzt durch mit der Staffel, war echt eine gute, runde Story mit passendem Ende. Die Action ist nicht zu verachten, viel Geballer, viel Gewalt, viel los wenn's drauf ankommt. Und der Soundtrack erst, top notch. Kann ich also nur empfehlen.
Wer das Spiel kennt findet zu dem jede Menge bekannte Namen, Schauplätze, Anspielungen und sogar Klamotten wieder, so dass man sich wirklich in die Welt reinversetzt fühlt.
AnonymousPHPBB3 schrieb am
Die deutsche Synchronisation ist einfach ein Sahnestück! Ich sag nur? ?Boah! Echtes Froschfotzen Leder? ? Wer die übertrieben oder unpassend findet hat einfach keine Ahnung.
Cytasis schrieb am
Eisenherz hat geschrieben: ?13.09.2022 22:41 Hab die Serie heute am Stück durchgesuchtet und kann nur sagen, dass sie verdammt gut ist. Auch für Nichtkenner des Spiels (wie mich) wird hier das volle Paket Cyberpunk mit hartem Splatter, sympathischen Charakteren und einer guten Story geboten, die in ihren besten Momenten ein Stück an Akira erinnert. Das viele Gefluche und die Kraftausdrücke haben mich persönlich nicht wirklich gestört, da es irgendwie in diese oberflächlich bunte, doch eigentlich vollkommen abgefuckte Welt passt. Lobend erwähnen sollte man allgemein noch definitiv die hervorragende deutsche Synchro!
Auch nicht ganz unwichtig: Cyberpunk: Edgerunners ist in sich abgeschlossen und serviert einem daher auch kein offenes Ende.
Herzlichen Dank für den Kommentar, der mich dazu bewegt, doch rein zu luschern. Gerade als du Akira geschrieben hast, hattest du mich eigentlich schon! :mrgreen:
Hiri schrieb am
Ja, es ist sehr brutal, auch die vulgäre Sprache ist nicht ohne.
Gegen Ende wird es völlig übertrieben und verglichen zum Spiel sehr überzeichnet. Aber ist denke ich okay, ist schließlich ein Anime.
Kann man sich mal angucken, wenn man auch das Spiel mag, sicher noch mehr. Von Cyberpunk Meisterwerken wie z.B. Ghost in the Shell ist es natürlich meilenweit entfernt. Dafür ist es dann doch zu sehr Trash.
schrieb am