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KW 24
Freitag, 14.06.2019

E3 2019: "Breathtaking!"


Cyberpunk 2077 kommt auch für Switch! Ist das nicht "breathtaking"? Ja, Scherz. Hat Keanu Reeves auch nicht versprochen. Aber auf dieser E3 hätte es mich nicht gewundert, wenn noch Star Citizen für die Hybridkonsole angekündigt worden wäre. Immerhin werden The Witcher 3, Alien Isolation, Resident Evil 6 und zig andere tatsächlich für eine Konsole portiert, in der Nvidias Tegra-Chip (!) rattert. Nicht, dass die noch unterwegs explodiert wie so manches iPhone!

Nahezu alle Publisher sorgen gerade für eine regelrechte Umsetzungs-Artillerie, die gefühlt alle Spiele der letzten Jahre abdeckt. Denn Switch kommt viel besser an als vermutet und auch alte Titel werden auf Nintendos Konsole gut verkauft. Damit ist der Strategiewechsel nach Wii U, sich also von der traditionellen japanischen Einigelung zu lösen und dem Markt der Dritthersteller zu öffnen, voll aufgegangen.

Nintendo wirkt in diesem Hightech-Wettbewerb, in dem wir über Intelligent Cloud, Streaming und Teraflops sprechen, wie ein lächelnder Anachronismus im bunten Hosenanzug. Sie sind selbst als technischer Underperformer mit altbackenem Online-Service und Pappmaché-Kreationen erfolgreich. Warum?

Weil sie mit ihren Marken immer noch den Kern der Faszination treffen und mittlerweile auch für Spielspaß in der Breite sorgen. Und mit der Ankündigung von The Legend of Zelda: Breath of the Wild 2 konnten sie diese lauwarme E3 in einer klaren Veranstaltung ohne hysterische Moderatoren mit einer Überraschung beenden. Aber Nintendo hielt einiges zurück, zeigte nichts von Metroid Prime 4 und ist hinsichtlich neuer Hardware verdächtig still.

Genau diese strategische Zurückhaltung prägte diese Spielemesse. Denn statt uns in Los Angeles den Atem rauben zu wollen, schienen alle nochmal so richtig Luft zu holen. Während dieser E3 konnte man förmlich spüren, dass es eher um Anspannungen als um Explosionen oder gar Knockouts geht - Sony ist sogar gleich im Trainingslager geblieben. Denn alle bereiten sich auf zwei Dinge vor...

...erstens auf den großen Showdown im Schwergewichtskampf 2020, dem vielleicht letzten Rumble in the Console Jungle zwischen Sony und Mircosoft. Nächstes Jahr Weihnachten wird es nochmal nostalgisch krachen, da wird auch im Vorfeld von PlayStation 5 und Xbox Scarlett wieder mit härteren Bandagen gekämpft.  Auch wenn die alten Rivalen in Sachen Streaming kooperieren: Auf der E3 2020 wird es ein Gewitter an Hardware-Gepose und Exklusiv-Ankündigungen geben.

Aber richtig ernst wird es zweitens erst danach im neuen Krieg der Spiele, in den sich alle Big Five spätestens mit Google Stadia, Apple Arcade und den Amazon Game Studios so richtig einmischen. Nicht zu vergessen Epics größter Anteilseigner aus China: Tencent. Alle kaufen gerade Studios, Lizenzen, Technik und Know-how, um sich für das beste Streaming-Angebot der Zukunft zu rüsten. Dafür müssen sie viele Leute in den nächsten fünf bis zehn Jahren erreichen, überzeugen und langfristig binden. Auch wenn es seltsam klingt: Gerade Nintendo könnte eine Blaupause sein, denn sie erreichen aktuell genau diese Masse, für die Technik nicht das Wichtigste ist.

Nachdem die etwas in den Hintergrund gerückte Virtual Reality keine große Rolle in Los Angeles spielte, positionierten Microsoft, Bethesda und Ubisoft ihre Strategien für den nächsten digitalen Trend: Streaming, und zwar aus einer Bibliothek im Monats-Abo. Redmond lässt dafür PC und Xbox weiter verschmelzen und Letztere auch aufs Handy streamen, Todd Howard & Co wollen allen Wettbewerbern ihre Orion-Lizenz verkaufen und die Franzosen kooperieren mit Google, um neben Microsofts Game Pass auch ihren neuen Abo-Service Uplay plus zu pushen.

