Von der Idylle zum Alptraum
Gerade schipperte das Mädchen noch entspannt durch eine pastellfarbene Stadt, während der Himmel strahlte und die Sonne lachte. Aber plötzlich wechselt das Wetter, das Wasser steigt, der Wind tost und aus dem freundlichen Licht wird bedrückende Dunkelheit. Hände greifen nach ihr und Monster lauern in der Tiefe. Wo soll sie hin? Sie kann eine Leuchtrakete abschießen, um den Weg zu finden.
Was idyllisch aussieht...
Diese Stimmungswechsel von der Idylle zum Alptraum gehören zu den großen Stärken dieses Abenteuers. Manchmal teilt sich das Wasser auf beeindruckende Art, manchmal versinkt die Welt in Finsternis. Und so wird auf visueller Ebene genau das inszeniert, was auf psychologischer Ebene im Kopf des Mädchens vorgeht: Sie ist einsam, hat Angst, ist emotional zerrissen, sucht nach Antworten und sich selbst.
Das einsame Monster
Man beginnt das Spiel ohne erkennbares Gesicht als schwarze Kreatur mit rot leuchtenden Augen, in einem Boot kauernd. Wie kann man sich wieder in einen Menschen verwandeln? Als Fremde erkundet man eine zunächst unbekannte Welt, zu Fuß oder über das Wasser schippernd in Schulterperspektive.
...kann sich schnell in eine Finsternis verwandeln.
Allerdings ist die Freiheit auf kleinere Areale begrenzt, denn es geht meist linear vorwärts.
Nach der Begegnung mit einem strahlenden Mädchen, das wie ein hoffnungsvoller Wegweiser agiert, setzt langsam die Erinnerung ein, wirken die Stadt und manche Figuren seltsam vertraut. Aber selbst wenn man weiß, dass man Kay heißt und in einem surrealen Berlin seiner eigenen Vergangenheit unterwegs ist, bleibt vieles angenehm rätselhaft und symbolisch.
Auch wenn die über die Unity-Engine inszenierte Kulisse auf einen Zeichentrick-Stil ohne fotorealistische Details setzt, entstehen eindrucksvolle Momente. Man fühlt sich fast an Ghibli-Filme erinnert, wenn riesige Monster auftauchen, die mal ihren Hass unverholen hinaus brüllen oder verräterisch aus der Distanz flüstern, dass man doch näher kommen soll. Manche wirken auf den ersten Blick so majestätisch und friedlich, dass Kay sich an sie schmiegt, lassen aber dann ihre Maske fallen und zischen ihre Wut hinaus.
Manchmal wird Kay auch von kleineren Monstern verfolgt.
Apropos: Es gibt lediglich englische Sprachausgabe und deutsche Untertitel, was angesichts der Berliner Bezüge sehr schade ist. Manche Texte sind widersprüchlich ins Deutsche übersetzt worden: Aus "I want to change it, change me." wird z.B. "Das muss sich ändern. Verändere mich!", so dass man das Gefühl haben könnte, dass die Heldin jemanden um Hilfe bittet. Zumal die Sprecher ja hörbar ein Englisch mit deutschem Akzent sprechen - auch wenn das vielleicht ein kleines Zugeständnis sein soll, wirkt das letztlich doppelt inkonsequent. Natürlich ist meist der finanzielle Aufwand zusammen mit dem Ausblick auf internationale Käufer ein Grund dafür, dass man sich das Deutsche spart. Aber hätte ein französisches Studio mit Schauplatz Paris auch auf seine Muttersprache verzichtet?