Wenn man an die Wii denkt, an was denkt man da als erstes? Na klar lausige Minispielsammlungen mittelmäßiges PS2-Portierungen und ?Fuchtelsteuerung?.
Dass dieser kleine weiße Kasten aber dafür sorgt, dass sich Genres auf Konsolen niederlassen, die sonst nur auf dem PC heimisch sind, wird meist verschwiegen.
Eines dieser Genres ist das (Click and Point-)Adventure, welches nun mit Another Code R: Auf der Suche nach der verborgenen Erinnerung einen würdigen Vertreter ins Rennen schickt. Another Code: R wurde von CING entwickelt, die auch schon Another Code: Doppelte Erinnerung und Hotel Dusk: Room 215 für Nintendo DS entwickelten. Diese beiden Spiele zählen zu den besten auf dem Handheld.

Another Code R ist der direkte Nachfolger von Another Code: Doppelte Erinnerung. Die Story ist 2 Jahre nach den Ereignissen auf der Blood Edward-Insel angesiedelt. Die Heldin des Spiels Ashley Mizuki Robins lebt wieder bei ihrer Tante und Ziehmutter Jessica. Ihr leiblicher Vater, Richard, spielt wieder das, was er am besten kann: Rabenvater. 6 Monate hat seine Tochter ihn nun nicht mehr gesehen. Ihm scheint wohl die Arbeit wichtiger zu sein, als sein eigen Fleisch und Blut. Kurz vor dem Musikwettbewerb ?Be the Band? erhält Ashley ein Paket mit einer neuen Version des DAS (dem DSi verdächtig ähnlich) und eine Einladung ihres Vaters zum Lake Juliet. Die nun 16-jährige Ashley hat darauf natürlich überhaupt keinen Bock und möchte lieber mit ihrer Band für den Wettbewerb üben. Doch Jessica überredet sie und so macht sich Ashley mit dem Bus auf zum Lake Juliet. Dort angekommen wird ihr als erstes ihre Tasche gestohlen. Wollte ihr Vater sie nicht abholen? Selbst ist die junge Frau und so beginnt ein weiteres Abenteuer mit Ashley, in der die Wahrheit über den Tod ihrer Mutter Sayoko und das Projekt ?Another? in 9 Kapiteln aufgedeckt werden.

Another Code R wird als interaktiver Roman angepriesen und genau das ist es auch!! Wer hier ein Spiel erwartet bei dem einen die Texte vorgesprochen werden, liegt komplett daneben. Das gesamte Spiel hat keine Sprachausgabe, was dem ?Roman? natürlich am nächsten kommt. Viele werden dies als Negativpunkt ansehen, da gerade andere Vertreter des Genres (?Baphomets Fluch? oder ?Geheimakte: Tunguska?) eine Sprachausgabe lieferten, der Atmosphäre tut dies aber keinen Abbruch. Das Gegenteil tritt eher ein, der Spieler wird viel tiefer ins Spiel gezogen.
Wo wir schon beim Thema Atmosphäre sind, selten schaffen es Videospiele eine solch dichte Atmosphäre aufzubauen und den Spieler an den Bildschirm zu fesseln. Nach und nach werden neue Fakten aufgedeckt, unterstützt von den Flashbacks Ashleys, die sich in regelmäßigen Abständen an ihre Mutter erinnert und damit ein weiteres Puzzleteil zu ihrer eigenen und der Vergangenheit ihrer Mutter hinzufügt.
Die einzelnen Charaktere des Spieles sind liebevoll in Szene gesetzt und tragen zur Atmosphäre bei. Sei es nun der gutherzige Ranger Dan, die grantig wirkende Charlotte Graham oder die verwöhnte, pubertierende Elizabeth. Alle Nebencharaktere tragen ihren Teil zu Story bei und keiner wirkt deplatziert.
Doch wenn die Atmosphäre schon gut ist, muss man dann zwangsweise Abstriche in der Technik machen? Mitnichten! Die Grafik ist liebevoll gemacht und gehört wohl zum Besten, was man in letzter Zeit auf der Wii sehen durfte, auch oder gerade wegen dem Cell-Shading-Anime-Look. Die Charaktere sind sehr gut animiert und die emotionalen Reaktionen kann man wunderbar an den Gesichtern der einzelnen Charaktere ablesen. Die Musik, die man im Verlauf des Spiels auch auf einem MP3-Player anhören kann, plätschert vor sich hin, wird aber nie nervig und passt perfekt zum Spiel. Ebenso die Soundeffekte, die aber nicht die Qualität der Hintergrundmusikerreichen.
Einen Kritikpunkt gibt es aber doch, die Rätsel. Diese sind im Allgemeinen zu einfach und meist mit etwas überlegen zu meistern. Nur sollte man nicht zu kompliziert denken, denn sonst wird aus einem leichten Rätsel eine harte Nuss. Oder wie soll man nur eine 3 eingeben? Sonst wird man vom Spiel immer auf die richtige Spur zur Lösung gebracht. Bei den Rätseln hat man leider etwas Potenzial verschenkt.
Da das Spiel komplett nur mit der Wii-Fernbedienung gesteuert wird, sind die Rätsel dem entsprechend aufgebaut. Sei es nur der pH-Test oder die Schloss-Knack-Rätsel mit dem TAS (einer Wii-Fernbedienung). Mit den entsprechenden Bewegungen und der richtigen Betätigung der Buttons ist die Steuerung kein Problem. Ashley bewegt sich außerhalb von Räumen oder einzelnen Gebieten meist auf vorgegebene Bahnen. Sonst kann man sie immer um 90° drehen und sich einen Überblick über die einzelnen Gebiete machen. Wichtige Gegenstände, die man irgendwann benötigt werden allerdings erst dann aufgenommen, wenn man einen Hinweis auf deren Benutzung hat. Das schont zum einem die Item-Menü-Übersicht, dient aber auch dem oben beschrieben Hinführen zu den Lösungen der Rätsel, da man fast nie Gegenstände im Inventar hat, die man nicht benötigt oder an andere Charaktere weitergeben muss/kann. Alle Spieler, die einmal mit Phoenix Wright im Gerichtssaal standen, wissen, was ich meine.
Am Ende eines jeden Kapitels kommt es zu einer Zusammenfassung, deren Antworten allerdings keinen Einfluss auf das Ende des Spiels haben, ebenso die einzelnen Entscheidungsmöglichkeiten während der Dialoge. Dass dies besser geht hat CING selbst schon bewiesen.

Hat es CING nun geschafft, und der Wii eine Adventure-Referenz spendiert? Leider nein, dafür ist der Rätsel-Anteil im Spiel einfach zu gering. Die Länge geht vollkommen in Ordnung 15-17 Stunden sollten auch geübte Spieler spielen müssen, um den Abspann zu sehen. Natürlich ist dies durch den hohen Dialog-Anteil bedingt. Aber es ist ein Roman, ein sehr unterhaltsamer und spannender noch dazu. Das Geld ist trotz aller Schwächen des Titels gut investiert und Another Code: R sollte sich kein Adventure-Fan entgehen lassen. Alle die den Vorgänger ihr Eigen nennen, sollten eh zugreifen.

Zwar werden mit diesem Teil alle offenen Fragen geklärt, aber vielleicht gibt es irgendwann ein Wiedersehen mit Ashley Mizuki Robins. Ich würde es mir wünschen?