Wieviel werden uns die Abos für Musik, Film und Spiel bald kosten? Ist das letztlich der bessere Deal für alle? Und will ich überhaupt eine Zukunft, in der ich "everywhere, everything with everybody" spielen kann? Dieses Mantra von Phil Spencer sorgte bei mir umgehend für asoziale Tendenzen und Bunkerphantasien, denn das Spiel bleibt für mich eine intime Angelegenheit zwischen mir und einem Bildschirm. Ich sauf auch nicht mit jedem, Leute!

Für den Zocker alter Schule kann das alles wie gespenstische Zukunftsmusik klingen, denn ihn treiben immer noch handfestere Wünsche an - der Rechner muss am Limit rödeln, die gute alte Konsole soll rocken. Und weil die Sehnsucht so groß ist, freut man sich vielleicht auch dann, wenn ein Biest mit Glaskinn aus dem Nebel schreitet: Xbox Scarlett! Sie wurde mit so viel Liebe und Leidenschaft in Microsofts Spieleversteher-Garagen zusammen gelötet, dass sie wirklich alles, auch sechs übereinander gestapelte Switch im Karton, zum Frühstück fressen könnte. Das war vielleicht die einzige Peinlichkeit dieser E3, die an früheres Bullshit-Bingo auf den Jubelbühnen erinnerte. Nein, Moment, ich habe Deep Silvers oberpeinliche Erklärung für die Epic-Exklusivität von Shenmue 3 vergessen...

...aber zurück zum Konzert der Großen: Der Frühstücks-Hunger ist natürlich kein Wunder. Die Xbox Scarlett hat so einen Kohldampf, weil sie nix an Spielen auf den Rippen hat. Außer Halo Infinite, dessen Masterchief was machte, als er mit Spielszenen in 8K und 120fps bei 0.1 Millisekunde Ladezeit zwischen Planeten hätte begeistern können? Die Luft anhalten! Stopp, weiter, nächster Trailer. Aktuell würde sie also auch einen VW Golf oder eine Boeing 747 fressen. Microsoft muss sich die großen Ankündigungen natürlich für die E3 2020 aufsparen. Deshalb kann man nur damit protzen, dass sie viermal so stark sein wird wie die Xbox One X. Ich würde ja gerne so euphorisch jubeln wie die Kreuzkreischer in Los Angeles...

..aber das Problem ist: Es gibt keinen X-Faktor, den ich gedanklich mit vier multiplizieren könnte - denn kein einziges Spiel hat die Xbox One X bisher ausgereizt! Ist das allen bewusst? Also ist sie wieder da, die alte Technikspirale. Da werden einem Bedürfnisse in in 8K und technische Vorteile eingeredet, die im Kontext der wirklich wichtigen Herausforderungen ein Witz sind! Was interessiert mich, ob es in einer oder fünf Sekunden weiter geht, wenn das Spiel danach qualitativ so unterliefert wie Sea of Thieves oder Crackdown? Und was ist mit der KI? Nur damit das kein Zocker falsch versteht: Bei "Intelligent Cloud" geht es nicht um besseres Figurenverhalten im Spiel, sondern um bessere Daten- und Bedürfnisabschöpfung beim Kunden.

Nicht der Prozessor, nicht die Vernetzung ist die Herausforderung, sondern die Kreativität - also: Content bleibt der King! Microsoft hat das schmerzhaft mit seiner destruktiven Strategie erfahren, deshalb kauft man jetzt wieder fleißig Studios. Nach Ninja Theory, Obsidian und inXile präsentierte man Tim Schafer und Double Fine; der übrigens sehr amüsant anmerkte, dass man zur Not auch Forzas und Halos entwickeln würde - so als Plan B. Damit trifft er den wunden Punkt, der die Scalebound-Einstampfer bis zur E3 2020 verfolgen wird. Dort werden sie inhaltlich Muskeln, also Spiele zeigen müssen, die ihr technisch aufgeplustertes Biest erst wirklich stark machen können - sonst trifft Sony nach seinem Trainingslager im Weihnachtsgeschäft 2020 das Glaskinn.

