Special: Cheats: die Kultur des Schummelns (Unternehmen)

von Jörg Luibl



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Publisher: 4Players
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 4Players: In den 80ern galten Cheats noch als Frucht anarchistischer Hartnäckigkeit. Es war cool, wenn man Mogelcodes knacken konnte. Sind Cheats heute nicht schon gesellschaftlich abgesegneter Konsum?

Julian Kücklich: Nintendo hat ja damals bei Einführung des NES die ersten Helplines eingerichtet, bei denen sich die Spieler Rat holen konnten, wenn sie in einem Spiel nicht weiterkamen. Seitdem ist das Mogeln zu einer riesigen Industrie geworden. In den meisten Videospielläden stehen ja die Hochglanz-'Game Guides' gleich neben den Neuerscheinungen und viele Videospielmagazine scheinen sich in erster Linie mit Cheats zu vermarkten. Das schafft natürlich auch Probleme: wenn ein Spielentwickler davon ausgeht, dass der Spieler mogelt, braucht er sich nicht anstrengen, die Hindernisse im Spiel so zu gestalten, dass der Spieler sie auch ohne fremde Hilfe bewältigen kann. Das Resultat ist dann oft schlechtes Spiel-Design. Aber es gibt natürlich auch eine große Zahl von nicht kommerziellen Cheats und das sind oft die Interessanteren: zum Beispiel Cheats, die gezielt bestimmte Schlupflöcher im Game Design ausnutzen. In einem Vortrag im Rahmen der "Computer Games and Digital Cultures"-Konferenz, erzählte Warren Spector zum Beispiel einmal begeistert von der Kreativität der Spieler, die das 'proximity mine climbing' in Deus Ex entdeckt hatten.

4Players: An einer Stelle in Ihrem Gastbeitrag musste ich schmunzeln: Sie überlegen, ob CounterStrike nicht als Cheat von Half-Life betrachtet werden könnte. Sie verwerfen das schnell wieder, aber trifft das nicht sogar den Kern? CS hat die Terrorbekämpfung in das Shooter-Genre geschmuggelt…

Julian Kücklich: Stimmt schon, Counter-Strike ist ein faszinierender Teil der Spielkultur. Interessant ist ja vor allem, dass die Rollenverteilung in CS völlig relativ ist: anders als etwa in America's Army sind die Bösen nicht immer die anderen. Das ist, denke ich, die eigentliche Innovation. Dass CS im Terrormilieu spielt, ist wohl eher ein glücklicher - oder unglücklicher - Zufall. Durch die zeitliche Nähe zu den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde CS so etwas wie das inoffizielle Spiel zum War on Terror. Das ist vielleicht weniger ein Cheat als ein Hack: durch die Relativität der Rollenverteilung wird deutlich, dass Gut und Böse immer ideologische Konstrukte sind. Aber das wird jetzt vielleicht zu politisch …

4Players: Sie möchten "Spiele als kybernetische Systeme" betrachten, "(…) in denen das Mogeln einen Wiedereintritt der Umwelt in das Spielsystem selbst ermöglicht." - was meinen Sie damit?

Julian Kücklich: Tut mir leid, da ist der systemtheoretische Gaul ein wenig mit mir durchgegangen. Die Systemtheorie geht ja davon aus, dass sich soziale Systeme dadurch definieren, dass sie sich von ihrer Umwelt abgrenzen und dann immer autonomer werden. Man kann das vielleicht mit der Bildung von sozialen Gruppierungen wie z.B. Punks vergleichen: man gibt den anderen durch Aussehen und Verhalten zu verstehen, dass man anders ist und mit der Zeit entsteht daraus eigene Subkultur, die eigene Regeln und Werte entwickelt. Ein Spiel funktioniert insofern ähnlich, als durch Spielregeln ein Raum geschaffen wird, in dem die Regeln der Umwelt nur bedingt gelten. In einem Boxring ist es beispielsweise erlaubt, einen anderen Menschen zu verletzen - ein Verhalten, dass normalerweise in der Gesellschaft nicht toleriert wird.

Der Spieltheoretiker Johan Huizinga hat das mit der Metapher des 'magischen Zirkels' beschrieben. Aber Huizinga idealisiert den 'magischen Zirkel' meiner Ansicht nach ein wenig zu sehr - bestimmte Regeln der Umwelt bleiben immer auch im Spiel bestehen. Aber Spiele schaffen trotzdem immer einen 'sicheren' Raum, in dem die Willkür des täglichen Lebens in kontrollierte Bahnen gelenkt wird. In Computerspielen äußert sich das meist so, dass man nur durch eigenes Verschulden verlieren kann: Lara Croft stirbt nicht einfach an einem Herzinfarkt, sie schafft es nicht rechtzeitig, einem Giftpfeil auszuweichen. Aber im realen Leben gelten diese Regeln nicht: man kann ohne eigenes Verschulden in einen Autounfall verwickelt werden und das war es dann. In Multiplayer-Spielen führen Cheats diese Kontingenz wieder in das Spiel ein - denn gegen einen Counterstrike-Spieler mit Zielautomatik kommt selbst der beste Schütze nicht an.

4Players: Das Geschäft mit Lösungsbüchern boomt. Punkbuster rettet die CounterStrike-Balance. Das Cheaten scheint ein Motor der Spielewelt zu sein. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Julian Kücklich: Ich glaube nicht, dass es sich dabei tatsächlich um eine neue Entwicklung handelt. Das Phänomen des Mogelns ist ja so alt wie das Spiel selbst. Tatsächlich mache ich mir in letzter Zeit Gedanken darüber, eine Spieltheorie zu formulieren, die nicht von der Regeltreue als Normalfall ausgeht, sondern vom Regelbruch. Leider bin ich noch nicht dazu gekommen, das genauer auszuformulieren. Aber ganz grob gesagt, ist die zu Grunde liegende Annahme, dass ein Spiel, dessen Regeln nicht gebrochen werden können, kein Spiel ist.

Eine neue Entwicklung sehe ich allerdings in dem enormen kommerziellen Potenzial von Cheats. Anti-Cheating-Software und -Consulting sind ja echte Wachstumsbranchen. Während Spielentwickler vor ein paar Jahren noch ganz unbedarft an die Sache herangingen - wie zum Beispiel beim Launch von Diablo - machen sich die Developer jetzt schon vor dem eigentlichen Entwicklungsstadium Gedanken darüber, wie sie den Schaden, den Cheater anrichten, begrenzen können. Aus ökonomischer Perspektive ist das sicherlich sinnvoll. Aber aus kultureller Perspektive erscheint mir die Einstellung der Spielindustrie geradezu schizophren: mit Hotlines und Lösungsbüchern wird Profit gemacht, aber in Multiplayer-Spielen werden die Cheater verteufelt. Im Forum von America's Army wurde den Cheatern ja kürzlich sogar gedroht, dass sie nach dem 'Cyberterrorism Act' verurteilt werden könnten, da sie sich am Eigentum der US-Armee vergreifen würden …

Kommentare

Fatal Overkill schrieb am
Ein wirklich geniales Interview, dieser Mann weiß wovon er redet.
Die Wiederspieglung des Zeitgeists unserer westlichen Welt in MMORPGs ist wirklich eine krasse Erkenntnis aber wenn man darüber nachdenkt, sieht es ganz genauso aus. Die freie Marktwirtschaft bringt die niedrigsten Instinkte des Menschen wie Habgier oder Neid ans Tageslicht, wer kennt das nicht aus WoW oder GW.
Mehr davon!
schrieb am