Kommentar

hundertprozent subjektiv

KW 13
Mittwoch, 26.03.2014

Das böse VR-Erwachen


Facebook hat was?? Der erste April ist doch erst nächste Woche! Bin ich doch vorm Rechner eingeschlafen? Gestern Abend wirkte die Headline zumindest wie ein bizarrer Traum: Facebook übernimmt Oculus Rift. Kein Scherz. Für satte zwei Milliarden Dollar. Nach dem Lesen der Nachricht war ich schlagartig wieder hellwach. Zum Vergleich: Als Palmer Luckey vor zwei Jahren damit anfing, an seinem Virtual-Reality-Headset zu schrauben, brachte die Kickstarter-Kampagne gut zwei Millionen Dollar ein.

Eine derart dicke Geldspritze ist natürlich ein Segen für die Massenproduktion der Consumer-Version, aber muss es unbedingt Facebook sein? Zuckerbergs Imperium ist mir ähnlich unheimlich wie Markus Persson, der seine angedachte Minecraft-Version für das Headset prompt abgesagt hat. Es wäre scheinheilig, das soziale Netzwerk gerade als Online-Magazin pauschal zu verteufeln, doch von Facebooks Investitionskraft abgesehen erinnert der Aufkauf eher an eine finanzielle Zweckehe.

Was bitteschön haben Smalltalk und Statusmeldungen mit dem Voranbringen einer Technologie gemeinsam, welche vor allem von technikbegeisterten Hardcore-Spielern begleitet und unterstützt wurde? Laut Mark Zuckerberg sehr viel: Die Virtuelle Realität sei einer der Kandidaten, die zur nächsten großen sozialen bzw. Kommunikationsplattform werden könnte, heißt es in der offiziellen Mitteilung. Spiele erscheinen in der Auflistung der Einsatzgebiete erst an dritter Stelle. Klar, vielleicht handelt es sich dabei um bloße Marketing-Flosskeln, trotzdem hoffe ich darauf, dass sich der Fokus des Projekts nicht verschiebt.

Die Stärke von Oculus Rift war schließlich von Anfang an die Konzentration aufs Wesentliche: Es ging eben nicht um viele Einsatzmöglichkeiten oder halbherzig eingebundenen sozialen Schnickschnack. Palmer Luckey wollte es diesmal richtig machen: Ein Headset, das sich voll auf das Eintauchen und die Spiele konzentriert und die Probleme ausmerzt, welche die Technik schon in den Neunzigern haben scheitern lassen. Als Sammler dutzender Headsets weiß er schließlich, dass der Trend schon einmal scheiterte. Wenn man sich verzettelt und das Versprechen schon wieder nicht einlöst, könnte der VR-Hype genau so schnell in der Versenkung verschwinden wie vor zwanzig Jahren. Noch vor drei Jahren wurde VR schließlich von vielen als Lachnummer aus den Neunzigern mit klobigen Brillen und Übelkeitsgefühlen assoziiert.

Facebook beteuert, dass sich durch die Übernahme nichts an Oculus‘ Plänen für die Spielewelt ändern wird. Trotzdem besteht natürlich die Gefahr, der Zugang ohne Facebook-Konto irgendwann versperrt bleibt. Der Konzern könnte versuchen, ein Gegenstück zu Steam auf die Beine zu stellen: Ein geschlossenes System mit eigenem Shop für VR-Spiele. Wer dabei sein will, müsste die Nutzungsbedingungen von Facebook wohl oder übel abnicken – mit allen damit verbundenen Datenschutzproblemen. Mit einer neuen Technik tun sich vermutlich ähnlich viele Verwertungsmöglichkeiten des Nutzerverhaltens auf wie bei Kinect. Momentan ist der Aufschrei groß, doch spannende Exklusivtitel könnten viele Spieler trotzdem zu Käufern machen. Arbeitet Valve deshalb seit geraumer Zeit an einem eigenen Prototypen? All das ist bislang natürlich reine Spekulation. Falls es aber doch so kommt, könnte das aber vor allem deshalb problematisch werden, weil das Oculus Rift kein Headset unter vielen, sondern der große Hoffnungsträger der Technologie ist.

Die gesammelte Konkurrenz wurde von Luckeys Engagement auf dem falschen Fuß erwischt. Sony etwa präsentiert zwar regelmäßig neue 3D-Headsets, diese besitzen aber keine so klar abgesteckte Zielgruppe und Vision. Auch bei der Vorstellung des Hoffnungsträgers Morpheus wurde nicht wirklich klar, an wen sich das Gerät denn nun wenden soll. Liegt der Fokus diesmal wirklich auf Spielen oder sollen wieder mobile Cineasten bedient werden? Können das Headtracking und das 90-Grad-Sichtfeld mit dem neuen Rift-Prototypen konkurrieren? Es stehen einfach noch zu viele Fragen im Raum, um wirklich einschätzen zu können, ob Sony es diesmal ernst meint. Neben Branchengrößen wie Sony und Microsoft gibt es auch kleinere Initiativen, doch die besitzen nicht die Sogwirkung eines Oculus Rift. Das Game Face Mark IV z.B. wirkt zwar sympathisch, nutzt aber Android als Betriebssystem. Ich wette, dass ich nicht der Einzige bin, der sein Headset lieber mit der PC-Grafikkarte befeuern möchte.

