Weihnachtsmann in Wut

Der Weihnachtsmann naht. Aber seine Schritte beben und seine Augen blitzen. Sein Sack ist schwer, sauschwer; sein Hals ist dick, saudick. Denn die Publisher haben den Nordpol dieses Jahr dermaßen mit Paketen und Versprechungen bombardiert, dass die schneeweiße Idylle in eine durchlöcherte Kraterlandschaft verwandelt, und die verschneite Zentrale in nervöse Unruhe versetzt wurde.

Und wer soll ihm noch helfen? Das Christkind hatte einen Bandscheibenvorfall und hockt seitdem auf einer Heizdecke in Nürnberg. Der Nikolaus zecht seit Wochen mit Knecht Ruprecht auf Malle. Selbst die altehrwürdigen Elfen und Trolle fallen weg, denn sie dürfen laut Tarifvertrag nur in Skandinavien ran. Und der Osterhase? Pennt bis in die Puppen und kümmert sich einen karottigen Kehricht um die Probleme des Alten.

Aber daran gewöhnt man sich mit den Jahrhunderten. Und immerhin bleiben ja noch die fest angestellten Werkstattwichtel vor Ort. Trotzdem laboriert der Rauschebart im roten Mantel seit einigen Jahren an einem Zustand chronischen Fluchens. Das fing ganz langsam in Atari- und Amigazeiten an, und mutierte mit der Geburt des Internets und dem Aufstieg der Next-Generation-Konsolen: „Potzblitz, ich will keine verdammten Mails mehr lesen! Wie Xbox 2? Sterben diese Teufelskisten denn nie aus! Was? Wer noch ein einziges Mal Half-Life 2 sagt, kriegt eine Abmahnung!“

Ja, jetzt kommt die stürmische Winterseele wieder durch! Der feiste, rotbäckige Strahlemann hat sich in einen Wüterich verwandelt, der mit funkelnden Augen durch sein Geschenke-Reich jagt: „Der ganze Wunschzettel-Spam kommt in die Tonne! Und stopft mir alle Publisher in einen Sack, damit ich sie windelweich knüppeln kann!“ Warum? Weil er als konservativer Ehrenmann windige Versprechungen aka Releaselisten hasst. Denn sie animieren Kinder und Junggebliebene zu utopischen Wünschen.

Sein Postfach quillt über vor bangen Bitten und bösen Drohungen; das Forum platzt aus allen Nähten, seine zwergwüchsigen Admins schieben Überstunden. Denn da draußen hockt seit knapp zwei Jahrzehnten eine neue Spezies von Menschen, die digital und delikat gefüttert werden will – die gierigen Zocker, die nimmersatten Video- und Computerspieler, undankbares Konsumgesocks.

Kein Vergleich zu den genügsamen Eisenbahnern, den geduldigen Modellbauern, den schnell verzückten Barbyfans oder spartanischen Puzzlern. Selbst die Playmobil- und Lego-Fraktion ist zufrieden. Alle freuen sich auf`s Fest, alle sind auf der sicheren Geschenkeseite und wünschen Santa Claus einen möglichst präzisen Kamin-Anflug – diese traditionelle Kundschaft ist Balsam für die alte Weihnachtseele. Da werden die Wünsche noch mit Füller auf gutem Papier verewigt und mit Sondermarke Richtung Nordpol chauffiert!

Aber die Wunschzettel-Mehrheit sieht 2003 anders aus, elektronisch knapp und dreist:

„Lieber, lieber Weihnachtsmann,

ich hätte so gerne Pikmin2, Mario Golf und vielleicht noch Metroid Prime 2- wenn`s geht. Das neue Mario 128 wird mit all seinen revolutionären Neuerungen wohl noch auf sich warten lassen; verstehe ich ja auch. Aber bitte bitte nichts für die alte PS2 oder die doofe Xbox bringen, ich habe nämlich einen GameCube.

Ich freu mich schon sooooo,

Nina Tendo“

Der Absender ist ja noch zurückhaltend, sympathisch infantil, hat vielleicht einen Hang zur Utopie, aber schreibt fehlerfrei. So was mögen die Wichtel und schicken die freundliche Standardabsage mit einem Zelda-Bundle. Doch Rechtschreibung ist nicht alles:

„Sehr geehrter Weihnachtsmann,

ich gehe doch recht in der Annahme, dass Fable, das innovative und grafisch beeindruckende Rollenspiel von Peter Molyneux, sowie StarCraft: Ghost, der glänzend besprochene Shooter aus dem Hause Blizzard, noch dieses Jahr erscheinen werden? Meine Quellen belegen das jedenfalls eindeutig, so dass ich bei negativer Antwort sofort Widerspruch einlegen werde. Ich bitte daher um die postalische Überbringung an meine Geschäftsadresse – so sparen sie Rentierfutter.

Mit freundlichen Grüßen,

Bill Redmond, Dr. phil.“

Oh je. Der Weihnachtsmann liebt Kinder. Aber arrogante Schnösel können noch so fehlerfrei formulieren – der Ton macht die Musik. Und deshalb schicken ihm die Wichtel ebenfalls ein Zelda-Bundle. Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Manche Mails lassen selbst in frostigen Nordmannseelen heiße Wut lodern:

„Hi Weinachtsonkel aka Kristkind

komm mir ja nich mit Lizensmüll, klar? Ich will Half-Life 2 noch dieses Jahr! Und wennet die geleakte Fassung is – Rolinge hab ich mitgeschickt. Du has ja wohl Connections zu Valve, right? Zurnot nehm ich auch Medieval: Total War, Panzers oder Ground Control 2. Und wegen Doom 3 und World of Warcraft kannse die Mail gleich an den Hoppelhasen weiterleiten.

Und tschüss,

PC-Rolf“

Oh, wie das schmerzt! Auch hier gibt`s deshalb: ein Zelda-Bundle, allerdings für GBA und SNES - da freut sich der passionierte Shooter! Trotzdem ist der Feierabend nach so einer PISA-Bombe versaut. Wenn dann noch „Last Christmas“ lieblich aus den arktischen Boxen säuselt, kann auch der Weihnachtsmann nicht anders, als den Schlitten zu satteln, die Rentiere über das Firmament zu peitschen und mit Max Payne 2 auf dem Notebook jede Menge Schrot und Blei zu spucken. Und genau deshalb, liebe Kinder, knallt es an Silvester seit Pong immer doller.

Spielfrohe Weihnachten!


Jörg Luibl
4P|Textchef


PS: Auch Santa hat natürlich aufgerüstet und verbannt unerwünschten Spam-Schrott. Eine kleine Auswahl aus dem Unwort-Filter: Half-Life 2, Doom 3, Christkind, Valve, Osterhase, Xbox 2, GameCube 2, Tomb Raider 6, PS3, Autobahnraser, alter Sack, Penner, Noob, Rentner, Cola-Onkel und –last but not least- der Evergreen: Duke.