Mit dem Vorschlaghammer
Wäre, wäre, Fahrradkette: Hätte es 2010 nicht den skandalösen Vorfall West-Zampella gegeben, wo die beiden Infinity-Ward-Mitarbeiter vor die Tür gesetzt wurden und einen stattlichen Anteil an Call-of-Duty-Mitarbeitern zu EA mitnahmen - tja, womöglich sähe die Rolle von Sledgehammer Games in der Spieleindustrie ganz anders aus. Damals musste das junge, von den
Dead Space-Stars Schofield und Condrey gegründete Studio seinen Prototyp eines Third-Person-Abenteuers im Call-of-Duty-Universum über Bord werfen, um Infinity Ward bei der Entwicklung von
Modern Warfare 3 zur Seite zu springen. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen - MW3 war eine immens spektakuläre Angelegenheit, hatte einen starken Koop-Modus und verkaufte sich wie geschnitten Brot. Und Sledgehammer Games wurde zum dritten Studio im Entwickler-Triumvirat befördert, sollte alternierend neben Infinity Ward (Modern Warfare) und Treyarch (Black Ops) die Hauptepisoden der Reihe programmieren. Beide Serienteile, die seitdem auf das Konto von Sledgehammer gingen, waren technisch wie spielerisch durchaus anständig, zählen im Serienkanon aber zu den schwächsten Auftritten:
Advanced Warfare enttäuschte trotz des damals noch nicht in Ungnade gefallenen Kevin Spacey mit einer drögen Geschichte und
WW2, die mit Spannung erwartete Rückkehr zum Zweiten Weltkrieg, war etwas arm an Abwechslung und Höhepunkten.
Vanguard hetzt über den Globus hin und her, um die bekanntesten und wichtigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs auf den Bildschirm zu bringen
Nach kreativen Differenzen mit Raven - Sledgehammer sollte eigentlich schon bei
Cold War eine wichtigere Rolle einnehmen - geht der Staffelstab 2021 also wieder an Sledgehammer; und erneut entschied man sich dort für das Sujet Zweiter Weltkrieg. Eine naheliegende und etwas mutlose Entscheidung? Sicher. Aber dennoch ein Szenario, das abseits der ausgetrenenen Pfade einen schier unendlichen Fundus an dramatischen Geschichten böte. Das war ich bisher vom Spiel gesehen habe, lässt aber leider jegliche Hoffnung im Nu verschwinden, dass dieses Studio mal einen anderen Blick auf diese Ära der Geschichte wagt. Stattdessen regiert, einmal mehr das Höher, Schneller, Weiter - vom Pazifikkrieg über den Russland-Feldzug, von der Westfront bis nach Nordafrika - Vanguard hetzt über den Globus hin und her, um die bekanntesten und wichtigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs auf den Bildschirm zu bringen. Meine Frage an die Macher, warum sie erneut diesen sehr konservativen Ansatz wählen, wurde im Online-Interview zwar nicht beantwortet - die Gründe liegen aber auf der Hand: Lieber zum wiederholten Male die großen Schlachtenpromis nutzen, um eine größtmögliche Zahl an Spielern anzusprechen! Wer will schon virtuell dabei sein, bei den Verbrechen der Kaiserlich Japanischen Armee in der Mandschurei, dem Aufstand im Warschauer Ghetto oder der Eroberung Kretas durch Fallschirmspringer der Wehrmacht?
Down the barrel?
Man wolle sich auf ein besonders tolles „Gunplay“ konzentrieren. Na das ist ja eine Überraschung...
Die Redewendung „down the barrel“ als Schlagwort für die Spielerfahrung in Call of Duty: Vanguard fiel in der Online-Präsentation gleich mehrfach: „down the barrel“ heißt soviel wie „in den Lauf“ und wird zum Beispiel verwendet, wenn es darum geht, eine dramatische Bedrohungsituation zu beschreiben, weil der Protagonist direkt in den Gewehrlauf eines Feindes blickt. Für mich klingt das wie eine hohle Phrase, die das ebenso wertlose PR-Motto „boots to the ground“ aus früheren Episoden ersetzt. Man wolle sich auf ein besonders tolles „Gunplay“ konzentrieren. Na das ist ja eine Überraschung: Dann weiß ich jetzt, dass der Entwickler darum bemüht ist, dass sich die Ballereien besonders dreckig, intensiv und „visceral“ (immer wieder dieses Wort!) anfühlen - welch’ ein Erkenntnisgewinn. Es gibt meiner Meinung beim Thema Zweiter Weltkrieg im Videospiel einen gewissen Ballast: Ich muss sofort immer an die ollen Repetiergewehre und den Rest der betagten Ausrüstung denken. Die in puncto Schussfrequenz, technische Optionen, Aussehen und wohl auch „Coolness“ - ein unpassendes Wort, aber angesichts der Beliebheit von Skins angebracht - nicht mit dem Kram mithalten können, den mir ein Modern Warfare in die Hand gibt. Sledgehammer hat sich dafür eine kluge Ausrede einfallen lassen: Sie deuten den Zweiten Weltkrieg als Geburtsstunde der top ausgerüsteteten Spezialeinheiten. Sicher kein Zufall, prägen diese doch seit Jahren das Bild des Videospiel-Soldaten.
Drei Männer und eine Frau, allesamt inspiriert von echten Kriegsteilnehmern, sollen ihre herausragenden Fähigkeiten (z.B. Snipern, Flugzeuge lenken) nutzen.
Das Storygerüst ist darauf zugeschnitten: Eine Vierergruppe besonders gut ausgebildeter, wagemuter Einzelkämpfer aus verschiedenen Ländern und Einheiten bildet diesen Urtyp der Special-Force-Einheit, um den fiktiven Gestapo-Chef Heinrich Freisinger im umkämpften Berlin der letzten Kriegstage zu Fall zu bringen. Drei Männer und eine Frau, allesamt inspiriert von echten Kriegsteilnehmern, sollen ihre herausragenden Fähigkeiten (z.B. Snipern, Flugzeuge lenken) nutzen, um den Nazi-Antagonisten und sein Projekt Phoenix aufzuhalten. „ordinary become extraordinary“, also „gewöhnliche Menschen werden zu außergewöhnlichen“ schwappt mit als nächste Floskel entgegen: Man haben sich von den inspirierenden, heldenhaften Taten echter Soldaten Anregungen für das Spiel geholt. Tja, dann muss ich meine Hoffnung, endlich mal ein verzweifeltes, ausssichtsloses, deprimierendes Kriegs-CoD erleben zu können, erneut um ein Jahr vertrösten. Krieg ist scheiße, Krieg tötet, schafft Leid, zerreißt Familien, lähmt Nationen, schürt Hass und produziert nicht nur Leichenberge sondern auch noch ein Vielfaches davon an Schrott und zerstörter Infrastruktur. Das was Indie-Kriegsspiele schon seit Jahren einigermaßen erfolgreich transportieren oder auch ein
The Darkness mit einem kurzen Ausflug hinbekommen hat, das werde ich auf AAA-Niveau unter dem CoD-Banner von Activision wohl nie bekommen…