Unter den Wellen
Wo über den Wolken im besten Reinhard-Mey-Sinne grenzenlose Freiheit lockt, da verbindet der Mensch die Welt unter Wasser meist mit anderen Empfindungen: Im besten Fall wird das Submarine als geheimnisvoll oder unbekannt wahrgenommen, vielfach ist die Konnotation ein viel Negativere. Unter dem Meeresspiegel ist es dunkel, bedrohlich und natürlich fehlt die Luft zum Atmen. Themen wie Klaustrophobie und die Angst vor dem Ersticken quetschen sich zwangsläufig mit unter den Taucherhelm. Zudem hängt unser Überleben dort entweder von fragilem technischem Equipment ab oder der Mensch ist, selbst mit Flossen ein plumper Schwimmer bleibend, den schnappenden Kiefern und rankenden Tentakeln der Meeresbewohner ausgeliefert. Ganz weit unten, in der Abyssalebene, schließlich lauert schier extraterrestrischer Horror– kein Ort der Erde ist so schlecht erforscht, keine andere Zone so nah dran am lebensfeindlichen Vakuum des Weltalls, nirgendwo sonst gibt es so ungewöhnliche Lebewesen. Und wenn man denen doch entkommt, dann platzt dem hastenden, der Luft verheißenden Oberfäche zueilenden Menschlein auch noch buchstäblich der Kopf…
Löst das nicht sofort Lust bei euch aus, den virtuellen Ozean zu erkunden?
Seit Luc Bessons Rausch der Tiefe (1988) ist Thema des Unterwasser-Abenteuers in der westlichen Popkultur angekommen, und natürlich gibt es noch den Übervater Jules Verne mit seiner Proto-Science-Fiction 20.000 Meilen unter dem Meer (1869). Auch das Videospiel setzt sich immer wieder mit dem Thema auseinander: Mal sehr spielerisch wie in
Ecco the Dolphin, mal edukativ angehaucht wie in den lehrreichen Wii-Abenteuern
Endless Ocean.
ABZÛ rückt die Ästhetik der Unterwasser-Flora und -Fauna in den Fokus,
Soma lässt das Blut in den Adern kochen,
Silt kommt ganz ohne Blautöne daher und die
Subnautica-Titel stressen euch mit allen Aspekten des maritimen Überlebenskampfes. Bald schon möchte sich Under the Waves in diese Phalanx der klangvollen Namen einreihen – wiederum mit einem ganz anderen Ansatz: Wir haben es mit einem behäbigen Erkundungsabenteuer zu tun, das zwischen Walking Simulator, klassischem Adventure und U-Boot-Simulation mäandert – und dabei gekonnt Retro-SciFi-Chique mit menschlichen Dramen und übernatürlichen Erscheinungen kombiniert. Auf der Gamescom war der frisch angekündigte Titel bereits 30 Minuten lang spielbar – kommt mit auf einen erquickenden Vorschau-Tauchgang…
Der Mensch hinter der (Taucher-) Maske
Stans Heimat für die nächste Monate: eine Unterwasser-Station mit dezentem Retro-SciFi-Chique.
Ich habe im Intro-Text einen doppelten Aha-Moment versprochen, dazu müsst ihr erstmal etwas zur Spielfigur wissen. Man spielt den Berufstaucher Stan, der sich einem einsamen und nicht ungefährlichen Job in den Tiefen der Nordsee verschrieben hat. Nach einem persönlichen Verlust will er seinen Leben neu sortieren – das klingt ein Stück weit ernst, fast melancholisch, aber das Papier einer Pressemitteilung ist halt auch geduldig. Mit meinen Händen am Controller erfahre ich erstmal nicht viel über Stan. Ich schaue ihm über die Schulter wie er in den Tauchkäfig steigt, um in die Fluten hinabzufahren. Unten angekommen lenke ich seine langsamen Schritte über einen Gitterweg in einen geflutete Unterwasserbasis. Geschick wird kaum verlangt, Kombinationsgabe und Gespür für die Wegfindung immerhin ein bisschen. Was ich sonst noch so tue, darauf komme ich gleich zu sprechen.
Stan ist auf der Suche nach der Moon, seinem Unterwassergefährt. Der cartoonig-verzerrte Stil der Figuren sorgt in Kombination mit der Lichtbrechung unter Wasser für einen aparten Look.
Doch auch nach 15 Minuten ist mir Stan seltsam fremd, sein comichaft überzeichnetes Gesicht hab‘ ich nur ganz am Anfang gesehen, seitdem fühlte er sich wie eine Verlängerung meines Controllers in die Unterwasserwelt an, aber nicht wie ein Charakter. Erst im letzten Drittel der Demo, Stan ist mittlerweile in der gut eingerichtete Basisstation angekommen, kommen wir uns näher. Zuerst erledigt er ein paar Routine-Dinge, dann setzt sich der bärtige Arbeiter mit müden Augen hinter einen Monitor und führt ein Bildtelefonat mit seiner Partnerin. Das durch unzählige Seemeilen (und vielleicht noch ein paar andere Dinge) getrennte Paar spricht über die eigene Beziehung, über die Auszeit, die Stans Job mit sich bringt. Und über die Ungewissheit, wie es danach weiter geht. Und da macht es Klick: Nach nur ein paar Dialogzeilen sind Stan und ich verbundene Seelen. Denn Stan ist ein normaler Mensch mit normalen Problemen. Stan ist wie ich. Kein Zombiejäger oder Fantasy-Krieger. Deshalb fühle ich mit ihm, deshalb will ich sofort wissen, was hinter den Problemen der beiden steckt, was passiert ist und ob die Dinge überhaupt noch zu kitten sind. Ich muss Under the Waves unbedingt spielen – so viel ist jetzt schon klar.