Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 15
Freitag, 10.04.2009

Per Anhalter in die Spielezukunft XV


Mann oder Memme?

Vor mir baumelt der Schlüssel im Zündschloss - nur ein Handgriff und ich könnte Gas geben. Weg von hier, den ganzen Scheiß und Jack hinter mir lassen, aus und Game Over. Rechts neben mir liegt die Kettensäge - nur ein Handgriff und ich könnte den Helden spielen. Hier bleiben, den nächsten chaotischen Level betreten, Jack retten, raus und Bosskampf.

Mann oder Memme?

Plötzlich schleicht sich eine kleine Fußnote in mein Gehirn, die der eifrige Baumarktverkäufer mit seinem dämlichen Grinsen hinterlassen hat: Das ist eine kleine Schönheit zu einem klasse Preis, nicht wahr? Eine 1,5kW-Benzinmotorsäge mit Kettenschnellspannung und ErgoStart. Einmal kurz hier vorne entsichern und los geht's! Da kann noch so viel Unkraut kommen, dieses Baby räumt den Garten auf. Selbst Mädchen müssten sie zum Schnurren bringen.

Ein schneller Blick aus dem Fenster: Die drei Typen mit Elektroschlagstöcken sind nur noch ein paar Meter vom Buick entfernt.

Mann oder Memme?

Mann!

Ich greife hektisch zur Seite, meine rechte Hand umfasst den grellgrünen Griff. Der Kunststoff fühlt sich gut an, ich spüre sofort Grip, schließe die Augen und atme durch. Okay, jetzt muss sich das Schnäppchen beweisen!

Ich stoß die Tür auf, wuchte mich in die Nacht und ein letzter Funken Verstand in mir beobachtet voller Entsetzen, wie ich die Tür zuknalle, mich breitbeinig hinstelle und entsichere. Auch die drei Datenschützer halten inne und kommen langsam näher, einer frontal, zwei an den Seiten. Sie sehen in ihren aschgrauen Uniformen aus wie Wölfe.



"Per Anhalter in die Spielezukunft" ist eine Fortsetzungsgeschichte, die alle 14 Tage erscheint. So lange, bis Jack der Sprit ausgeht oder die Welt gerettet wurde. Was bisher geschah:

Kapitel I - Das gelbe Taxi

Kapitel II - Der Spielehistoriker

Kapitel III - Tennis for Two

Kapitel IV - Der Feuerwehrmann

Kapitel V - G.R.I.N.

Kapitel VI - Der Spieleshop

Kapitel VII - Die alte Frau & das Bild

Kapitel VIII - Verrat im Regen

Kapitel IX - Jack is back

Kapitel X - Wahrheit oder Pflicht?

Kapitel XI - Der Alptraum

Kapitel XII - Whiskey im Buick

Kapitel XIII - Der Traum wird wahr

Was zuletzt geschah:

Kapitel XIV - Kampf an der Tanke

Erst jetzt kann ich sie genau sehen. Erst jetzt erkenne ich Augenpaare hinter Schutzvisieren, erst jetzt erkenne ich, wie groß die Typen in ihren schweren Stiefeln sind. Und sie sind so nah, dass mir die sechs blutrot gestickten Buchstaben über der schwarzrotgoldenen Flagge fast ins Auge springen:

B K f i B U.

Der Typ ganz vorne herrscht mich routiniert an:

"Leisten Sie keinen Widerstand. Legen Sie beide Hände auf den Wagen!"

Sein Befehlston lässt mich einen Schritt zurück weichen. Ich spüre sofort den Buick im Rücken. Scheiße, es gibt kein Zurück mehr. Warum müssen gerade jetzt meine Knie wackeln? Und wieso werden meine Handflächen feucht?

Dann höre ich Jack. Es ist ein kurzer, gequälter Schrei. Wie kann sich dieser Bär von einem Mann nur so anhören? Was haben sie ihm angetan? Und wie kann ich hier so tatenlos rumeiern? Plötzlich überkommt mich der heilige Retter aller In-die-Ecke-Gedrängten wie eine heiße Welle - die Wut: Ich drücke den Startknopf, der Motor heult auf und die zwei Männer an der Seite weichen im Angesicht der Kettensäge einen Schritt zurück.

