Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 14
Freitag, 08.04.2005

Schatzjäger und Spaßsucher


Archäologen tragen einen Schlapphut, schwingen die Peitsche und lassen im Ernstfall den Revolver knallen. Sie haben immer einen coolen Spruch auf den Lippen oder ein Rätsel vor Augen. Andere sind perfekt geschminkt, tragen einen Pferdeschwanz und kriechen lasziv durch Tunnel. Sie haben im Examen mit strammen 90-60-90 brilliert und schon als Teenager olympisches Gold im Doppelsprung samt Salto geholt.

Und dann der Arbeitsalltag: Katakomben öffnen, Schätze heben, Schurken töten - ein Traumjob für harte Hechte und sexy Babes. Die Indiana Jones- und Tomb Raider-Abenteuer haben den Grundstein für das Image des heroischen Haudegens gelegt. Okay, es gibt Ausnahmen, wie z.B. den schluffigen Tschechen aus Nibiru . Aber in der Regel sind sie chronisch unrasiert, haben die Taschen voller vergilbter Karten und fliegen um die halbe Welt, um Geheimnissen auf die Schliche zu kommen.

Erst der Gang durch die trostlosen Flure einer deutschen Universitätsfakultät offenbart die nüchterne Wahrheit. Wer sich traut, in der lastenden Stille an eine der Türen zu klopfen, wird die wahren Meister der Archäologie entdecken: Bücherwürmer, Bürohengste, Bleichgesichter. Grauer Sakko, Bierbauch, Augenringe. Müder Blick, tippende Finger, Zigarette. Die Erben Schliemanns. Vertikale Stratigraphen, relative Chronologen und typologische Rudimentsucher. Es sind diese akribisch schuftenden Wissenschaftler, die die Schätze der Erkenntnis heben.

Was wir Spieler davon haben? Jede Menge! Man denke an all die historisch angehauchten Adventures, Action- und Strategietitel, die uns für einige Stunden in vergangene Epochen entführen. Es ist der Zauber der Zeitmaschine, die Macht des Vergangenen, die uns fesselt. Was wäre Age of Empires , wenn die Ensemble Studios nicht auf wissenschaftliche Ergebnisse der Archäologie und Militärgeschichte hätten zurückgreifen können? Was wäre Rome: Total War , wenn Creative Assembly nicht die Strukturen, die Bewaffnung und die Ausrüstung der Legionen nachgeschlagen hätte? Viele Entwickler sind auf die Früchte der Forschung angewiesen, um glaubwürdige Illusionen zu zaubern.

Spiele mögen sich viele kreative Freiheiten nehmen, aber sie können das historische Bewusstsein schärfen und Wissen vermitteln. Wer Civilization 3 kennt, wird die sieben Weltwunder aufzählen und die Sumerer nicht für einen Indianerstamm halten. Wer in Europa Universalis II regiert, wird die Rosenkriege und die Preußen einordnen können. Wer in Hearts of Iron II die Fäden zieht, wird etwas über den Frontverlauf des Zweiten Weltkriegs erfahren.

Natürlich geht es virtuell in erster Linie um Schlachten, Völker und Truppen. Aber auch martialische Szenarien wecken vielleicht die Neugier im Spieler, selbst nachzuforschen, wo knallharte Fakten und wo butterweiche Fiktion über den Bildschirm flimmert: Hatten die Wikinger tatsächlich Hörner an ihren Helmen? Gab es eine germanische Siedlung Bordesholm? Wieso hießen die Rosenkriege Rosenkriege? Sobald man diesen Fragen nachgeht, wendet man eine wissenschaftliche Methode an: die Recherche.

Der Zocker wird für ein paar Google-Minuten zum Erkenntnisjäger. Archäologen sind ein Leben lang auf der Suche nach Zeugnissen vergangener Kulturen, wühlen in der Erde nach Kleinoden und freuen sich, wenn sie eine beschriftete Tonscherbe finden. Jeder Fund ist ein Teil in einem großen Puzzle. Sie lassen es nicht mit der Peitsche, aber dafür mit Theorien krachen: Die Himmelsscheibe von Nebra hat in der Presse mehr Staub aufgewirbelt als Half-Life 2 und Halo 2 zusammen. Das Duo Hype und Fake spielt nicht nur in der Spielewelt eine Rolle. Und in einem hat Indiana Jones trotz aller Klischees den Nagel auf den Kopf getroffen: Archäologen sind Jäger der verlorenen Schätze.

Sind wir Zocker das nicht auch? Sind wir nicht auch ständig auf der Pirsch nach dieser ersten Faszination, die uns als Kinder mit großen Augen die Zeit vergessen ließ? Mein erstes Atari 2600 wirkte anno 1982 wie ein mystisches Artefakt auf mich. Es strahlte mich an wie ein fremdes Relikt. Da war dieses Herzklopfen, dieses ungläubige Staunen, dieser unsichere Griff zu dem, was ein Gamepad sein sollte, aber wie ein Schraubendreher aussah. Als Pac-Man und Missile Command liefen, habe ich mich wie ein Entdecker auf einem neuen Kontinent gefühlt. Und bin bis heute dageblieben...

