Special: Cheats: die Kultur des Schummelns (Unternehmen)

von Jörg Luibl



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4Players: Sie schreiben, dass "(…) die Freude am Spiel nur dadurch wieder hergestellt werden kann, dass der Spieler mogelt." Sorgen Cheats dann nicht in letzter Konsequenz für eine Verdummung des Spielers?

Julian Kücklich: Zunächst muss dazu gesagt werden, dass jeder für sich selbst entscheiden muss, ob und wann er oder sie Cheats einsetzt. Und bloß weil jemand mogelt, heißt das noch lange nicht, dass er ein dummer Spieler ist. Wie heißt es so schön in dem Moldy-Peaches-Song Anyone Else But You? - "Up, up, down, down, left, right, left, right, B, A, start
just because we use cheats doesn't mean we're not smart."

Aber ernsthaft: wenn sich jemand durch ein komplettes Spiel mogelt, wird er oder sie nicht viel Freude daran haben. Aber wenn ein Spieler in einem Spiel nichts weiter kommt, sehe ich nichts Falsches daran, einen Walkthrough zu konsultieren. In manchen Fällen mag es sogar vertretbar sein, wenn ein Spieler in einem Deathmatch gegen andere Spieler schummelt - etwa um die Teamstärke auszugleichen. Und auch in MMOGs mag es gute Gründe geben zu mogeln - ein beeindruckendes Beispiel ist die Kreativität, mit der sich die Entertainer in Star Wars Galaxies gegen die Benachteiligung ihrer Charakterklasse wehren.

Wie so oft ist dies eine Frage des richtigen Maßes - und das muss jeder für sich selbst entscheiden. Die Gefahr einer Verdummung der Spieler sehe ich eher auf der Seite der Spielindustrie: dort werden immer wieder dieselben Spielprinzipien mit neuem Content gefüllt, weil man anscheinend annimmt, dass zu viel Innovation die Spieler überfordern würde.

4Players: In Online-Rollenspielen gibt es professionell organisierte Gilden, die Monster und Gegenstände "farmen". Items werden zusammengerottet, Quests kollektiv abgegrast. Zeigt diese fast schon mechanische Ausnutzung der Ressourcen, wie wenig es den Spielern um die Seele eines Spiels geht? Sind Cheats nicht die Guillotinen der Phantasie?

Julian Kücklich: Das ist sicherlich ein Problem für viele Online-Rollenspiele. Seit man virtuelle Gegenstände für echtes Geld verkaufen kann, scheinen viele Spieler MMOGs vor allem als Möglichkeit zu sehen, ihr Einkommen aufzubessern. Aber auch hier sehe ich in erster Linie die Industrie in der Schuld: die Spieler unterschreiben ja mit manchen EULAs wahre Knebelverträge, die es ihnen untersagen, die Früchte ihrer Arbeit unter eigenem Namen zu vermarkten. Die australische Spielwissenschaftlerin Sal Humphries hat kürzlich auf der Other-Players-Konferenz in Kopenhagen ausgeführt, dass das zu Grunde liegende Problem eigentlich darin besteht, dass MMOGs unter die gleichen Copyright-Gesetze fallen wie Bücher oder Filme - samt der Annahme, dass diese Spiele aus der Feder eines 'Autors' stammen. Aber Online-Rollenspiele sind nun mal ein kollektives, prozedurales Erzeugnis, bei dem im Idealfall alle für den Spielspaß aller anderen verantwortlich sind. Aber solange dies nicht auf eine solide rechtliche Grundlage gestellt wird - wie etwa im Fall von Second Life, wo die Spieler ihre Erzeugnisse unter einer Creative-Commons-Lizenz verbreiten dürfen - wird das Problem der Ausbeutung von MMOG-Ressourcen bestehen bleiben. Man kann nur dann Verantwortungsbewusstsein von Spielern erwarten, wenn sie in der virtuellen Welt nicht nur Pflichten sondern auch Rechte haben.

4Players: Dieser Abschnitt ihres Gastbeitrags war höchst interessant: "In Diablo wurde der Albtraum einer jeden kapitalistischen Gesellschaft Wirklichkeit: die Massen bemächtigten sich der Produktionsmittel und diese benutzten sie dazu, die sorgfältig austarierte Ökonomie der Spielwelt aus dem Gleichgewicht zu bringen." Das hörte sich fast an, wie das ludologische Manifest von Marx. Ist das Cheaten mit dem Phänomen des gut organisierten Kommunismus zu vergleichen?

Julian Kücklich: Mogeln in Online-Spielen ist genauso wenig 'kommunistisch' wie Peer-to-Peer-Netzwerke oder Open-Source-Software. Aber bestimmte Formen von Cheats stellen die ideologischen Grundlagen der Spiele, in denen sie Anwendung finden in Frage. Computerspiele sind Erzeugnisse des Spätkapitalismus neoliberaler Ausprägung und das merkt man ihnen auch an. Ich habe mir kürzlich in einem Artikel über Online-Rollenspiele darüber Gedanken gemacht, worin eigentlich der 'Realismus' dieser Spiele besteht. Die Antwort darauf ist meines Erachtens, dass MMOGs vor Augen führen, welche Auswirkungen eine völlig unregulierte Marktwirtschaft auf die Gesellschaft haben.

Die meisten Online-Rollenspiele sind ja neoliberale Utopien: alles vom Gesundheitssystem bis zum Bildungssystem ist privatisiert und alle befinden sich im Wettbewerb mit allen. Jeder Avatar seine eigene Ich-AG, sozusagen. Und das Resultat? Völlig unkontrollierter Abbau natürlicher Ressourcen, eine "Friss-oder-Stirb"-Mentalität und ungebremster Materialismus. MMOGs sind eigentlich groteske Parodien westlicher Gesellschaften - komisch und erschreckend zugleich. Aber darin liegt natürlich auch eine Chance: wir könnten diese Spiele dazu benutzen, alternative soziale Szenarien durchzuspielen …

4Players: Sie arbeiten gerade an ihrer Dissertation "The Politics of Play in New Media". Worum geht es da?