Aber auch Kenichiro Yoshida und sein Team müssen liefern: Nachdem man die letzten Jahren mit starken exklusiven Spielen dominierte und die Virtual Reality förderte, gab es an der PlayStation 4 einiges vom Laufwerk bis zum Gamepad auszusetzen und die zweite Welle bleibt eine Unbekannte. Was wird nach Death Stranding, The Last of Us 2 und Ghost of Tsushima angekündigt? Zwar genügt ein Blick auf die Studios und Marken, um Sony erneut sehr viel Qualität zuzutrauen. Nur darf sich nicht das Gefühl einstellen, dass nach Days Gone und Horizon Zero Dawn vier weitere offene Welten versprochen werden...

Und wenn Cyberpunk 2077 am 16. April 2020 auf PC, PS4 und Xbox One auch nur annähernd das abliefert, was wir bisher gesehen haben - wozu dann eigentlich noch stärkere Konsolen? Hat man die kommende Generation als letztes verzweifeltes Aufbäumen der traditionellen Spiele-Industrie zu verstehen? Dabei klingt das pessimistischer als es gemeint ist: Denn was jetzt schon fest steht ist, dass wir auch in naher Zukunft eine enorme Auswahl an Spielen haben werden. Unsere Release-Listen für 2019 und 2020 sind rappelvoll.

Die Spielewelt boomt sich gerade in neue Höhen, mit einer schier unbegrenzten Zahl an Titeln, wobei ein Trend dieser Tage das kooperative Spielen ist , vor allem in Teams gegeneinander. Auch der Military-Shooter feiert mit allem peinlichen Pathos ein kleines Comeback. Erst wenn es Tendenzen zu einer Monokultur geben würde, müsste man sich Sorgen machen - weshalb ich Google übrigens keinen Daumen drücke, aber dafür allen kreativen Spieldesignern und Teams, die ihre Ideen auch in einem solchen Konzern durchsetzen können.

Apropos: Hideo Kojima setzte im Vorfeld ein Zeichen, indem er die größte und riskanteste spielerische Vision mit Death Stranding verkündete - das gleich ein neues Genre begründen soll. Auch diese gefühlte Hybris, diese egozentrischen Rockstars, braucht eine Branche, die manchmal wie ein maschinelles Kollektiv nach Trends zu entwickeln scheint. Die Aussicht auf das "Social Stranding System" gehörte neben Cyberpunk 2077 und der Bestätigung von Elden Ring, an dem tatsächlich Hidetaka Miyazaki und George R. R. Martin zusammen arbeiten, zu meinen Highlights.

Ansonsten passt zu dieser E3 2019 am besten das Bild vom American Pitbull Terrier, der vollkommen entspannt da liegt und fast einschläft, als sein Herrchen Jon Bernthal die Anwesenden mit Ghost Recon Breakpoint elektrisieren will. Genauso fühlte ich mich beim finalen Tusch dieser Messe, der seltsamen Diskussion über ein Werbeplakat in einem Spiel...


Jörg Luibl
Chefredakteur

 

