Taktische Defensive
Falls dieser Test noch Fragen offen lässt: In unserem großen Fußballvergleich geht es in den vier Bereichen Präsentation, Umfang, Spielmechanik und Figurenverhalten inkl. Videos ans Eingemachte - von der Stadienzahl bis zur Flanke! |
EA hat eine Schwäche der alten Spielmechanik überwunden: die Torpedo-Abwehr. Endlich wird das inflationär eingesetzte System aufgebrochen, das zu leicht für permanenten Doppeldruck auf den Angreifer sorgte. Die neue taktische Defensive verlangt mehr Übersicht und Planung, bevor man einen Ball erobern kann. Es reicht nicht mehr aus, stur einen Knopf zu halten, denn man muss mehrere Aktionen gezielt ausführen und das Spiel im Raum besser einschätzen: Begleiten, abschirmen, dann annähern und irgendwann im richtigen Moment zum Tackling ansetzen.
Schon diese Änderung führt zwangsläufig auch zu weniger Tempo im Feld – FIFA 12 fühlt sich langsamer an als der Vorgänger. Aber das ist zunächst kein Nachteil, denn die neue Defensive erhöht langfristig die situative Spannung in den Zweikämpfen –auch, wenn sie in den ersten Matches für einige unbeholfene Situationen sorgt. Wer mit der Routine aus FIFA 11 verteidigen will, wird sich wundern und viel Lehrgeld zahlen, weil er in den ersten Partien keinen Zugriff bekommt. Man fühlt sich vor allem gegen die fast zu fehlerfrei und damit steril spielende KI wie ein Opfer des FC Barcelona, das ohne Ballbesitz verhungert; dabei kickt man auf der vierten Stufe gerade mal gegen die Hertha.
Die ersten Stunden mit FIFA schreien nach Übung, um Zugriff zu bekommen, aber sie locken auch schon mit mehr Freiheit im Angriff. Wenn man zu früh oder zu spät die Tacklingtaste drückt, stolpern Verteidiger hilflos und werden locker umspielt – das sieht sogar authentisch aus, wenn es in der Nähe eines Dribblings passiert. Diese sind jetzt auch ohne spezielle Finten effizienter, denn der Ballführende hat mehr Zeit und Raum, kann die Kugel mit seinem Körper besser gegen ein Tackling abschirmen und sich dann präziser um die eigene Achse und den Gegner drehen. Wer es trickreicher mag, kann mit dem „Elastico-Chop“ und dem „Scoop Turn“ auch zwei neue Bewegungen einleiten.
Bessere Torhüter, weniger Biss
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Die neue taktische Defensive bereichert das Spielerlebnis: Es ist nicht mehr so leicht, per Dauerpressing an den Ball zu kommen.
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All das ist auch im Strafraum möglich, wo man sich öfter als bisher im Kleinklein durchsetzen und mit kurzen Pässen oder Soli bis zum Fünfmeterraum vordringen kann. Gut, dass EA auch das Problem dieser neuen Dribbelfreiheit erkannt hat: Es gibt wesentlich mehr Abschlüsse und 1-gegen-1-Situationen vor dem Kasten, also ist es umso lobenswerter, dass man gleichzeitig die Torhüter stärker gemacht hat, denn sie entschärfen mehr Bälle – sowohl im direkten Duell gegen einen Stürmer als auch bei Schlenzern aus der Distanz (Letztere sind übrigens etwas schwieriger mit Drall zu platzieren als bisher, dafür sind Volleys leichter). FIFA findet bei den meist souverän wirkenden Torhütern dennoch einen guten Mittelweg zwischen Halt- und Fehlerquote, denn auch sie lassen Bälle mal abprallen. Und damit schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe, indem man das Spielgefühl verbessert und die Balance sichert. So weit, so gut, so angenehm frisch.
Aber die neue Defensive hat auch ihre Tücken. Zum einen sind sie rein optischer Natur: Die Tacklings sehen manchmal unfreiwillig komisch aus, wenn z.B. ein defensiver Mittelfeldspieler ohne sichtbaren Angreifer in der Nähe stolpert, nur weil man aus Versehen zu früh gedrückt hat; da hätte man evtl. einen Automatismus einbauen können, der die Animation nur in Gegnernähe zulässt. Zum anderen sind sie inhaltlicher Natur und das wiegt schwerer: Man vermisst sowohl beim neuen Abschirmen als auch dem Pressing über den zweiten Verteidiger etwas mehr Biss auf dem letzten Meter. EA hat es mit dem passiven Beobachten genau so übertrieben wie Konami mit dem aktiven Tempowechsel. Dem lethargischen FIFA will man manchmal zurufen „Gib Gas, Junge!“, dem überdrehten PES will man empfehlen „Schalt einen Gang runter, Baby!“