Julian Kücklich: In meiner Forschungsarbeit geht es in erster Linie um das Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Spiel und welche Konsequenzen dies für die Gesellschaft hat. Ein Beispiel ist das bereits angesprochene 'Farmen' von Ressourcen in MMOGs: es werden ja immer wieder Gerüchte laut, dass es mittlerweile in einigen Entwicklungsländern 'Sweatshops', gibt, in denen Spieler für minimalen Lohn virtuelle Rohstoffe abbauen, die dann auf IGE verkauft werden.

Aber dieses Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Spiel lässt sich auch in der realen Welt feststellen - man denke nur an die Art und Weise, wie die Arbeit von Spielentwicklern in den Medien dargestellt wird. Das Problem daran ist: die Darstellung der Spielindustrie als spielerische Industrie ermöglicht es, junge idealistische Spieler zu rekrutieren und nach Strich und Faden auszubeuten. Wohin das führen kann, hat man bei der jüngsten Diskussion um die Arbeitsbedingungen bei EA gesehen: 80-Stunden-Arbeitswochen, kein Privatleben und Burnout mit 35. Das ist aber eine gesamtgesellschaftliche Tendenz, die ebenfalls mit der bereits angesprochenen neoliberalen Ideologie zusammenhängt: in der Neuen-Medien-Branche ist diese Tendenz nur am stärksten ausgeprägt und lässt sich daher hier am besten untersuchen.

4Players: In Ihrem Porträt kann man nachlesen, dass sie Spiele verabscheuen, "(…)die ihre Schwächen mit Bossfights kaschieren." Welche meinen Sie?

Julian Kücklich: Ich finde, dass der Bossfight generell ein völlig überstrapaziertes spielerisches Stilmittel ist. Es ist doch so: Bossfights beruhen darauf, die Schwäche eines Gegners zu erkennen und auszunutzen. Daran ist auch nichts Falsches. Nur dass es dann immer so lange dauert, bis der Endgegner überwunden ist, finde ich nervtötend. Wenn ich schon weiß, wo die Achillesferse des Gegners liegt, warum muss ich sie dann 27 Mal treffen, bis er endlich in die Knie geht? Das kann mir die schönsten Spiele versauern: wirklich unnötig waren zum Beispiel die Bossfights in Ico und Prince of Persia: The Sands of Time. Bei Star Wars: Knights of the Old Republic hätte ich kurz vor Schluss fast aufgegeben, weil der abschließende Kampf sich so in die Länge zog.

4Players: Oh ja, der war lang und fordernd. Was halten Sie von Spieletests? Nutzen Sie Print- oder Online-Magazine, um sich vor dem Kauf zu informieren?

Julian Kücklich: Ich habe die EDGE abonniert und lese häufig die Rezensionen auf eurogamer.net. Daran wird schon deutlich: ich bin kein Freund von Prozentwertungen - ob ein Spiel 73% Prozent oder 77% erhält ist mir herzlich egal. Mich interessieren eher Aspekte, die sich nicht so leicht quantifizieren lassen: Atmosphäre, origineller Stil, innovative Spielkonzepte und Humor.

4Players: Stellen Sie sich vor, Sie müssten aus der Hüfte drei Prozentwertungen abschießen. Im Visier sind Halo 2, Fable und Half-Life 2…

Julian Kücklich: Prozentwertungen kann ich aus Prinzip nicht abgeben, aber ich versuche mal eine Bewertung auf der 10-Punkte-Skala:
- Halo 2: 8 Punkte, weil es bei weitem nicht an den Vorgänger heranreicht, aber der Multiplayer-Modus wirklich großartig ist
- Fable: 7 Punkte, weil es eigentlich ein ziemlich durchschnittliches Action-RPG ist, aber ich Respekt vor Peter Molyneux' Vision habe
- Half-Life 2: keine Bewertung, weil ich nur die ersten 10 Minuten gespielt habe.

4Players: Half-Life 2 nur zehn Minuten? Spötter behaupten ja, das waren die besten des ganzen Spiels. Warum haben Sie so schnell aufgegeben?

Julian Kücklich: Leider warte ich im Centre for Media Research immer noch auf meine neue Grafikkarte - währenddessen kann ich leider keine aktuellen PC-Spiele spielen. Erfahrungen mit Half-Life 2 konnte ich daher nur bei einem Besuch im Game Lab der Universität von Tampere sammeln - dafür aber in Höchstauflösung, 16:9 und Dolby Surround. Das allein war die weite Reise nach Finnland wert.

4Players: Auf welches Spiel freuen Sie sich dieses Jahr ganz besonders?

Julian Kücklich: Keine Frage, Wanda and Colossus, der Nachfolger von Ico.

4Players: Da spricht der Genießer - der Titel steht auch bei uns ganz oben auf der Wunschliste. Es wurde übrigens in Shadow & The Colossus umbenannt. Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg mit der Dissertation!

Kommentare

Fatal Overkill schrieb am
Ein wirklich geniales Interview, dieser Mann weiß wovon er redet.
Die Wiederspieglung des Zeitgeists unserer westlichen Welt in MMORPGs ist wirklich eine krasse Erkenntnis aber wenn man darüber nachdenkt, sieht es ganz genauso aus. Die freie Marktwirtschaft bringt die niedrigsten Instinkte des Menschen wie Habgier oder Neid ans Tageslicht, wer kennt das nicht aus WoW oder GW.
Mehr davon!
schrieb am