Erkundung ist Trumpf
Das Motivierende an der Reise ist zudem, dass Straßen und Transportmittel nicht automatisch angezeigt werden, sondern erst entdeckt werden müssen – entweder, indem man entsprechende Karten kauft, mit Fahrern spricht oder eine Stadt erkundet. Hat man die Information für die Route, breiten sich auf dem frei dreh- und zoombaren Globus neue rote Adern aus. Ein schöner Moment! Aber Karten sind rar gesät und was bringen einem die Abfahrtzeiten im Indischen Ozean schon in Frankreich? Also sollte man überlegen, ob man die kostbare Zeit von vier Stunden opfert und tatsächlich durch die Stadt schlendert.
In diesem Moment beginnt dann ein kleines Rollenspiel wie in einem Abenteuer-Spielbuch, indem man sich in den
Während der Reise kann man ebenfalls entscheiden: Ein Plausch mit dem Schaffner oder sich lieber um seinen Meister kümmern?
Gassen von Paris, Moskau oder San Francisco in Multiple-Choice-Dialogen für Antworten entscheidet. Nur so findet man vielleicht heraus, dass es neben der Standardroute noch eine schnellere oder günstigere Variante gibt. Wenn man bedenkt, dass es 144 Städte gibt und man fast überall nicht nur andere Wege und Vehikel aufdecken, sondern auch lokale Anekdoten erleben kann, dürfte der enorme Umfang an Text deutlich werden. Der Wiederspielwert ist alleine aufgrund dieser Verzweigungen enorm.
Ihr müsst nicht nur die richtigen Fahrzeuge von Auto über Schiff bis Flieger wählen, darunter auch exotische Vehikel wie Dampfpferde oder Unterwasserbahnen, sondern wie in einem Rollenspiel viele Entscheidungen in Extremsituationen treffen, die sich entweder sofort oder etwas später auswirken. Da man quasi Konkurrenten hat, sollte man sich gut überlegen, ob und wo man das Ziel seiner Reise ausplaudert; außerdem lauern Banditen und Piraten auf sorglose Reisende. Für Wettbewerbsflair sorgt auch die Anzeige anderer Spieler, die gerade online sind – so sieht man z.B., dass jemand schon zwei Tage früher in Japan gelandet ist.
Der Text als visuelles Stilmittel
Wie schon in Sorcery nutzen die inkle Studios auch die Visualisierung des Textes als Stil- und Spannungsmittel. Man
Auf dem frei dreh- und zoombaren Globus ergeben sich immer neue Routen.
bekommt also nicht einfach ein Menü mit möglichen Antworten, sondern tippt und scrollt sich von oben nach unten durch Gespräche und Situationen; aufgrund dieser vertikalen dynamischen Darstellung „enthüllt“ man quasi schon beim Lesen. Und die Texte erreichen allerhöchstes Niveau, nicht nur hinsichtlich des gediegenen britischen Stils und des süffisanten Humors, sondern auch aufgrund der vielen liebenswerten oder dramatischen Anekdoten sowie der aktiven Beeinflussung von Situationen. Man kann über seine Antwort quasi mitbestimmen, wie bestimmte Personen auftreten oder Szenen wirken. Das ist eine wunderbare Art, die Fantasie des Spielers an der Erkundung zu beteiligen, denn man formt die Welt ein wenig mit.
Auch die offene Struktur der Dialoge überzeugt: Man fühlt sich wie in einem Rollenspiel, wenn sich nach einer vermeintlich schlichten Antwort plötzlich ganz neue Möglichkeiten ergeben, die wiederum zu neuen Entdeckungen führen. Man kann z.B. seine Zeit auf der Reise mit dem Schachspielen oder dem Blick nach draußen verbringen; wählt man Ersteres trifft man vielleicht einen französischen Soldaten und kann etwas Geld gewinnen oder sich eher langweilen. Selbst wenn man weniger lukrative Antworten wählt, kann sich mitunter etwas ergeben – und weil man so oft so kreativ überrascht wird, entsteht eine anspruchsvolle Lektüre. Es gibt erotische Flirts und böse Überfälle, magische Handwerker und miese Hehler,
Die Geschichte ist hervorragend geschrieben und ihr könnt sie mit euren Antworten beeinflussen.
wortkarge Schaffner und redselige Kapitäne. Ihr mögt historische Abenteuer à la Jules Verne oder Steampunk-Parallelwelten? Dann freut euch auf viele Anspielungen und eine fein ausgearbeitete Hintergrundwelt, die auch aufgrund der Kriegsgefahr, der Roboter-Thematik und einiger Spionage-Scharmützel lebendig wirkt.
Dezentes Artdesign
Das Artdesign beschränkt sich auf das Wesentliche, wirkt dabei unheimlich dezent und klar strukturiert. Es gibt zwar lediglich schlicht gezeichnete Figuren und Vehikel sowie wenige Farben. Allerdings sorgt gerade dieser Stil für eine gediegene Atmosphäre. Mit den bewegten Wolken am Rand hat man übrigens ein ansehnliches Element aus Sorcery! übernommen. Auch die Musik trägt mit ihren mal wehmütigen, mal heroischen Klängen viel zur Jules-Verne-Stimmung bei.