Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 30
Donnerstag, 22.07.2004

Raus aus dem Sommerloch!


Seid ihr auch schon mal Hals über Kopf in ein Sommerloch gestürzt? Nein, nicht in irgendein Presseloch, das mit Kleingartengezänk, blöden Almreports und elender Trainersuche gestopft wird. Diese aufgeblähten Nichtigkeiten gibt`s spätestens zu Ferienbeginn an jedem Kiosk, auf jedem Fernsehkanal.

Die Frage richtet sich eher an den gierigen Spielefresser. An die Spezies, die mindestens einmal pro Saison in den Abgrund der Zockerseele starrt, bevor sie im freien Fall in der lethargischen Appetitlosigkeit zwischen Juni, Juli und August versinkt: Da schlummern jede Menge nicht durchgespielter Games auf der Festplatte, aber man lässt sie links liegen. Da warten noch einige Konsolenhits im Regal, aber sie verstauben.

Man kriegt noch nicht mal die tägliche Portion News und Reviews runter, die über den Monitor flimmern. Man ist voll, satt und lustlos. Stattdessen quält man sich vom Schreibtisch zum Fenster und wird von unangenehmen Fragen geplagt, die sonst nur Freundin, Frau oder Mama stellen: Soll ich nicht mal wieder Sport machen? Oder mein Fahrrad flicken? Vielleicht eine Badehose kaufen? Oder wenigstens auf den Balkon gehen?

Da steht man nun in seinem Elend als Homo gamensis, zermürbt sich und weiß nicht weiter. Man ist hin- und hergerissen zwischen Rechner und Radtour, zwischen Fraggen und Freibad, zwischen Leveln und Luft schnappen. Mannsbilder, die zwölf Stunden am Stück zocken, aber nur eine halbe Stunde am Stück gehen können. Kerle, die 30 Bosskämpfe am Tag meistern, aber unter Aufbietung aller Kraft drei Liegestütze dahinächzen.

Sportliche Gebrechen in der Summer-Crisis. Gierige Konsumhunde auf spielefreier Sinnsuche. Verzweifelt, verwirrt, verletzlich. Und irgendwann packt sie das Verhängnis der hellen Jahreszeit. Sie öffnen die Fenster, fluten die Spielehölle mit echtem Licht. Wenn die Sonne dann ihre gleißenden Finger ausstreckt und die bleiche Zockerhaut verführerisch kitzelt, fällt man plötzlich komische Entscheidungen: Man sagt die LAN-Party ab, mottet die Pad-Flotten ein, fährt den Rechner runter, wäscht sich mit Seife und schreitet frohen Mutes hinaus ins hellblaue Vergnügen!

Nicht zu weit raus, versteht sich. Schließlich würde man als schluffiger Bildschirmvampir in der durchgestylten Wellness- und Fitnesswelt nur blöd auffallen. Also geht`s erstmal halbnackt mit einem kühlen Bier und wallendem Brusthaar auf den Balkon. Die Sonne lacht, der Himmel strahlt - herrlich! Und während man in seinem 5m²-Paradies endlich mal Fünfe gerade sein lässt, erscheint einem vieles so lächerlich: Der Konsolenkrieg, der Aldi-Rechner, der GameStar, der Kontostand, die 4Players-Wertungen…

…und zwei Weißbier später schläft man ein. Süße Träume von weißen Stränden und idyllischen Buchten ziehen auf sanften Wolken vorüber. Dort oben gibt`s eiskalte Cocktails, wilde Partys und der eigene Körper glänzt in astraler Muskelpracht. Rehäugige Babes wedeln mit Palmenblättern luftige Kokosbrisen, bevor sie mit lasziv lockendem Schmollmund…

Stopp! Hier liegt nicht Beckham, sondern PS2-Bernd aus Bottrop. Oder Xbox-Chris aus Castrop. Oder irgendein anderer Spielefreak mit hohem Cholesterinspiegel und niederem Sexappeal. Das Unterbewusste kennt doch seine leicht alkoholisierten Pappenheimer! Also verwandelt es das wohlproportionierte Fleisch in glühende Halbleiterplatinen, stopft es dann in ein hautenges, bis zum engen DVD-Schlitz hin durchgestyltes Gehäuse. Jetzt wird`s heiß, jetzt kocht das Blut! Denn plötzlich tanzt da kein Babe mehr, sondern eine strahlende Mega-Konsole, ein mächtiger Hightech-Hybride, eine Future-Generation-Box!

