Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 11
Mittwoch, 10.03.2004

Far Cry: Hysterie hier, Heuchelei da


Ein Spiel, eine News, ein Aufschrei: Bevormundung! Frechheit! Heuchelei! Lächerlich! Peinlich! Verstümmelung! Diese Welle der Entrüstung schwappte gestern durch die Foren der Magazinlandschaft, als Ubisoft die Indizierung der deutschen Far Cry-Demo und die physikalische Beschneidung der Vollversion meldete.

Aber warum platzte Shooter-Deutschland der Kragen? Warum wurden in einem wütenden Rundumschlag gleich der Entwickler, der Publisher, die BPjM, die Politiker und der ganze Staat in ein Boot geschmissen, das dann mit explosiven Kommentaren in einer Forenschlacht versenkt wurde?

Zum einen sicher deshalb, weil das brisante Dreigestirn Shooter-Indizierung-Geschnitten sofort Erinnerungen an die Erfurt`schen Grabenkämpfe zwischen Spielern, Publishern und Politik wachruft. Das daraus resultierende Jugendschutzgesetz hat immer noch einen negativen Touch und scheint bei vielen Spielern weder richtig verstanden noch akzeptiert worden zu sein.

Zum anderen haben einige in der ersten Hysterie die Pressemitteilung und so manche News missverstanden. Viele haben geglaubt, dass die gesamte Ragdoll-Physik, die Spiele wie Max Payne 2 oder Deus Ex 2 so lebendig macht, gestrichen wird. Es geht allerdings nur um die Bewegungen toter Figuren - eine kleine technische Kastrierung.

Sinkt dadurch der Spielspaß? Für mich nicht. Mir ist es piepegal, ob meine Projektile in zuckenden oder starren Polygonen landen, solange sie bereits ihren Animationsgeist aufgegeben haben und Granaten immer noch für korrekte Körperfluglinien sorgen. Aber es wird Leute geben, die sich am liebsten in einer möglichst realistischen Welten bewegen. Und für die sinkt der Spaß - natürlich nicht entscheidend, aber im klitzekleinen Detail.

Warum aus dieser Verärgerung dann Wut wird, beantwortet die zweite Frage: Wird der erwachsene deutsche Spieler dadurch bevormundet? Ja, ja und nochmals ja! In Los Angeles, London und Paris wird man Far Cry komplett genießen können. Dort entscheidet der Käufer, ob er die Leichenphysik für angewandte Projektilforschungen nutzt. In Deutschland entscheidet das eine Behörde mit abstruser Logik.

Aber es war ein kleiner Satz, der den ohnehin brisanten Cocktail aus Verärgerung und Wut bei vielen in feuriger Empörung explodieren ließ:

„Wir haben uns auch aus ethischen Gründen für diese Änderung entschieden.“

Hallo Ubisoft? Glaubt ihr, die Leser da draußen, all die potenziellen Far Cry-Käufer sind dumm? Wenn der Bundespräsident über Ethik spricht, ist das eine Sache. Aber wenn ein riesiger Softwarekonzern mit bleihaltigem Tom Clancy-Programm diese moralischen Bedenken vorschiebt, glänzt der Schein der Heiligkeit einfach so grell, dass es weh tut.

Diese Heuchelei ist unerträglich und unverständlich; zumal Ubisoft das gar nicht nötig hat. Denn damit stellt man sich als professioneller Unterhaltungsproduzent auf die Seite der Moralkeulenkritiker, die eine fiktive Spielewelt mit sozialen, religiösen und ethischen Bedenken belasten. Warum nicht ehrlicher mit dem Publikum umgehen:

„Wir haben uns aus marktpolitischen Gründen für diese Änderung entschieden.“

Das würden die Zocker da draußen verstehen. Denn sie wissen, dass es in dieser Branche in erster Linie um den finanziellen Erfolg geht. Sie wissen, dass ein Shooter kritisch beäugt wird.

