Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 43
Dienstag, 19.10.2004

Vorsicht: SZ schießt auf Leser!


Guten Tag, liebe Spielefreunde. Heute schon die Zeitung überlebt? Vielleicht sogar die Süddeutsche Zeitung? Tapfer, tapfer, denn die SZ schießt scharf. Zwar nicht zielgenau, aber mit gemeiner Streuung. Ich hatte beim Frühstück angesichts der unerwarteten Attacke große Probleme mit meinen Hitpoints - die Gegner kamen ja von allen Seiten, getarnt als Argumente!

Ich musste sehr oft schwarzen Kaffee nachladen, um überhaupt durch die ersten Level-Absätze zu kommen. Die SZ faucht wie ein konservativer Drache: Erst die Drohung mit der alten Rechtschreibung und jetzt diese weltfremde Kriegserklärung an den erwachsenen Spieler! Was ist denn da los an der Sendlinger Straße? Okay, lasst uns direkt aufs Schlachtfeld zoomen: Auf Seite 13 begrüßt mich das Feuilleton mit der Themengranate "Die Verdoomung der Republik".

Eigentlich habe ich ja eine journalistische Explosion erwartet, aber das Thema Shooter + Gewalt = Böse ist dermaßen durchgekaut, wunddiskutiert und erkaltet, dass mich der reißerische Aufhänger nur kurz erschreckt hat. Es war laut, aber noch ungefährlich. Immerhin sind Magazine wie der Spiegel da schon weiter - hier wird ohne Vorurteile über die World Cyber Games und sportliche Wettkämpfe berichtet. Aber der SZ-Artikel ist nicht nur thematisch reaktionär, sondern weltfremd.

Und Doom 3 zieht immer, wenn man schreckhaftes Publikum wie besorgte Eltern, gestresste Lehrer, Moralapostel und Theologen ansprechen möchte. Ist das wirklich die Zielgruppe der SZ? Sie starren auf das düstere Titelbild, erkennen den schlurfenden Zombie mit den blutleeren Augen, sehen die feuerbereite Chaingun und lesen dann noch diese mörderische Bildunterschrift:

"Nur der Abschuss zählt - und Humanoide zählen ja nicht als Menschen."

Okay, das hat gesessen. Das war so abstrus, dass ich wirklich kalt erwischt wurde. Wenn Pastor Fliege so angreifen würde, hätte ich geschmunzelt. Aber die SZ? Hier hat mich die als locker und intellektuell geltende Tageszeitung so schwer am Kopf getroffen, dass mein Verstand kreischend unter der Schädeldecke rebellierte. Selbst der Papst würde seelenlosen Zombies die Menschlichkeit absprechen. Natürlich werden Zombies in einem fiktiven Horror-Shooter nicht menschenwürdig behandelt. Wie auch? Es sind Monster. Ich lag mit schmerzverzerrtem Gesicht auf der Tischplatte.

Und der Gegner legte kräftig nach, feuerte weiter aus der moralischen Schrotflinte: Bereits in Zeile 9 ist von einem "widerwärtigen Spiel" die Rede, das einen "bislang unbekannten Grad an abscheulichem Realismus" zeigt. Realismus? Es geht in einem futuristischen Szenario auf den Mars und ab in die Hölle! Außerdem bin ich mit dem Verweis auf "Manhunt" elegant weggerollt. War das nicht wesentlich abscheulicher als dieses Zombie-Gemetzel? Aber mein Ausweichen half nicht. Ich wurde von einem bizarren Stakkato unter Beschuss genommen, das mir kaum Luft zum Atmen ließ. In Zeile 70 heißt es:

"So wird etwa versucht, das Blut triefende Töten auf dem Monitor mit (…) Völkerball und Schach in Verbindung zu bringen."

Moment mal: Welche Republik wird hier eigentlich verdoomt? Die Bundesrepublik Deutschland, in der ich lebe und spiele? Die Zocker, die ich kenne, brauchen derart hanebüchene Vergleiche nicht, um sich zu rechtfertigen. Doom 3 ist ein Shooter, in dem geschossen wird - keine Bälle, keine Springer, keine Rochade. Aber so leicht lässt mich der Artikel nicht davon kommen; in Zeile 62 gibt es einen miesen Haken:

"Weil er ja ständig angegriffen wird, ist das Ballern gewissermaßen als Notwehr nobilitiert, (...)."

