Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 26
Freitag, 25.06.2004

Christentum & Spielewelt


Im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung debattieren helle Köpfe seit einiger Zeit darüber, wie christlich Europa eigentlich ist. Da geht es um Eucharistie und Liturgie, um Werte, Ethik und das kulturelle Erbe. Und selbstverständlich wird auf dieser intellektuellen Ebene nicht über Spiele diskutiert.

Ein Skandal! Unsere Gesellschaft besteht doch nicht nur aus Philosophen, Historikern und Theologen, sondern auch aus Heerscharen von leidenschaftlichen Zockern, die ihre Lebenszeit sowohl in virtuellen als auch akademischen Sphären verbringen. Und gerade die Polygonwelten sind ein herrlicher Fundus für die religiöse Mentalität unserer Zeit.

Ich frage mich: Wie christlich ist die Spielewelt?

Es kann doch nicht sein, dass zweitausend Jahre dieses altorientalischen Erlösungsglaubens spurlos an den Bildschirmabenteuern zwischen PC und GameCube vorüber gegangen sind, oder? Es kann doch nicht sein, dass es im Fernsehen einschlägige Sendungen von Fliege bis zum sonntäglichen Wort gibt, aber nichts davon in der Zockerwelt? Selbst im Kino feiern Jesus und Luther Riesenerfolge!

Aber wenn man in den modernen Verkaufstempeln von Saturn & Co nach christlichem Sendungsbewusstsein sucht, wird man nicht fündig werden. Denn hier geht es so heidnisch zu, wie in der Blütezeit der europäischen Götterwelt zwischen Zeus, Cernunnos und Wotan: Es wird um Ruhm gekämpft, für Geld getötet und aus purer Lust an der Macht erobert. Der Spielspaß ist das Seelenheil der Neuzeit!

Der moderne Zocker hat mehr mit römischen Kaisern, wilden Hunnen, stolzen Kelten und furchtlosen Wikingern zu tun als mit Franziskus & Co – jedenfalls als Avatar in der virtuellen Welt. Wer sich als gläubiger Christ an die Zehn Gebote hält, muss PS2, Xbox & Co als Hightech-Pforten zur Hölle empfinden: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir? Du sollst nicht töten, nicht stehlen, nicht begehren deines Nachbarn Haus, Vieh noch alles, was dein Nächster hat? Man denke nur an Age of Mythology, Hitman, Thief…

Aber woran liegt das eigentlich, dass die Spielewelt fast schon ein idyllisches Rückzugsgebiet für urheidnische Mythen und wilde Mentalitäten ist? Ganz einfach: Die Macher sind meist kreative Fantasten. Alle Entwickler müssen von Natur aus faszinierte Zocker sein. Und das entscheidende Wesensmerkmal des modernen Spielers widerspricht einfach der Ethik des Christentums: Er will Spaß haben. Frei sein. Genießen. Nicht in einer nächsten Welt, sondern hier und jetzt zwischen Tastatur und Monitor.

Bevor jetzt wieder Pädagogen von einer modernen Zivilisationskrankheit sprechen oder gläubige Seelen vor dem allmählichen Werteverfall durch Videospielkonsum warnen, sei angemerkt, dass diese lüsterne Spaßkultur ihre philosophischen Wurzeln in der Antike hat. Schon die Anhänger Epikurs frönten der Maxime: „(…) die Lust ist Ursprung und Ziel glücklichen Lebens.“

Die Epikureer zogen sich ins Privatleben zurück wie der Zocker in seine Höhle, sie folgten ihrer Neigung, wie der Zocker seinem Genre, und halsten sich mit diesen freizügigen Vorstellungen bis ins 3. Jahrhundert unserer Zeit den Missmut des aufkommenden Christentums auf. Es kam zu einem europäischen Bosskampf sondergleichen, aus dem die Jünger des Gekreuzigten als religionsgeschichtliche Sieger hervorgingen.

Auch deshalb, weil man etwas perfektionierte, das auch in der Spielewelt gang und gäbe ist: der dreiste Ideen-Raub. Was von Testern der Neuzeit zu Recht kritisiert wird, ist auch ein starkes Wesensmerkmal des Christentums. Egal ob die Zehn Gebote, das Vater unser, das Hand auflegen bei der Taufe, die Engel und Erzengel, der Ausschluss der Frau, die Nächstenliebe – alles frech von den Juden, den Hellenen oder Mysterienkulten von Osiris bis Dionysos geraubt. Hätte es in der Antike ein Urheberrechtsgesetz gegeben, wäre das Christentum wohl nie entstanden.

Aber all das hat scheinbar nicht gereicht. Denn ähnlich wie FIFA nur die Verkaufslisten, aber PES3 die Fußballherzen erobert hat, hat die furchtsame Moralkeule der Kirche zwar politisch gewonnen, aber tief in der Seele des echten Zockers spielt sie keine Rolle. Hier regieren Götter, Kulte und Mythen. In den modernen Wohnzimmertempeln geht es nicht um ein entferntes Paradies, sondern um handfesten Highscore-Ruhm und Clan-Ehre, um Leveljagd und Schatzgewinn.