Der Typ ganz vorne zuckt nur kurz zusammen, bleibt aber stehen und hebt beschwichtigend die linke Hand in meine Richtung, während er mit der rechten hektisch seinen schwarzen Knüppel umfasst. Das Ding glimmt und knistert verräterisch hinter seinem Rücken.

"Machen Sie keinen Unsinn, wir sind im Auftrag von..."

"...Arschlöchern unterwegs!"

Der Benzingeruch in meiner Nase und das metallische Rattern in meinem Ohr geben mir Mut. Aber die Augen hinter dem Schutzvisier funkeln mich an. Der Mann ist einen Kopf größer und bedeutend kräftiger als das, was da so frech in Jeans und T-Shirt vor ihm steht.

"Jetzt hören Sie mal zu: Wir sind Datengrenzer, die im Auftrag der Bundesbehörde..."

"Ihr könnt mich mal! Meinetwegen könnt ihr auch offizielle Bundesarschlöcher im Namen des Herrn sein. Wenn ihr noch einen Schritt näher kommt, dann kann ich für nichts garantieren. Ist das klar?"

Plötzlich duzt er mich. Und in seiner Stimme ist nichts Offizielles, nichts Beschwichtigendes mehr - er will mich nur noch einschüchtern:

"Also auf die harte Tour, ja? Ich weiß ja nicht, was du mit der kleinen Gartenschere da anfangen willst, Bürschchen. Aber wir sind drei, du bist einer - genau genommen ein halber. Und weißt du, wie viel Volt in diesem Knüppel steckt?"

Der Typ tauscht kurz Blicke mit seinen beiden Kollegen. Dann greifen sie gleichzeitig an. Ich kann zuerst nur seinen rechten Arm vor mir sehen, der wie eine Schlange auf mich zu schnellt. Ich ziehe instinktiv die Kettensäge von unten nach oben, wie bei einem Rückhandschlag à la McEnroe. Sie ist angenehm leicht und knurrt wie ein wütender Hund, bevor sie mit voller Klingenbreite den Unterarm trifft. Der Typ schreit wie am Spieß, der Knüppel fällt zu Boden und irgendetwas klatscht mir an Stirn und Wange.

Ich spüre einen Luftzug am Ohr, rieche verbranntes Haar, dreh mich schnell nach rechts und stoße einfach blind zu - Klingen ratschen, Leder schmatzt, Stoff reißt, dann ein Schrei. Ein hektischer Blick nach links - der letzte Grenzer steht wie ein begossener Pudel herum, starrt abwechselnd mich und seine Kollegen an. Einer kniet wimmert am Boden, über seinen Stumpf gebeugt, der andere presst mit beiden Händen auf den blutenden Oberschenkel.

"Er hat es wirklich gemacht! ER IST WAHNSINNIG!"

"Lass deinen Scheiß Knüppel fallen!"

Mir wird übel, als ich die abgetrennte Hand auf dem Asphalt und den Schlitz der offenen Fleischwunde sehe. Für einen Augenblick überkommt mich ein Schwindelgefühl. Aber der Typ bemerkt scheinbar nichts davon und lässt seinen Knüppel widerstandslos fallen.
"Was habt ihr mit Jack gemacht?"

"Er...er ist gesichert. Die Datenobersekretärin kümmert sich um ihn."

"Was heißt kümmern?"

"Er wird mit UBT markiert und soll abgeführt werden."

Das Adrenalin und die Wut verabschieden sich. Ich öffne mit weichen Knien die Tür des Buick.

"Los, schmeiß sie da alle rein!"

"Wie? Wen?"

"Na diese Scheiß Knüppel!"

Als der Datengrenzer den letzten Knüppel in den Buick geworfen hat und zurück taumelt, steige ich ein. Die Kettensäge landet auf dem Beifahrersitz, ich beuge mich noch einmal raus:

"Du kommst keinen Schritt näher und kümmerst dich hier um deine Kollegen, ist das klar?"