Aber was ist das? Wieso wird diese wunderbare Spielspaßgöttin von einer Bildschirm füllenden Mutation von Mama mit ekliger Kühler-Paste eingeschmiert? Das darf doch nicht wahr sein! Sie grinst zahnlos und trägt die glibbrige Creme so fett auf, dass einem das schmierige Pausenbrot der Kindheit noch mal die Magensäure in den Rachen treibt - bah, pfui!

Keuchend schnappt man nach Luft, verschwitzt wacht man auf und blinzelt verdutzt ins Abendrot, das jetzt richtig gut zur eigenen Hautfarbe passt: Wie ein Krebs ohne Panzer liegt man knallrot im dampfenden Ikea-Liegestuhl - was für ein Prachtexemplar von einem Sonnenbrand! Das Aufstehen schmerzt, das Gehen schmerzt, die blöde Idee schmerzt noch viel mehr. Man rettet sich jammernd auf die Couch, kann nur noch die Finger bewegen. Dann stellt das Ego auch noch die Mann-oder-Memme-Frage....

Aber irgendwo zwischen Kissen und Teppich sieht man plötzlich ein schwarzes Kabel. Verzweifelt lässt man sich wie ein Tier auf alle Viere nieder, greift zum rettenden Kabel und tastet sich in Bullet-Time an der matten Schnur vorwärts. Als am Ende der peinlichen Krabbelei ein Controller zum Vorschein kommt, rührt sich die gebeutelte Zockerseele als wäre sie aus einer Trance erwacht: Weg ist die Depression, weg ist der Sonnenwahn.

Ein wahnsinniges Kichern entweicht der trockenen Kehle. Die Haut brennt immer noch wie Feuer. Aber was soll`s? Schließlich hat man sich gerade heldenhaft aus dem Sommerloch gezogen. Wenn Doom 3 kommt, wird die ganze Bude abgedunkelt! Wenn Resident Evil 4 eintrudelt, gibt`s zwei Wochen keine Sozialkontakte! Und wenn der Rücken dann immer noch aufmuckt, wird er eben mit drei Pfund Kühler-Paste geknebelt...


Jörg Luibl
4P|Textchef

 

Kommentare

Jörg Luibl schrieb am
Hey, ein Leser mit ironischer Spitze - wunderbar!Diese Spezies ist wirklich selten, wie die letzte Kolumne gezeigt hat. Jedenfalls kann ich jetzt schmunzelnd in den Freitag starten.
Amüsanter Kommentar!
Dream works schrieb am
Ich versteh diese Kolumne nicht. Was soll denn bitte eine Sonne ein? Mal ganz zu schweigen von seltsamen Fremdwörtern wie Sport und Freibad. Und warum sollte jemand bei klarem Verstand seinen Computer ausschalten? Also das ist geradezu lächerlich. Tut mir leid, kann mit der Kolumne nichts anfangen...
johndoe-freename-69294 schrieb am
Ich finds eigentlich gar nicht so schlecht, mal 1-2 Monate gar nicht zu zocken. Ich merke gelegentlich schon, wenn ich jeden Monat zig Spiele durchspiele, dass sich da nach ner Zeit so ne Lustlosigkeit einstellt.
Jetzt warte ich jedenfalls schon seit 3 Wochen und warte auch noch bis mitte August (Chronicles of Riddick), bis ich wieder zum Pad greife.
Und dann werde ich in alter Frische und mit alter Begeisterung die kommenden Hits durchgehen!
P.S. in meinen Fingern fängt es schon langsam wieder an zu kribbeln...
johndoe-freename-66123 schrieb am
da hat der Agallah ja auch mal ausnahmsweise mal recht!
raus mit euch!!
dieser Sommer ist sowieso viel zu kurz!
obwohl ich auch viel zu viel bei guten Wetter PC zocke!
n00k schrieb am
sehr schöne kolumne...sehr amüsant
schrieb am