Next-Gen-Winterschlaf
Also geht der Winterschlaf weiter bis zum 7. März. Aber nicht nur das öffentliche Leben, auch die Spielebranche steht irgendwie still, zwischen Schnee und Frost verharrend. Das mag für Privatzocker angesichts all der Titel im
Early Access, in den Shops sowie den "Pile of Shames" seltsam klingen. Außerdem gab es da ja
The Medium,
Hitman 3 und gerade
Super Mario 3D World - also eigentlich für fast alle was dabei.
Aber es fehlen nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Bildschirm die richtig fetten Partys, die Konzerte auf großer Bühne oder spielkulturelle Highlights mit einem größeren Kaliber als Unity-Engine oder Roguelike 666. Vieles wird zudem so weit verschoben, selbst von Capcom, die ihre Zombie- und Monsterjäger sonst gerne sehr früh loslassen, dass das Spielejahr 2021 erst am 7. Mai mit
Resident Evil Village so richtig startet. Ob die Vampirlady mich wachbeißen kann? Oder gibt es noch andere Überraschungen? Selten waren Januar, Februar, März und auch April so wenig prominent besetzt.
Vielleicht hat der eine oder andere ja auch auf eine 4K-Switch im Frühling gehofft, die Nintendo für dieses Jahr zumindest nicht dementiert hat. Aber zur gefühlten Erstarrung tragen natürlich in erster Linie die beiden "neuen" Konsolen Xbox Series X und PlayStation 5 bei. In welcher Gletscherspalte sind die seit Weihnachten verschwunden?
Kann man schon Wetten abschließen, dass man als Unter-60-Jähriger mit deutschem Pass im Jahr 2021 schneller eine PS5 oder XBX als eine Impfung gegen Corona bekommt? Oder umgekehrt? Was da wohl die bessere Quote hätte? Immerhin kann man sicher früher zum Friseur gehen als eine dieser Konsolen kaufen. Trotzdem gibt es jetzt keinen Grund für die PC-Fraktion zu grinsen, denn Grafikkarten sind bekanntlich auch aus. Und ohnehin komplett überteuert...
Zwar war absehbar, dass Microsoft noch einige Winter brauchen würde, um mit all seinen Studios in die Spur großer Ankündigungen zu kommen. Aber auch Sony legt nach einem richtig guten Lineup erstmal ein langes Schläfchen ein, was exklusive Spiele betrifft. Immerhin weiß man jetzt, wann man spätestens eine PS5 kaufen kann: im Juni.
Das "kleine"
Returnal von Housemarque wurde ja noch auf Ende April, aber gerade wurde das etwas größere
Ratchet & Clank: Rift Apart auf den 11. Juni verschoben - und Sony lässt seine Maskottchen wohl kaum ins Leere hüpfen. Bis dahin gilt, wie aktuell mit so vielem, was abseits der Arbeit für Spaß und Unterhaltung sorgen kann: abwarten, dass es besser wird.
Aber vorher noch etwas jammern, weil hilft ja nix. Also: Ob wenigstens
Kena: Bridge of Spirits noch im März erscheint? Selbst das "Next-Gen-Update" von
Cyberpunk 2077, auf das sicher viele mit PS5 und XBX für Januar oder Februar gehofft hatten, reiht sich an das Ende einer Patchkolonne. Und so verhallen bei den einen die frisch erworbenen Konsolen wie weihnachtliche Versprechen, während die anderen noch nicht mal Licht am Ende des Ausverkauftunnels sehen.
Und alle weisen Silberzockerrücken behalten recht, die schon letztes Jahr zur Geduld rieten. Wenn wir ehrlich sind: Man verpasst ja nicht viel, wenn man noch keine der 4,5 Millionen PS5 ergattern konnte, die weltweit bis Dezember 2020 ausgeliefert wurden - denn erst ab Oktober bis Weihnachten wird es mit
Ghostwire: Tokyo,
Stray und technologisch endlich in XL mit
Horizon Forbidden West losgehen. Auch
Halo Infinite erscheint bekanntlich Ende des Jahres. Dass das nur ein gefühlter Winterschlaf und natürlich die spezielle Sicht der Spielepresse ist, demonstrieren auch Sonys und Microsofts Erfolge in den Geschäftsberichten von Oktober bis Dezember 2020.