Au Backe, welch ein gestelzter Brei! So kann man auch ausdrücken, dass man sich durch einen Shooter kämpft. Nur versteht`s keiner mehr. Als hätte sich ID Software jemals Gedanken über eine edle Rechtfertigung gemacht! Es geht ums nackte Überleben. Der Begriff "nobilitas" sollte da bleiben, wo er hingehört: ins Mittelalter! Zeile 87 legt erbarmungslos nach:

"Fast schon obszön: Man meldet gleich Kunstansprüche für solche Spiele an und zitiert etwa Hieronymus Boschs Phantasmorgien(…)."

Was ist denn bitte daran obszön? In der Kunst haben Moral und Ideologie nichts verloren. Sie kann auch brutal und erschreckend sein, wie der berechtigte Vergleich mit Bosch zeigt. Es geht einzig und allein um die artistische Potenz, um die künstlerische Ausdruckskraft. Ob Doom 3 tatsächlich ein Kunstwerk ist, steht auf einem anderen Blatt. ... Was war das für ein Geräusch? Das hörte sich an wie … MG-Feuer! Vorsicht, Deckung! Irgendjemand rotzte wirklich allen Unfug aus heißem Lauf Richtung Leser. Wer Zeile 98 bis 102 überleben will, muss jetzt ganz stark sein:

"Anderweitige Ziele, ideelle Werte und abstrakte Spielprinzipien sucht man hier ebenso vergebens wie die Unschuld der zum Abschuss freigegebenen Untoten."

Aaaaaaarrrgh! Durchschuss, rechter Oberschenkel! Streifschuss, linkes Ohr! Saaaaannnnni! Hiiiiiilfeeeeee! Bluuuut, Bluuut, überall Bluuuuut! Aber ich hatte Glück im Unglück: Mein Verstand raste im weißen Kittel herbei und verpasste mir eine fette Spritze, die meine Lebensgeister wieder anfeuerte. Durchatmen. Ganz ruhig durchatmen.

Wie habe ich das überlebt? Ich habe mir immer wieder vor Augen gehalten, dass es um Doom 3, nicht um die Sims geht. Nicht um ein intellektuelles Gesellschaftsdrama, auch nicht um Unterrichtsmaterial für Jugendliche. Ich habe mich tot gestellt und einfach die kommenden hundert Zeilen über mich hinweg rollen lassen - dieser Level war einfach zu ekelhaft.

Bleich und entsetzt schlürfte ich kalten Kaffee. Nur noch wenige Hitpoints bis zum journalistischen Kollaps. Die SZ macht mir langsam Angst. Und dann hörte ich diese seltsame Stimme: Aufgeben? Das wäre ja gelacht! Wo sitzen denn die Spieleversteher? Bei 4Players oder bei der SZ? Willst du diese Volksverdummung unkommentiert lassen? Also bring dieses Feuilleton-Monster zur Strecke, du Weichei! Reiß dich zusammen!

Okay, ich halte durch. Nur noch wenige Zeilen, ich bin schon beim USK-Absatz. Nur noch ein paar Hitpoints. Aber meine Rüstung sitzt stramm: Ich bin toleranter Demokrat, ich bin erwachsener Genießer, ich bin aufgeklärter Journalist, ich respektiere den Jugendschutz, ich lese Zeitung, ich spreche mit Menschen.

Und tatsächlich: ich kam bis zum letzten Level. Obwohl die KI wirklich nicht berauschend war, hat mir die pure Masse an Formulierungs-Monstren den Weg dorthin sehr schwer gemacht. Aber am Ende war ich etwas enttäuscht: Es gab einen kulturell getarnten Endgegner, der mit seiner Moralkeule wirr um sich schlug und in einer weltfremden Sackgasse fast von alleine den Geist aufgab. Weil er den Spieler in feuilletonistischer Arroganz unterschätzt. Weil er Spiele überhaupt nicht versteht. Gegen diesen fundamentalen Bug hilft kein Patch, sondern nur ein Anruf beim Abo-Service.


