Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 35
Freitag, 27.08.2004

Spiel´ nie in schlechter Gesellschaft!


Was hat die Games Convention bewiesen? Dass man auf Spielemessen keine Spiele genießen kann. Es ist so laut wie im Stadion, so hektisch wie am Bahnhof. Kein Wunder, dass da nicht die Atmosphäre aufkommt, die einen daheim auf der Couch packt. Viel zu schnell frisst die dröhnende Besucherkulisse jeden Funken Spielspaß. Am Ende erträgt man Halo 2 und Splinter Cell 3 nur noch mit Oropax Ultra.

Noch schlimmer als der Messemoloch ist allerdings die schlechte Gesellschaft im eigenen Wohnzimmer: Flüchtige Bekannte und nahe Verwandte, die irgendwo in der Nähe lauern, während man gerade den Rechner hochfährt oder die Konsole füttert. Spätestens beim Aufflackern des Hauptmenüs schleichen sie sich an und stören schon mit ihrer Präsenz.

Spiele sind einfach eine höchst intime Angelegenheit. Sie müssen alleine, in Ruhe und im stillen Kämmerlein genossen werden: Man denke an epische Abenteuer wie Gothic 2, packende Schleichtitel wie Thief III oder Horror-Shooter wie Doom 3. Was der Rotwein für den echten Käsekenner, ist die Stille für den echten Zocker.

Erst wenn man ganz alleine mit seinem Baby ist, wird der Spielekitzel geweckt, der einen ganz und gar in konzentrierter Faszination aufgehen lässt. Sobald sich in ein Game verkuckt hat, geht man eine magische Verbindung ein: man will darin versinken, es komplett und ganz genießen. Ohne blöde Kommentare. Ohne Gelaber.

In schlechter Gesellschaft funktioniert das nicht. Hier schmecken selbst hochprozentige Delikatessen schal: Wie will man sich durch Doom 3 ballern, wenn die Schwiegermutter gerade strickt und dazu noch despektierlich nickt? Okay, mit ein wenig morbider Fantasie geht das vielleicht gerade noch. Doch wie soll man Windwakers Zelda genießen, wenn ein düsterer Rollenspiel-Fundamentalist ein Gesicht zieht, als müsse er gleich einen Teletubbie-Charakter leveln? Und wie soll man seinen Kader für die nächste Saison planen, wenn die Freundin die ganze Zeit etwas von Fußball-Proll faselt?

Aber am schlimmsten ist diese Konstellation: Lieblingsspielzocker trifft auf notorischen Meckerkopp. Wenn man alleine ist, kann ein Spiel seine magischen Reize frei entfalten. In diesem glückseligen Fanboy-Stadium interessiert man sich nicht mehr für die kleinen Fehler - das ist wie bei einer Lachgas-OP oder der stürmischen Verliebtheit: der Arzt ist plötzlich nett, die Freundin eine umwerfende Schönheit.

Diese beschwipsten, aber für die Zockereele ungemein heilsamen Zustände sind dem Nörgler fremd. Ihm entgeht gar nix. Er ist kein schwärmerischer Idealist, sondern knallharter Realist. Ein Laberhannes mit Hang zur zügellosen Selbstdarstellung. In naivem Missionierungswillen versucht man noch, diesen Fremdkörper von seinem Spiel zu überzeugen:

"Es macht einfach einen Heidenspaß, verstehst du?"

Aber er versteht nicht. Er verreißt lieber. Seine Kommentare stechen schnell und trocken wie Alis Jabs:

"Was is das denn für`n Flackern? Das ruckelt ja!"

Und das im Zehn-Sekunden-Takt:

"Schau mal: Clippingfehler! Da hätte man…"

10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1…

"Was? Keine Sprachausgabe? Heutzutage…"

10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1…

"Wieso sind die Menüs so hässlich? Wenn ich…"

10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1…

Jetzt ist noch nicht mal eine Minute vergangen. Was müssen fünf Minuten Gesellschaft da für eine Ewigkeit sein! Schließlich wird noch über die kindische Story, die üble Steuerung und die blöden Quests hergezogen. Die rosa Brille des Lieblingsspielzockers bekommt tiefe Risse, der Zauber ist hinüber - kurzum: er verliert den Spaß am Spiel. Und Meckerköppe steigern sich von Runde zu Runde, bevor sie mit einem böse verzögerten und krachend polemischen Haken zum Knockout ansetzen:

"Soll ich dir was sagen?"