Dann dreh ich den Zündschlüssel, lass den Motor aufheulen und geb Gas. Ich fahr direkt auf das Kabuff zu, direkt zu der Stelle, wo ich Jack gesehen habe. Schon nach ein paar Metern erfassen die Scheinwerfer die Situation: Jack liegt wie erlegte Beute am Boden, die Zangen-Alte steht daneben und qualmt in aller Seelenruhe. Ich verlangsame das Tempo. Sie deutet auf eine Stelle neben Jack, schmeißt ihren Glimmstengel weg und wendet sich ab.

Aber ich halte direkt auf sie zu. Zunächst schaut sie nur verwirrt und verärgert - dann scheint sie zu erkennen, wer da am Steuer sitzt und hetzt wie ein aufgescheuchtes Huhn Richtung Kabuff. Ich drücke das Gaspedal durch, gehe erst kurz vor dem Gebäude voll in die Eisen.

Erst jetzt bemerke ich, dass ich gar nicht angeschnallt war und krache mit dem Brustkorb frontal gegen das breite Lenkrad. Für einen Augenblick wird mir Schwarz vor Augen. Der Buick kommt nur widerwillig mit quietschenden Reifen zum Stehen. Es riecht nach Gummi, als ich etwas benommen die Tür öffne und nach Luft schnappe - von der Alten ist nichts zu sehen.

Jack liegt bäuchlings wie ein Riesenkäfer am Boden. Er scheint gefesselt zu sein, aber er atmet. Auf seinem Rücken glänzt das Metall von Handschellen. Ich hol die Kettensäge aus dem Buick und schau mich nochmal um. Wo ist die Frau bloß hin? Hat sie sich versteckt? Egal, wir müssen weg.

"Jack, kannst du mich hören?"

"Ähm...Junge, bist du das?"

"Ja, wenn du mal bitte deine Arme steif machen und sie so weit wie möglich auseinander halten würdest?"

Ich starte die Kettensäge. Jack zuckt kurz zusammen.

"Hey, gaaaanz vorsichtig, Junge! Gaaaaanz vorsichtig, ja? Du wirst dem alten Jack doch nicht weh tun, oder?"

"Nein, jetzt mach schon."

Die Kettensäge frisst sich nur widerwillig durch das Metall. Aber die Handschellen sind weder aus Stahl noch aus besonders festem Material. Nach ein paar kräftigen Kontakten springen die Glieder Funken sprühend auseinander. Jack ist frei. Er wälzt sich auf die Seite und kommt nur langsam auf die Beine. Seine Nase ist ein blutiger Trümmerhaufen, sein Gesicht voller Schwellungen.

"Verdammt, das war knapp, carnale! Vielen Dank, Mann."

"Passt schon. Kannst du laufen, Jack?"

"Bis zum Buick wird's schon gehen."

Als ich Jack unter die Arme greife und halb tragend, halb hinkend zum Wagen schleppe, habe ich das Gefühl, einen alten Gorilla zu stützen - verdammt, ist der Mann schwer. Und er riecht wie ein Moschusochse.

"Du musst fahren, Junge. Und zwar schnell - sie werden Verstärkung anfordern."

Nach einer halben Ewigkeit erreichen wir die Beifahrertür des Buick. Jack öffnet sie, wuchtet sich hinein und stöhnt auf.

"Los, Junge, wir müssen weg! Die Bibus werden hier irgendwo ihren Datenwagen geparkt haben."

Ich dreh mich um, ignoriere Jacks Warnungen.

"Was machst du? Wir haben verdammt noch mal keine Zeit!"

Es ist mir egal. Meinetwegen sollen die Bibus mit Kampfhubschraubern landen und Panzer auffahren. Scheiß doch drauf. Ich brauche endlich Gewissheit.

"Doch. So viel Zeit muss sein, Jack."