Am
Beispiel von Microsoft zeigt sich (noch), wie wenig relevant exklusive Triple-A-Abenteuer sind, wenn "Gaming" auch so an die 5 Mrd. Dollar umsetzt. Darin sind natürlich Gewinne durch den Microsoft Store und Abos wie Xbox Live mit seinen 100 Mio. sowie der Game Pass mit seinen 18 Mio. Kunden enthalten - im Vorjahr im April waren das übrigens noch 10 Mio.! Prognose: stark steigend. Hier schläft also ein Riese, der sich mit dem Kauf von Bethesda so richtig Studiofett angefressen hat, von dem er die nächsten Jahre zehren wird -
The Elder Scrolls 6,
Starfield und jetzt sogar
Indiana Jones incoming. Da kann ja eigentlich nix schief gehen bei der Machtübernahme im Jahr 2024 oder 2025...
Aber noch kommt der König aus Japan:
Sony meldet für PlayStation sogar 8,45 Mrd. Dollar Umsatz - innerhalb der Spielewelt ist das ein Rekord, der natürlich die sehr gute Studio-Arbeit der letzten Jahre für PS4 widerspiegelt. Darin sind neben Spielen wie Spider-Man: Miles Morales, das 4,1 Mio. mal für PS5 ausgeliefert wurde, die Gewinne durch den PlayStation Store sowie Abos wie PS Plus mit seinen 47,7 Mio. Kunden enthalten, während die 2,2 Mio. für PS Now vom Mai 2020 noch nicht aktualisiert wurden. Im Vergleich zum GamePass ist das ja auch eher mickrig.
Beim Vertrauen in die exklusive Spiele-Entwicklung liegt Microsoft noch weit hinten, aber im wichtigen Geschäft der Kundenbindung sowie der Streuung der Inhalte über die Cloud hat man die Nase vorn. Aktuell bedrängen sie Google und deren kürzlich um eigene Produktionen kastriertes, aber technologisch noch führendes Stadia. Doch schon dieses Jahr sollen die Spiele des Game Pass nicht nur auf dem Smartphone, sondern direkt aus der Wolke auf eurem 4K-TV landen - ohne zusätzliche Hardware. Wie wird Sony reagieren? Services bündeln und mehr Spiele in ein Abo? Noch gilt auch für PlayStation die Prognose: stark steigend.
Hab ich
Nintendo vergessen? Satte 26,5 Mio. Switch will man über ein Jahr hinweg bis Ende März 2021 verkauft haben. Die Nachfrage ist so hoch, dass man dieses Ziel schon zweimal nach oben korrigieren konnte. Wer braucht da schon 4K, OLED oder irgendwas aus Wolken (noch ist das gestreamte
Control eine Ausnahme für Switch)? Selbst wenn es für Veteranen so langsam Dauermarioschleifen werden und Nintendo in den Verwaltungsmodus übergegangen ist, hat es auch etwas Beruhigendes, dass dieser Pionier, der die Spielkultur mit so vielen kreativen Entwicklungen in Hard- und Software bereichert hat, auf traditionelle Weise bestehen kann. Prognose: ebenfalls stark steigend.
Von frostiger Lethargie kann also trotz stockender Konsolen-Auslieferungen und fehlender Top-Titel keine Rede sein: die Kassen klingeln, die Branche boomt fast frühlingshaft - alle Wettbewerber alter Schule erwarten großes Wachstum.
Trotzdem fühlt sich dieser Jahresbeginn an wie ein Winterschlaf. Alles zieht sich, vieles wirkt weit weg und manches, vor allem abseits der Spielwelt, vermisst man mittlerweile schmerzlich. Aber es geht aufwärts: Ich hab jetzt erstmal einen Termin beim Barbier gemacht. Und wie fix das ging: In der kompletten Woche vor Resident Evil Village hab ich freie Wahl - ich freu mich auf den Mai!
Und bis dahin leg ich mich wieder hin.
Jörg LuiblChefredakteur