Kommentare

casanoffi schrieb am
Flextastic hat geschrieben: ?20.06.2019 14:09 Interessant, wie weit Wahrnehmungen auseinander liegen können. Du sprichst von from Software und nennst Qualität, bei gta reduziert du es auf den online-Modus, lässt aber alles andere ausser Acht (was das Spiel zum Platzhirsch macht, im mp musst du keinen Cent stecken und hast trotzdem ein tolles Erlebnis).
Objektivität ja? Hm.
Ich wollte GTA5 nicht auf Online reduzieren - aber erwähnen, dass es auch negative Elemente gibt.
Dass man keinen Cent für den MP ausgeben muss, tut dabei weniger zur Sache.
Ich spreche es dem Spiel auch gar nicht ab, der Platzhirsch zu sein.
Ich wiederhole mich gerne - wenn man sowohl Quantität als auch Qualität der Entwickler betrachtet, ist Rockstar für mich nicht der strahlende Held im Business.
Genau so wenig, wie ich behaupte, Nintendo hätte keine Baustellen.
Immer dieses Schwarz-Weiß-Denken ^^
Ich schrieb, Nintendo steht derzeit gut da, weil sie viel liefern und bei ihren Spielen Qualität garantieren und dass sie damit in meinen Augen derzeit zu den besten Entwicklern gehören. Nicht mehr, nicht weniger.
johndoe1044785 schrieb am
Interessant, wie weit Wahrnehmungen auseinander liegen können. Du sprichst von from Software und nennst Qualität, bei gta reduziert du es auf den online-Modus, lässt aber alles andere ausser Acht (was das Spiel zum Platzhirsch macht, im mp musst du keinen Cent stecken und hast trotzdem ein tolles Erlebnis).
Objektivität ja? Hm.
Nintendo hat keine Baustellen?
casanoffi schrieb am
c452h hat geschrieben: ?20.06.2019 11:43
Kolelaser hat geschrieben: ?18.06.2019 17:31
c452h hat geschrieben: ?17.06.2019 15:11 Welche denn? Das sind doch alles nur Kinderspiele in leichten Variationen, mit denen Titel wie GTA V, RDR2, Witcher III oder Cyberpunk den Boden aufwischen.
Im Gegensatz zu den Spielen die du auflistet haben Nintendo spiele exzellentes Gameplay und Level Design. Auch wenn ich auf Trolle nicht antworten sollte.
Sprach der Obertroll. Sei froh, dass ich deinen neuen Account nicht den Mods stecke. :lol:
Ist natürlich alles Geschmackssache, aber wenn man sich rein auf die Entwickler bezieht, dann steht Nintendo aktuell wirklich gut da, die nicht nur seit vielen Jahren permanent liefern, sondern auch für Qualität garantieren.
Man muss für deren Spiele nichts übrig haben, keine Frage, aber man sollte doch trotzdem erkennen können, dass der Laden momentan vieles richtig macht und vor allem regelmäßig die Fans bedient.
Auf deinen Verlgeich mit GTA, Red Dead Redemption, Witcher oder Cyberpunk gehe ich gerne ein.
Von Rockstar kommt nur alle 5 Jahre was daher, man kassiert mit GTA Online seine Kundschaft ab, RDR Online ist meiner Meinung nach ein Rohrkrepierer - und CD Projekt Red hat seine scheinende Rüstung in der AAA-Branche auch schon ein wenig befleckt (verheizen von Mitarbeiten etc.), außerdem müssen die es erst noch beweisen, dass sie nach dem WItcher was können. Cyberpunk ist ja noch nichtmal erschienen, also verbietet sich dieses als Verlgleich.
Klar, sowohl Rockstar als auch CDPR sind positive Namen in der Branche, aber genau so gut könnte man z. B. Frontier Development nennen, die seit ein paar Jahren mit Elite Dangerous, Planet Coaster, Jurassic World Evolution und dem zukünftigen Planet Zoo mehr als positiv in Erscheinung treten, selbst wenn sie damit nur eine Nische bedienen.
Oder From Software, die seit vielen Jahren regelmäßig Qualität liefern.
Ich hätte noch Bethesda genannt, aber die haben sich dieses Jahr selbst aus dem Ring geschossen...
c452h schrieb am
Kolelaser hat geschrieben: ?18.06.2019 17:31
c452h hat geschrieben: ?17.06.2019 15:11
Kolelaser hat geschrieben: ?15.06.2019 15:01 Nintendo ist einfach der Entwickler der Stunde. Machen momentan die mit Abstand besten Spiele...
Welche denn? Das sind doch alles nur Kinderspiele in leichten Variationen, mit denen Titel wie GTA V, RDR2, Witcher III oder Cyberpunk den Boden aufwischen.
Im Gegensatz zu den Spielen die du auflistet haben Nintendo spiele exzellentes Gameplay und Level Design. Auch wenn ich auf Trolle nicht antworten sollte.
Sprach der Obertroll. Sei froh, dass ich deinen neuen Account nicht den Mods stecke. :lol:
casanoffi schrieb am
Der Chris hat geschrieben: ?19.06.2019 20:30 Das ist eine Möglichkeit...ansonsten kommt mir auch gerade ganz unwillkürlich die Fabel von dem Fuchs und den Trauben in den Sinn.
Da ich nicht sonderlich Märchen/Fabel-fest bin, musste ich hier erst googeln.
Auch sehr treffend :D
schrieb am