Aber lassen wir die Sentimentalitäten: Archäologen und Spieler trennt viel. Die einen
Diese Kolumne ist nur ein Teil des Spielkulturthemas "Archäologie im Spiel". Dazu empfehlen wir:

Gastbeitrag: Fakten und Fantasie
Interview: Archäologe im Gespräch
Bilderserie: Peitsche & Kriegselefant
Porträt: Thorsten Michel (Uni Kiel)
sind geduldige Wissenschaftler, die anderen gefräßige Spaßverschlinger. Zwei grundverschiedene Spezies. Aber sie haben ein paar Kleinigkeiten gemeinsam: Beiden hängt ein Image an, das nichts mit der Realität zu tun hat. Beide suchen leidenschaftlich neue Schätze. Beide schwelgen gelegentlich in alten Legenden, um ihre Quest zu erfüllen. Die einen werden bis nach Troja, die anderen bis zum Abspann geführt. Das Glücksgefühl kann an der Küste Kleinasiens dasselbe sein wie im Bottroper Sessel.

Jörg Luibl
4P|Chefredakteur

 

Kommentare

Jörg Luibl schrieb am
Gordian E. hat geschrieben:Man könnte aber auch provokant fragen, ob der Nihilismus in der Form, wirklich ein singuläres Phänomen des Mittelalters war.
Nein, war er sicher nicht - das Christentum ist ja schon früher enstanden. Was sagte Fritz Nietzsche noch? Christ und Nihilist - das reimt sich nicht nur...
Der Nihilismus ist vielleicht eher ein menschliches Phänomen. Eine chronische Depression des Homo sapiens. Öhm, ich schweife ab... :wink:
An alle anderen Entwarnung: Nein, wir machen kein Nihilismus-Spielkulturthema.
Bis denne
johndoe-freename-80806 schrieb am
Ich möchte gar keine Diskussion anzetteln, da der Sachverhalt doch recht evident und somit klar ist. Wir gehen von zwei unterschiedlichen Spielertypen aus, derjenige der recherchiert und derjenige der nicht recherchiert. Der eine sucht die Majorität bei dem ersten Gamertypus, der andere bei letzterem. Das ist meiner Auffassung nach legitim und durchaus diskutabel.
Ich finde es alleine schon deshalb immens löblich, dass ihr diesen (Denk-)Impetus mit eurem Feuilleton leistet.
Man könnte aber auch provokant fragen, ob der Nihilismus in der Form, wirklich ein singuläres Phänomen des Mittelalters war. Denn viele Punkte, die auf eben jenes \"Nichts\" hindeuten, dass der Nihilismus suggeriert, lassen sich in den öffentlichen Debatten der Gegenwart, wenn auch in milderer Form, wiederfinden.
Dennoch: Sehr schöner Feuilleton-Bereich ;)
Jörg Luibl schrieb am
Willkommen im 4P-Forum!
Gordian E. hat geschrieben:Mit welcher Freude habe ich die Entdeckung eines Gamer-Feuilletons bei 4Players beobachten dürfen.