Meine Vorfreude hat gestern Nacht einen gewaltigen Dämpfer bekommen. Trotzdem bin ich gespannt darauf, wie sich das Rift weiterentwickelt. Facebook und Oculus sollten nicht vergessen, dass vor allem technikbegeisterter Spieler die Euphorie um das Projekt getragen haben. Dass die Teilnehmer der Kickstarter-Kampagne über den Tisch gezogen wurden, sehe ich übrigens nicht: Sie haben schließlich für ein Development-Kit bezahlt und es auch bekommen – auch wenn der Aufkauf durch Facebook auch dort sicherlich nicht begeistert aufgenommen werden dürfte.  


Jan Wöbbeking
Redakteur

 

Kommentare

Max Headroom schrieb am
Dem Facebook-Konzern kribbelt's an den Ei...ngeweiden ;)
Ihr Kundenstamm wird flügge und verlässt das Heim. Dem Neuzuwachs ist Facebook nicht innovativ genug. Facebook konterte, indem sie ihren extrem erfolgreichen SMS-Konkurrenten einfach vollständig einkaufte und sich nun das nächste große Ding der IT-Welt einverleibt. Hauptsache, die zukünftigen Internet-User werden mit dem Facebook-Logo aufwachsen, so wie Leute heutzutage mit "Tempo", "Nivea", "Coca Cola" oder "Lego" aufwachsen. Marken, die "zum Leben dazugehören". Zumindest kommt es mir so vor ;)
Ich habe noch die Hoffnung, dass das Gerät vollständig Facebook-frei nutzbar sein kann. Wenn ja, dann kommt mir das Teil in's Haus :) Notfalls muss mit dem einen oder anderem Hack dafür gesorgt werden, dass die Verbindungen des Gerätes zum Facebook-Haus nach 127.0.0.1 umgeleitet werden. Und falls es dennoch keine Möglichkeit geben sollte, sich ohne das angeben etwaiger Daten in die 3D-Welt begeben zu können, dann wird eben geduldig abgewartet, bis ein anderes Gerät diese Funktion ermöglicht. Die Konkurrenz wird sicherlich nicht schlafen und den Markt nach solchen Nachfragen abfragen. Wie war das nochmal? Die zukünftige Konsole von Microsoft wird sich nicht ohne eine (stündliche) Verbindung zum Mutterkonzern "dauerhaft" benutzen lassen? Es sei unmöglich, den "Vibe" des Gerätes ohne eine erzwungene Accountbindung der Spieletitel zu fühlen? Wie schnell sich doch die Welt verändert! :P
Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Zuckerberg-Imperium den Rift "frei von Facebook" gewähren lässt. Zumindest eine - beim erstmaligem Einschalten - angezeigte Nachfrage ob man das Gerät mit Facebook koppeln möchte, um das neue 4D-Gesichtsinterface zu erfahren, wird es wohl geben. Und ich kann mir gut vorstellen, dass unzählige Hacker den Treiber und seine Dateien bis in's letzte Byte disassemblieren, um vor etwaigen versteckten Datenleaks zu warnen. Facebook würde sich womöglich einen Pfeil in's eigene Knie schiessen wenn bekannt werden würde,...
Marobod schrieb am
Wenn Valve tatsaechlich ein headset baut, wird sich das am Ende durchsetzen in der Spielewelt, und wer dann unbedingt damit facebooken will, wird das sicher damit auch machen koennen.
Und man kann tracking cookies entfernen, gibt genug tools fuer browser, ich glaub bei mir laufen 4 verschiedene Programme die (super-)Cookies entfernen und auch verhindern das sie draufgeladen werden (DonotTrackme , BetterPrivacy sind allen ans Herz gelegt).
Auch im Android Handy kann man seinen ganzen google schnickschnack abschalten , ich weiß nicht optimal aber hey, auch dafuer gibt es Programme :D
Habe selber keinen Facebook account, jedoch hin und wieder Freunde zu besuch die sich gern mal einloggen.Da ist man froh, daß man sich abschirmt.
Letzten Endes wird Facebook vielleicht dabei helfen seiner Konkurrenz das Buisness zu verbessern, weil keiner sich mit FB wohl fuehlt der VR-zocken will.
johndoe1525641 schrieb am
Naja. Ich sehe diesen Facebook-Wahn auch sehr kritisch, mich nervt schon dieser "Share"-Button am neuen PS4-Controller. Ich werde wohl langsam altmodisch. Ich will Filme gucken und schöne Spiele zocken und nicht weiter mit Social media belästigt werden.
Für das Headset könnte das Engangement aber tatsächlich etwas Gutes bedeuten -- immerhin hat man jetzt genügend Schotter für Forschung und Entwicklung.
Also, ich hab keine abschließende Meinung dazu. Erstmal abwarten und Tee trinken.
schrieb am