Jörg Luibl
4P|Textchef

 

Kommentare

louplex schrieb am
@paul:
du hast da irgendwas falsch verstanden. in deutschland werden nicht nur filme fürs tv gekürzt, auch fsk 18 versionen ausländischer filme kommen hier gekürzt als fsk 18 in den handel (bzw. videothek, kino)... beispielsweise \"battle royal\" ist als hongkong version 10 minuten länger, ebenso \"ichi the killer\" oder auch \"braindead\" von peter jackson etc. etc.
diese logik ist mir halt nicht verständlich und eine sinnvolle begründung habe ich bis heute nicht gehört.
um es auf den spielesektor zu bringen: warum ist die deutsche version von soldier of fortune 2 zerstückelt worden und trotzdem ab 18 freigegeben? ich kenne einige leute bei der ehemaligen vud und berichten zufolge war sich activision nicht sicher, ob sie so große zensurmaßnahmen finanziell verkraften können... (story-änderung, andere texturen, roboter statt menschen, öl stattt blut, alles sehr kostenintensiv)
es gab von diesem spiel 2 versionen: eine für deutschland und eine für den rest der welt... da dürfen wir uns in zukunft nicht wundern, wenn spielehersteller einfach nicht mehr für den deutschen markt publizieren, weil es schlicht zu teuer und aufwendig ist unseren jugendschutzbestimmungen zu entsprechen.
johndoe-freename-73573 schrieb am
Wer spricht hier von Gelwalttaten ??
Ich denke da eher an die Geistige gesund der Jungendlichen.
Und
mit welcher \"logischen\" begründung werden filme und spiele in deutschland immer noch gekürzt, wenn sie doch sowieso erst ab 18 legal erhältlich sind ?
Ja ab 18, kan man sie Ungekürzt Erwerben.
Aber im TV wird dan halt die FSK 16 gezeigt. Und damit haste deine Frage selbst beantwortet.
Aber zurück zum Thema Doom3 auf index ?
Jep, extremst Gewalttätig, Blutig und Horror.
Das ganze aufgemacht in einer Audio, und Graphikalischer höchst Leistung. So das das spiel möglichst realistisch wirkt, was ja sehr gut ist ist.
Aber im zusammen Spiel der Adio untermalung, der Grphischendarstellung Und der Blutigen, gewaltätigen, und Horror artigen Handlung des spieles. Ist es was das Spiel so \"gefährlich\" macht.
MfG
Beneke
johndoe-freename-46937 schrieb am
Schade, schade - ich hätte mir den Artikel liebend gern zu Gemüte geführt. Aber vielleicht war das auch besser so, erinnere ich mich mit Verderben an den einstigen Manhunt-Artikel vor einigen Monaten in der SZ. Wie dem auch sei, die Kolumne gefällt mir ausgesprochen gut. Weiter so!
benosch | www.userrankings.com
louplex schrieb am
exakt darum geht es. ein fsk 18 titel darf erst ab 18 bezogen werden... wenn einige schwarze schafe das nicht befolgen, kann man doch schlecht die potentielle zielgruppe (18+) mit jugendschutzmaßnahmen bestrafen.
amerika und china sind ein ganz anderes pflaster und ich sagte auch nicht, dass man sich ihnen anpassen soll, keinesfalls... die hohe kriminalitätsrate liegt in den staaten auch wohl eher am äußerst fragwürdigen waffenrecht... die hat allerdings eine lobby, im gegensatz zur spieleindustrie, aber das ist ein anderes thema.
ich stelle mich mit dieser aussage auch nicht gegen den jugendschutz, ich denke nur, dass die jugend nicht auf kosten der \"erwachsenenunterhaltung\" geschützt werden darf. und alles unter einen hut kriegen können andere länder schließlich auch, siehe schweiz, österreich, skandinavien etc...
schrieb am