Kurzum: Die Spielewelt ist ihrem Wesen nach nicht christlich, auch nicht atheistisch, sondern herrlich heidnisch bis zum letzten Pixel.


Jörg Luibl
4P|Textchef


 

Kommentare

Jörg Luibl schrieb am
Hi MarsPlastic,
ein gutes Argument. Aber ist es wirklich die christliche Idee des Erlösers, die den Plot so vieler Spiele ausmacht? Es sind in der Tat viele Weltenretter, apokalyptische Krieger, Oberbösewicht-Zermalmer und Last-Minute-Helden in den virtuellen Welten unterwegs.
Aber schau dir mal die Mythologien diverser Völker an - egal ob germanisch, keltisch, griechisch, finnisch, indianisch, indisch oder japanisch. Überall findest du archetypische Helden, die gegen das Böse, gegen Drachen, den Weltuntergang oder Götter kämpfen.
Manchmal siegen sie, manchmal scheitern sie tragisch. Im Gegensatz zum Christentum findest du aber keinen gottgleichen Erlöser, der die Menschheit durch seinen Suizid von ihren Sünden befreit. Und mir ist auch kein Spiel bekannt, dass diese altorientalische Idee verwirklicht. :wink:
johndoe-freename-69369 schrieb am
Da hat aber jemand ganz, ganz schlecht aufgepasst. :)
So ziemlich jedes Spiel, das ich kenne, basiert auf der christlichen Idee schlechthin, nämlich der des Erlösers. Ein Held muss die Welt retten, ein Held muss das Böse vernichten, ein Held ist der Auserwählte, ein Held steht wieder von den Toten auf, um die Menschheit zu erlösen.
Wenn DAS nicht christlich ist! Die oberflächliche Symbolik der meisten Spiele mag heidnischen Ursprungs sein, aber genauso funktioniert das im Alltag ja auch: Weihnachtsbaum, Ostereier, Karneval - alles heidnische Bräuche, die von christlichen Kirchen dreist mit christlichen Ritualen vermischt wurden.
johndoe-freename-60091 schrieb am
Wieder nur das übliche Geschwätz eines Halbgebildeten, der seine Infos (z.B. über Epikurs Auffassung von Lust) vermutlich aus dem Eduscho Lexikon \"Ich sag Dir alles\" bezieht und sie dann mixt mit einer fast unsäglich dummen, aber ebenso hippen Schelte auf das, was er für Christentum hält.
Nicht zuletzt ein derart wohlfeiles und komplett beliebiges Gefasel ist der Grund, daß sich besonders jüngere Zeitgenossen mit einigem Recht nach dem Wert von Bildung und Wissen fragen.
EHLE. schrieb am
@ Deadman
ich denke in ungefähr das wollte der autor mit dieser kolumne ausdrücken...
@ blizzard
du sprichst mir aus der seele!
Blizzard_ schrieb am
ich pers. glaub nicht an gott, nicht so wie es uns die kirche glaubhaft machen will. vielleicht gibts da draussen ein übermächtiges wesen was uns mehr oder weniger wohlwollend beobachtet aber wenn juckt es? wenn es so allmächtig ist braucht es uns doch garnicht, und vorallem nicht unsere gebete. Götter egal woher sind ein überbleibsel von früher. wenn man zufaul ist oder unfähig hinter die kulisse zu blicken und dinge nicht versteht dann muss es gott gewesen sein. was ist mit den wundern geschehen? wieso passierten die meisten wunder unserer geschichte zu zeitpunkten tiefster gläubigkeit... und unwissenheit? Weil sie nicht erklärbar waren. mit jedem schritt der aufklärung (wissenschaft) vorwärts verschwanden ein paar götter. waren es früher handfeste götter wie thor der donnergott, oder blitzgötter so wurden sie zur zeit des römischen reiches eher durch \"geistige\" götter ersetzt. Zeut der Gottvater, Liebesgötter/in, Kriegsgötter... etc pp. bis heute ein paar wenige götter die sich äussert schwammig difinieren \"Gott ist da und macht es so weil er es so will, und er ist für alles auf dieser Erde verantwortlich\" Naturgesetze die früher nicht erklärbar waren lösen die Götter ab. Vielleicht ist Gott garnicht so der allmächtige, vielleicht sollten wir ins Detail gucken, was findet man ueberall egal woman hinguckt? Ordnung, das ist wenn ueberhaupt das einzigste wunder für mich. Die Ordnung innerhalb dieses Systems, das sowas wie unser Universum überhaupt existiert und sowas komplexes wie uns menschen hervorbringen konnte... wobei komplex vom standpunkt des betrachters ausgeht... eine laus wird sich selbst auch für äusserst komplex halten *g*
AMEN
schrieb am