Ich gehe langsam zum Kofferraum. Jack schaut mir verständnislos hinterher. Unsere Blicke treffen sich noch einmal durch die Heckscheibe des Buick: Er wirkt müde, abgekämpft, fertig. Er sieht aus wie ein verschwitzter Wario nach einem verlorenen Bosskampf. Er verzieht sein Gesicht, als meine Finger den Öffnungsmechanismus betasten.

Mein Herz muss vor Panik ein paar Stockwerke höher geklettert sein, denn es pocht direkt in meinem Ohr, ein lautes und dumpfes Bumbum-Bumbum-Bumbum. Ich fühle mich wie beim ersten Sprung vom Zehnmeterbrett. Jetzt oder nie. Ich drücke zu, es macht Klick, der Kofferraum springt wie ein Messer auf und ich starre ungläubig auf die Überreste meiner Vergangenheit.


To be continued...


Jörg Luibl
Chefredakteur

 

Kommentare

MoonSceAda schrieb am
DoktorAxt hat geschrieben:
AEV-Fan hat geschrieben:
Klar hätte man diese Aktion dem Protagonisten so nicht zugetraut. Aber es wäre ja auch langweilig, wenn alles so eintrifft, wie man es sich ausmalt. Zudem: Wenn man panisch unter Adrenalin steht ist nahezu JEDER zu Kurzschlussreaktionen fähig, die er sich nichtmal selbst zutrauen würde...
Darum geht es ja auch gar nicht. Es ist nur wichtig Glaubwürdigkeit herzustellen. Den Helden in eine solche Aktion geraten lassen ist super, aber es ist einfach viel Glaubwürdiger und im Sinne des Charakters stimmiger, wenn er mit der Kettensäge in der Hand Muffensausen bekommen hätte oder direkt im Buik abgehauen wäre. Er hat Jack schon einmal verraten (vor dem Spielegeschäft) warum nicht noch einmal?
Es geht darum einem Charakter bestimmte Züge zu geben, die sich in ungewöhnlichen Situationen zeigen. Hier wurde ein völlig unlogischer und charakterfremder Zug in einer ungewöhnlichen Situation angewendet und damit wurden in meinen Augen Spannung und Atmosphäre zum Zwecke einer spektakulären Actionszene gekillt. Schade!
Ich muss sagen du redest aber auch ziemlich am Gesagten vorbei.
Alles was du kritisierst, erklärt er ja gerade durch Kurzuschlussreaktionen etc.
Das ist seine Meinung: Für ihn ist das so glaubwürdig.
Ich persönlich fand es auch glaubwürdig, du eben nicht... Friede, Freude, Eierkuchen.
Bloß blöd, dass du nicht weiterliest. Ich verstehe sehr wohl, wieso du so reagierst, aber kann es nicht nachvollziehen.
Die Geschichte nun wegen der Sache als so vermasselt und unrealistisch anzusehen... naja ist wie gesagt eine Meinungssache^^
XBoxer360 schrieb am
danke jörggg,
4p weiter so. Macht spass alles zu lesen.
Rej2611 schrieb am
Nooxima hat geschrieben:wow echt spannend und der Sägeabschnitt ist wirklich sehr gut gelungen hätte nicht gedacht das sowas drin vorkommt. Freue mich wahnsinnig auf den nächsten Teil :)
signed
Finde auch vorallem der Säge-Teil ist hammer geworden
Meleemaru schrieb am
Mhm, entweder ab jetz wirds ne miese, oder ne großartige story...
Bissl schwarzweiss gedacht, aber irgendwie sagt mein Magengefühl mir das es ne geniale Story wird :) I wanna see pure ownage!
Ich hoff zwar auf 1~2 Kapitel ruhe nach dem was da abging, aber mal sehn. :)
Michael33 schrieb am
Ich fand die aktion mit der säge zwar gut geschrieben und auch nicht absolut abwegig aber dadurch wurden viele optionen für den wieteren verlauf der geschichte geraubt. ich hoffe einfach das es dennoch so spanndend weiter geht wie es bisher geschrieben wurde.
schrieb am