Objektivität? Gibt es nicht!
„Das soll ein objektiver Test sein?“
Hochverehrte Leser, fachkundige Zocker:
Objektivität existiert bei einem Spieletest de facto nicht! Er kann professionell sein - also argumentativ, gut recherchiert und lesbar. Er kann fair sein - also abwägend, genre- und zielgruppenfreundlich. Aber objektiv? Das ist nur eine hübsche Fata Morgana, nur ein herrliches Schlagwort, mit dem man sich als Autor gut verteidigen, und mit dem man als Leser gut angreifen kann:
„Scheiß Test! Ich sehe es objektiv, 4Players eben subjektiv.“Jawoll! Bingo! Er hat Recht...was uns angeht. Nur muss es richtig lauten:
„Scheiß Test! Ich sehe es subjektiv, 4Players eben anders subjektiv.“
Ein Text kann noch so nüchtern, noch so eunuchisch kleinlaut aufgezogen sein - spätestens mit der Wertung und dem Fazit outen sich selbst die eifrigsten Verfechter der Objektivitätstheorie als subjektive Richter. Und jetzt festhalten: Alle Tests in unserem Archiv sind subjektiv! Alle, alle, alle!
Warum? Weil jeder Rezensent seine ganz eigene Zockervita, seine eigenen Erfahrungen, Sympathien und Abneigungen in die Wertungswaagschale wirft. Je nachdem, welche emotionalen, musikalischen, politischen und künstlerischen Voraussetzungen jemand mitbringt, verändert sich in Sekundenschnelle das Verhältnis zu einem Spiel.
Wer weiß schon, wie es in der Kritikerseele rumort? Manchmal sind es sogar abstruse Kleinigkeiten, die stören: Die Stimme der Prinzessin erinnert an die zickige Cousine, der Mentor gestikuliert wie ein nerviger Pauker aus der Schulzeit, die Musik weckt alten Technohass, der texanische Held bringt den latenten Anti-Amerikaner auf die Palme.
Und selbst, wenn jeder Spielejournalist das empört von sich weist: Es interessiert das unbestechliche Unterbewusste einen feuchten Kehricht! Denn da tummeln sich so viele Abneigungen und Gelüste, die sich vielleicht nicht wörtlich, aber zwischen den Zeilen und sicher prozentual an die Öffentlichkeit schleichen.
Natürlich würde kein gestandener Tester diese lästigen Stimmen in seinem Artikel zu Wort kommen lassen - nein, nein. Die verkriechen sich hermetisch abgeriegelt hinter der aus Sicherheitsgründen aufgebauten Mauer der Objektivität und können sich nie gedruckt, nie online austoben - hey: Wir sind doch nicht blöd! Oder gar schizophren! Außerdem hätte das erstens keinen Stil und wäre zweitens unprofessionell. Oder doch nicht?
Immerhin gibt es eine Ausnahme. Ein Reservat, wo sich plötzlich das Persönliche und Ur-Subjektive austoben können. Wo die Mauer in Sekundenschnelle eingerissen, wo herzhaft abgelästert, wo kurz und knackig Tacheles geredet wird. Wo sich nüchterne Schreiberlinge stolz als Stealth-Hasser, Lara-Süchtige, Shooter-Feinde, Molyneux-Hörige oder Nintendophile outen. Wo Spiele gnadenlos mit zwei, drei Schlagworten taxiert, kastriert und einsortiert werden: die Mittagspause.
Und weil das Ganze später nur schön lesbar, von Fäkalvokabular und latenten Psychosen gereinigt sowie mit hübschen Floskeln gewürzt niedergeschrieben wird, sind alle Spieletests dieser Welt, die trockenen und die witzigen, die kurzen und die langen, die italienischen und die dänischen, die legasthenischen und die korrekten, die lieben und die bösen, die guten und die schlechten, immer eines: subjektiv.
Und was soll man jetzt lesen? Wem soll man glauben? Natürlich 4Players! Erstens ist unsere Subjektivität selbstverständlich die beste, zweitens haben wir keine Mittagspause….
Jörg Luibl4P|Textchef
Aktualisierung vom 9. Juli 2019:Diese Kolumne aus dem Jahr 2004 haben wir aus aktuellem Anlass nochmal herausgekramt - weil uns bis heute Fragen zur Objektivität und Subjektivität gestellt werden, gerade über Social Media, die hier relativ zeitlos beantwortet werden. In einem neuen Video-Kommentar versuche ich zu erläutern, warum wir bei 4Players "
Analytische Subjektivität" betreiben.