Test: Kentucky Route Zero (Adventure)

von Benjamin Schmädig



Kentucky Route Zero (Adventure) von Cardboard Computer / Annapurna Interactive
Verwirrend und faszinierend
Entwickler:
Release:
28.01.2020
28.01.2020
28.01.2020
28.01.2020
28.01.2020
28.01.2020
Erhältlich: Digital (GOG, Steam)
Spielinfo Bilder Videos

Ein alter Mann soll eine Bestellung ausliefern – so weit, so gut – nur kennt er den Weg dorthin nicht. Der Highway Zero soll ihn ans Ziel bringen, doch der Zugang dorthin ist zunächst versperrt. Erst als sich das Tor einer Scheune als Eingang in einen Tunnel entpuppt, der ausschließlich im Kreis verläuft und doch an verschiedene Ziele führt, geht die Reise weiter... Kentucky Route Zero weckte im Test Erinnerungen an die geheimnisvolle Introvertiertheit eines David-Lynch-Films – verliert im Verlauf seiner fünf Episoden allerdings das Ziel aus den Augen.



Über Null ans Ziel

Kentucky Route Zero ist kein Adventure, jedenfalls nicht im klassischen spielerischen Sinn. Es ist mehr Graphic Novel, in der es vor allem ums Lesen geht. Sicher: Es gibt zahlreiche Dialogoptionen sowie kleine Verzweigungen, die sich z.B. darum drehen, ob man den Personen folgt, die sich auf einem Schiff befinden, oder jenen, die kurz an Land gehen. So erhält man unterschiedliche Einblicke, beeinflusst aber nicht den Verlauf der Handlung. Aufgaben löst man schon gar nicht. Man klickt einfach und beobachtet, wie sie erledigt werden.

Und trotzdem fühlt sich das zunächst sehr interaktiv an, da Cardboard Conputer – ein gerade mal drei Personen großes Independent-Studio – gleich auf mehreren Ebenen mit Erwartungshaltungen spielt. Ein Charakter verschwindet etwa, der sich gerade noch direkt neben dem Protagonisten befand. Und obwohl der alte Mann, Conway, meist im Mittelpunkt steht, wählt man häufig Dialogoptionen anderer Figuren oder steuert sie eine Zeitlang gar komplett.

Dass Cardboard Computer an interaktiven Experimenten interessiert ist, zeigt sich übrigens auch an vier Bonus-Inhalten, die zwar nicht zu Conways Geschichte gehören, aber Kentucky Route Zero trotzdem auf interessante Art ergänzen - z.B. ein Theaterstück, dessen Regieanweisungen man folgt, während man bereits die später veröffentlichte Kritik liest.
Es geht immer darum, wie Conway den Ort erreicht, an den er seine Lieferung fahren soll. Dabei begegnen ihm ständig Personen, die ein Stück des Wegs oder nur einen Hinweis kennen und ihn anschließend auch begleiten. Sie erzählen von ihrer Vergangenheit oder was sie mit dem Highway verbindet. Alle suchen etwas, jemanden oder sind aus einem anderen Grund unterwegs. Es geht nicht darum, die Hindernisse ihrer Reise zu überwinden, sondern sie und wen sie treffen kennenzulernen.

Verwirrend und faszinierend

Perspektiven wechseln ständig. Kamerabewegungen öffnen die Kulissen, weil sie durch Mauern hindurch führen. Oft genug stehen gar Antworten zur Verfügung, die verschiedene Vergangenheiten beschreiben, darunter die im Spiel selbst erlebten. Schreibt man diese Erinnerung quasi neu? Warum sitzen friedliche Bären in einem Bürogebäude? Wem gehören die Umrisse im flackernden Licht eines eingefallenen Stollens? Und hat es eine Bedeutung, dass die Gruppe irgendwann ein Videospiel spielt, dessen Handlung ihre Geschichte fortführt und damit neue Realität wird?

Ein kurzer Blick in Conways Vergangenheit.
Ein Blick in Conways Vergangenheit - Momente sind wichtiger als kausale Handlungsfolgen.
Kentucky Route Zero ist ebenso verwirrend wie faszinierend und deshalb interaktiv, weil der Kopf dabei ist. Man entschlüsselt eine Geschichte, die ähnlich wie Lost Highway oder Inland Empire nicht über eine kausale Abfolge von Ereignissen erzählt wird, sondern das emotionale Verbinden erinnerungswürdiger Momente. Denn darum geht es Cardboard: um Lebensläufe, Schicksal, die Zukunft. Und um Erinnerungen, durch die all das geprägt ist. Raum und Zeit spielen eine untergeordnete Rolle. Es geht um emotionale Zusammenhänge – ein Ansatz, den ich auch bei Lynch schätze und der den Entwicklern übrigens als Inspiration diente. Kentucky Road Zero regt zum Mit- und Nachdenken an...

... und ist vor allem visuell ausnehmend faszinierend. Die verzerrte Realität wirkt wie eine mythische Anderswelt, in die man sich mit Haut und Haaren fallenlassen kann. Über Licht und Schatten skizzieren die Entwickler starke Kontraste in monochromen Kulissen, um immer wieder auf überraschende Art in die dritte Dimension zu tauchen. Seltene Lieder fangen die Seele auf, sonst ist es abseits rauschender Radios oder geheimnisvoller Rufe weitgehend still.

Kommentare

Azazin schrieb am
Ich würde das Spiel niemanden empfehlen.
Das Hauptproblem liegt hier an der eher "künstlerischen" symbolisch, hochabstrakten Herangehensweise statt auf Erzählung einer stringenten und vor allem logischen Geschichte. Wer eine gute Geschichte erwartet wird spätestens in der Mitte von Teil drei enttäuscht, so ist es auch nicht verwunderlich das die Auflösung im letzten Teil selbst bei Fans des Spiels nicht gut ankam. Zumindest, wenn man sich die Diskussionen bei Steam anschaut.
Teil drei und besonders Teil vier waren echt eine Zumutung, vor allem verschwindet einer der zwei Hauptcharaktere am Ende von Teil vier einfach so, ohne eine richtige Weiterführung von dessen Geschichte.
Postmoderner Unsinn den ich hoffentlich schnell wieder vergessen habe. Eine Wertung von 75 würde ich für die ersten zwei Teile akzeptieren, aber als Gesamtwertung erscheint mir eher eine 50er Wertung gerechtfertigt.
Jörg Luibl schrieb am
Jup, das sind wunderbar verschrobene Orte dabei.
artmanphil schrieb am
Spiele es schon eine Weile... und ich LIEBE es. Über kein Game denke ich so oft nach, schon seitdem ich es anfing vor knapp 2 Jahren. Kann die Kritik an der mangelnden Straffheit verstehen, bin aber viel zu beeindruckt von den absurden Szenarien und der emotionalen Ahterbahnfahrt. Das Bären-Büro, das Wohnmuseum... wie geil :mrgreen:
schrieb am