Warum also nicht den Schwarzen Peter dahin reichen, wo er hingehört? Es ist doch die moralische Schraubzwinge der BPjM, die Far Cry in die Nähe der Indizierung presst. Und mit welch hanebüchenen Befürchtungen: Jetzt wird schon das Schießen auf unbewegte Polygonfiguren in den Bereich der Leichenschändung gebracht? Und selbst, wenn man diesen Unsinn annimmt, stellt sich die Frage: Ist Leichenschändung schlimmer als Mord und Totschlag? Wenn die Prüfer das mit „Nein“ beantworten, müssen alle Actionspiele indiziert werden. Die Ethik von Ubisoft mag PR-Taktik sein, aber die Ethik der Prüfer ist lächerlich.

Kein Wunder, dass das deutsche Jugendschutzgesetz auf breite Ablehnung stößt. Denn es weht eher repressiver nationaler als fortschrittlicher europäischer Geist durch die neuen Paragraphen. Oder warum wird Far Cry in Frankreich, England und Holland sogar ab 16 in den Handel kommen?


Jörg Luibl
4P|Textchef


 

Kommentare

Sadira schrieb am
solange ich die us versionen indizierter oder geschnittener games bestellen kann
geht es mir ziemlich am arsch vorbei was die bpjs macht
nur schade für gute entwickler das sie so weniger kohle verdienen wenn ihnen der umsatz eines ganzen landes eventuell fehlt
johndoe-freename-64711 schrieb am
Wenn man mal von den ganzen Prinzip-Gründen absieht, dann verstehe ich die ganze Aufregung eigentlich gar nicht.
Dieses kleine Detail braucht kein Mensch, und wenn man das Thema nicht so hochgeschaukelt hätte, dann wär das auch nur den wenigsten aufgefallen.
Natürlich will ich auch nicht behaupten, dass ich diese Aktion vin UBI gerechtfertigt finde. Natürlich befürworte ich es nicht, dass Spiele hierzulande geschnitten in die Läden kommen, \"nur\" weil wir hier eine Behörde haben, die meint sie könnte unsere Gesellschaft vor dem moralischen Verfall bewahren. Was wir bräuchten wären wieder gute alte Werte und Traditionen. Religion, Anstand und Vernunft müssten wieder einen höheren Stellenwert haben.
Dann gäbe es keine BpjM und keinen Grund Spiele zu \"zensieren\".
Denn ich will das Spiel eigentlich so spielen, wie es sich die Entwickler dachten, nicht so wie es die Bundesprüfstelle will!
johndoe-freename-39440 schrieb am
Die Kolumne ist wieder mal erste Sahne und trifft den Nagel genau auf den Kopf! Das Jugendschutzgesetz ist total überflüssig und nicht einmal das Blatt Papier wert wo es draufsteht. Deshalb habe ich beschlossen aus eigenen \\\"ETHISCHEN\\\" Gründen FarCry von meiner Gamesliste zu streichen!
johndoe-freename-44816 schrieb am
mit diesem jugendschutzgesetz werden nur erwachsene verärgert aber ganz sicher keine jugendliche vor virtueller gewalt \'\'beschützt\'\'!diese leute sollten sich lieber gedanken über medien machen die die mehrheit der deutschen besitzen wie das fernsehen.
dort werden täglich über tausend menschen in filmen,serien usw... ermordet?und, wo bleibt die zensur von sinnlosen filmen und noch sinnloseren sendungen?nichts nada...
ich denke seit erfurt hat man uns zocker endgültig als sündenböcke abgestempelt, manchmal frag ich mich wofür vadder staat uns eigentlich hält?für einen haufen von amokläufern und massenmördern?so werden wir zocker jedesmal gezwungen gesetze wegen noch schwachsinnigeren gesetzen zu brechen...
johndoe-freename-461 schrieb am
für mich kommt die deutsche version auchnichtmehr in frage! dieses bevormunden, ist echt unglaublich... und in rest europa ist das spiel schon ab 16 uncut :roll: :?
schrieb am