Die Blumen sind angekommen, blühen bereits in einer feinen Ego-Vase und sorgen an diesem tristen Montag für etwas Frühlingsduft. :wink:
Gordian E. hat geschrieben:Dennoch sehe ich hier eher die Gefahr einer Simplifizierung, die den Spieler vielmehr saturiert, als dass sie ihn zur "Recherche" ermutigen würde.
Ja, diese Skepsis ist verständlich. Man gewöhnt sich an alles, und kann sich auch an das historisch Aufgetischte gewöhnen. Wer keinen Sinn für oder keinen Bock auf geschichtliche Zusammenhänge hat, wird sich stumpf durch ein Dutzend WW2-Shooter ballern, ohne seine Ursachen ergründen zu wollen.
Aber ich denke, es kommt da auf den Spielertypen an: Es gibt überall Neugierige, die sich eben nicht so einfach abspeisen lassen und vielleicht sogar durch einen abstrusen Anachronismus oder falschen Sachverhalt in einem Spiel zu recherchieren beginnen. Ich kann da allerdings nur von mir sprechen: Einige Spiele haben dafür gesorgt, dass ich mich tiefer in eine Materie eingearbeitet habe, die eigentlich nichts mehr mit dem Spiel als solchem zu tun hatte.
Gordian E. hat geschrieben: Ein grauenhafter Krieg wird so auf einige, wenige Scharmützel reduziert und von seiner historischen Bedeutung abstrahiert.
Ja, es handelt sich um eine historische Kastration für Unterhaltungszwecke, die wichtige Elemente komplett ausgrenzt. Genau so wie bei all den Filmen von Arnheims bis zur Kwai-Brücke. Aber ich denke, dass da noch einiges in Sachen historische Reife bzw. Sensibilität in der Spielewelt möglich ist.
Gordian E. hat geschrieben:Selbiges gilt übrigens auch für andere Produktionen, die vom Mittelalter ein düsteres, perverses und nihilistisches Bild zeichnen, was, wie nach heutigen Erkenntnissen immer deutlicher wird, so einfach nicht stimmt.
Ja. Aber diese Erkenntnis kann auch eine Frucht der Recherche sein. Und der Nihilismus...
johndoe-freename-80806 schrieb am
Mit welcher Freude habe ich die Entdeckung eines Gamer-Feuilletons bei 4Players beobachten dürfen. Darüber hinaus wurde mein Auge noch mit edelster Sprache und feinster Artikelqualität belohnt, wahrlich, welch Schmaus in diesen tristen Zeiten.
Dennoch muss ich der in diesem Artikel aufgestellten Behauptung, dass Spiele durchaus das geschichtliche Bewusstsein schärfen könnten, widersprechen. Es ist so, wie es der Autor formulierte, nämlich, dass Spiele immer einen historischen Ausschnitt darstellen, dem Spieler anbieten, der ihnen genehm ist. Der Spieler erhält so einen Kurzüberblick über Hannibals Elefanten (Rome) oder die Landung alliierter Truppen in der Normandie (MoH und Konsortium). Dennoch sehe ich hier eher die Gefahr einer Simplifizierung, die den Spieler vielmehr saturiert, als dass sie ihn zur \"Recherche\" ermutigen würde. Wenn ich zum fünften Mal innerhalb eines Jahres durch den Sand der Normandie robbe und immer wieder gegen Nazi-Schergen im kalten Stalingrad anlaufe, stellt sich bei mir eher eine Art Überdruss ein. Sicherlich mag meine Argumentation in puncto ?Beispiel? ? an dieser Stelle - etwas knapp ausfallen: ?Warum denn immer nur der Zweite Weltkrieg?? Eben jener Zweite Weltkrieg, weil er immer mehr zum Sujet der heutigen Spieleproduktionen wird. Ein grauenhafter Krieg wird so auf einige, wenige Scharmützel reduziert und von seiner historischen Bedeutung abstrahiert. An dieser Stelle erwarte ich von keinem Minderjährigen, dass er sich durch das WWW ?googelt? um genauere Informationen über den Nationalsozialismus zu erhalten.
Selbiges gilt übrigens auch für andere Produktionen, die vom Mittelalter ein düsteres, perverses und nihilistisches Bild zeichnen, was, wie nach heutigen Erkenntnissen immer deutlicher wird, so einfach nicht stimmt.
Simplifikationen können einem die ödesten Mahlzeiten schmackhaft machen, allerdings entpuppen sie sich im Magen doch all zu häufig als der rote Apfel im Garten Eden. Sprich: Man kann den Spielen an dieser Stelle...
Eisregen121 schrieb am
Also ich muss zwar sagen das die hier aufgeführten Spiele mich nicht zum Googlen Inspiriert haben, da ich genug informationen über TV serder wie Discovery, Planet, ZDF Docu, History Channel, National Geographics, usw.. habe, und mich das mehr zum googlen anregt, aber es gab andere spiele die mich dazu anregten. Wie Baphomets Fluch. Wo man in übrigen sehr sehr interessante sachen darüber findet.
Ich hoffe im übrigen das Lara Croft nicht in die zwickmühle kommt sich Rassieren zu müssen (zumindest nicht einen 3 Tage Bart)
Aber ich sehe das auch so, der Drang etwas erforschen zu wollen sollte das hauptziel eines guten spieles sein. Deshalb bin ich auch leidenschaftlicher Adventure Zocker, und Rollenspieler.
Für mich steht einfach die geschichte im Vordergrund, und wenn diese dann gut erzählt ist, spielt für mich das ausmas der interaktion keine all zu große rolle mehr.
Ich hab lieber ein Spiel wie MGS3, mit einem tragischen ende, eine super inzenierung, als den besten EGO Shooter der welt, welcher das auch immer sein mag.
Eine Zeitgenössische geschichte (oder versuchte Story) wie in GTA SA, interessiert mich dagegen null. Wären das neue Mafia spiel (Der Pate) schon eher seine wirkung auf mich zeigt. Das fremde, nicht greifbare, ist genau das was auf mich seine wirkung ausstrahlt, deswegen bin ich auch kein freund von Spielen, die mäglichst viel real darstellen wollen.
Einschränkungen gehören dazu, sie diehnen ja auch als wegweiser. Sie führen die geschichte dorthin, wo sie von Entwicklerteam erzählt werden will.
Und das ist wohl einer der Hauptgründe warum ich Spiele liebhaber der Japanischen RPGs bin. Die Nippons verstehen einfach mehr von esoterik, unterschwelligen Botschaften, einer Moral.
schrieb am