10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1…

"Das Spiel ist scheiße!"

RUMMMS! Der hat gesessen. Das Fanboy-Herz blutet. Der Controller fällt zu Boden. Aber dann wird der Fan zum Man: Ein Prall, ein Schall, dicht am Gesicht - der Meckerkopp, er sputet sich.

Also mein Tipp für gemütliche Abende mit dem herzallerliebsten, frisch importierten oder sehnlich erwarteten Game: Zockt es nur alleine. Oder höchstens mit introvertierten Gleichgesinnten. Zockt es selbst dann nur mit guten Kopfhörern. Und zockt auf gar keinen Fall mit einem dieser Spiele-Tester. Die meckern nämlich im 5-Sekunden-Takt…


Jörg Luibl
4P|Textchef

 

Kommentare

johndoe-freename-58773 schrieb am
Mir fällt auf... Das gleiche gilt auch für Musik.
Es gibt viele, die HIM nich leiden können. Im Gegenteil zu mir. Die machen die dann halt imma schlecht. Von wegen schwul und so.
^^
Höpi schrieb am
Das meiste wurde ja schon gesagt.
Ich kann nur noch sagen: Ich liebe Jörgs Kolumnen 8) :wink:
johndoe-freename-51004 schrieb am
Dieser Kolumne kann ich auch nur voll zustimmen.
Seit ich auf dem Gymnasium bin kann ich nicht mehr mit der Hingabe und Leidenschaft zocken wie ich es bei Perlen wie Mario64 oder Zelda64n noch tun konnte.
Das ist wirklich traurig frustrierend und depremierend.
Manchmal würde ich diese Leute am liebsten erschlagen die mir in der Klasse sagen was gut zu sien und schlecht zu sein hat.Oder wenn jemand mit mir in einem Spiel konkuriert. Da packt mich der ehrgeitz und ich kann das spel nicht mehr genießen.
Langsam bin ich der Heilungsphase und kann nur hoffen dass mein altes Zockerhez wieder zurückkkehrt. :roll: :roll: :cry:
johndoe-freename-70448 schrieb am
Hey, du musst Kolumnen immer eine Prise Übertreibung und Satire gönnen. Es geht hier nicht um einen Tatsachenbericht oder eine Reportage mit Anspruch auf Authentizität. Klar steckt auch ein Körnchen Wahrheit darin, aber Lesespaß und Fiktion haben klar Vorrang.
Ja - ich muss dir Recht geben.
Deine und auch andere Kolumnen sind meistens mit Übertreibungen gespickt und es geht eigentlich nicht um die Schilderungen der Realität :wink:
Und Silent Hill spiele ich nur mit psychologischer Betreuung... :wink:
:D
Trotzdem bin ich, gerade bei Rollenspielen und stimmungsvollen Action-Adventures, ein fundamentalistischer Solist mit Hang zur Abschottung und aggressiver Rollo-Deckung...
Da kann ich dir nur zustimmen, mancherlei Spiele muss man einfach allein genießen.
Jörg Luibl schrieb am
Hey, du musst Kolumnen immer eine Prise Übertreibung und Satire gönnen. Es geht hier nicht um einen Tatsachenbericht oder eine Reportage mit Anspruch auf Authentizität. Klar steckt auch ein Körnchen Wahrheit darin, aber Lesespaß und Fiktion haben klar Vorrang.
Immerhin hat der Autor dieser Kolumne Obscure, Mario Party 5 und Pro Evolution Soccer 3 nicht vereinsamt in der Dunkelkammer getestet. Und Silent Hill spiele ich nur mit psychologischer Betreuung... :wink:
Trotzdem bin ich, gerade bei Rollenspielen und stimmungsvollen Action-Adventures, ein fundamentalistischer Solist mit Hang zur Abschottung und aggressiver Rollo-Deckung...
Bis denne!
schrieb am