Kommentar

hundertprozent subjektiv

KW 09
Mittwoch, 03.03.2010

Infinity Ward - Geradegebürstet


Mit einem ordentlichen Getöse hatte Activison Blizzards Marketingmaschine Call of Duty: Modern Warfare 2 (MW2) im November in Stellung gebracht. Die Erwartungen wurden nicht enttäuscht, brach der Shooter doch binnen kürzester Zeit diverse Umsatz- und Absatzrekorde.

Umso größer ist das Erstaunen angesichts dessen, was am Abend des Montags bei Entwickler Infinity Ward geschah. Von Activision angeforderte Security-Leute tauchen auf dem Firmengelände auf, Vince Zampella sowie Jason West werden zu einem Meeting einbestellt, wo ihnen ein Angebot unterbreitet wird, das sie nicht ablehnen können. Keiner der beiden kehrt jemals wieder an seinen Arbeitsplatz zurück; der einstige Chef des Studios und dessen ehemaliger Chief Technology Officer werden wohl in bester Tradition aus dem Gebäude eskortiert.

Der Zeitpunkt ist kein reiner Zufall, liefert der Publisher doch an jenem Abend einen pflichtgemäßen Bericht an die US-Börsenaufsicht ab. Man untersuche derzeit einen Fall von Vertragsbruch und "Insubordination" zweier höherer Angestellter von Infinity Ward, heißt es da leicht übersehbar in einem der zahllosen aufgeführten Punkte. Der Publisher geht zudem davon aus, dass Zampella oder West ihren alten Brötchengeber verklagen werden.

Über die Gründe für die Entlassung wird seitdem fleißig spekuliert - dass sich die Studioführung schon seit einiger Zeit mit dem Geldgeber gestritten hatte, ist vielerorts zu hören. Auch die Berichte, dass Infinity Ward derzeit nicht an Modern Warfare 3 (MW3) arbeitet, klingen durchaus plausibel - vor zwei Jahren verkündete man schließlich hochoffiziell, dass man sich einer neuen Marke zuwenden werde, über die das Studio gar die vollständige Kontrolle behalten soll.

Schon vorher hatte es Gerüchte um einen Sci-Fi-Shooter gegeben, der jüngeren Mutmaßungen zufolge wohl auch als nächstes Projekt in die Pipeline des Studios geschoben wurde.  Der Publisher pochte jedoch dem Vernehmen nach auf MW3 - angesichts der Schrumpfkur im Musikspielmarkt wollte man dem neben World of Warcraft stärksten Zugpferd im Stall keine vierjährige Auszeit gönnen. Die aber wäre wohl fällig geworden, da Infinity Ward nach früheren Erfahrungen darauf bedacht war, sich immer nur an einem Projekt zu versuchen, anstatt das Team aufzuteilen oder auszubauen.

Der bisherigen Informationslage nach hatte sich das Studio vertraglich zusichern lassen, exklusiv am modernen Ableger der Call of Duty-Reihe arbeiten zu dürfen. Dass das Team stets eine Sonderstellung für sich einforderte und sich als wahren Hüter der Serie sah, war nie ein großes Geheimnis. Die einst CoD3.exe genannte Startdatei von Call of Duty 4: Modern Warfare war eine klare Ansage an Treyarch, wo man zuvor innerhalb von acht Monaten auf Geheiß Activisions Call of Duty 3 aus dem Boden gestampft hatte.

Erstaunlich hart und direkt war auch die Art und Weise, wie Robert Bowling Activisions Noah Heller gehörig in die Parade fuhr, weil dieser sich seiner Meinung nach mit Call of Duty: World at War etwas zu sehr im Erfolg von CoD 4 gesonnt hatte. Verbale Ausfälle war man bis dato nur von Krawall liebenden Egomanen wie Tomonobu Itagaki gewohnt - dass ein Entwickler einen Angestellten des Mutterkonzerns und indirekt auch ein Schwesterstudio derartig deutlich kritisiert, galt eher als Novum. Eine öffentliche Entschuldigung wurde nie eingefordert; bei Activision biss man sich wohl auf die Lippen.

Auch an anderer Stelle dürfte es zumindest hinter den Kulissen Diskussionen gegeben haben. So war Infinity Wards jüngste Produktion eindeutig und ohne Namenszusatz als "Modern Warfare 2" angekündigt worden. Der Titel dürfte ganz nach dem Geschmack des Studios gewesen sein, konnte man sich doch so noch stärker von den 'normalen' Ablegern absetzen. In der Zeit vor dem Release schlich sich dann allerdings wieder das "Call of Duty" auf die Packung und in die Pressemitteilungen - vermutlich weil man in der Firmenzentrale dann doch nicht ganz auf den vertrauten Namen verzichten und den Erfolg des Projekts gefährden wollte.

Sollten die Gerüchte darüber stimmen, dass Zampella & Co. Activision teilweise gar Zugang zu MW2-Meilensteinen verwehrt oder sich bei der Abnahme quergestellt haben - es wäre ein nahezu unglaublicher, bei diesen Projektgrößen und in dieser Konstellation gar verblüffender Vorgang, ein eindeutiges Zeugnis des Selbstverständnisses des Teams. Der Erfolg des Spiels dürfte dem Selbstbewusstsein der Entwickler kaum geschadet haben. Ebensowenig wie die Mitteilung des Mutterkonzerns, der schon vor Kurzem verkündete, dass man davon ausgeht, der nächste Treyarch-Titel werde sich nicht so gut verkaufen wie MW2.

Es ist durchaus möglich, dass sich die Studioführung angesichts der Umsatzrekorde für unangreifbar hielt - und sich dabei verzockte. Das Prädikat 'sakrosankt' gibt es nicht bei Activision, und dass frühere Verdienste manchmal nichts mehr zählen, mussten vor Kurzem auch RedOctane und Neversoft erfahren.

Allem Eigensinn zum Trotz: Infinity Ward hatte seine Titel bisher pünktlich und zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk abgeliefert und hatte mit der hauseigenen Engine auch zu den ersten Spieleschmieden gehört, die die PS3 in den Griff bekamen, als sich selbst Epic noch etwas mühte. Und hatte Robert Kotick nicht vor gerade einmal zwei Wochen etwas über das Respektieren der Firmenkultur- und Werte der internen Studios erzählt? Seifenblasen haben eine längere Halbwertzeit als solche Äußerungen.

Dass der Börsenkurs des Unternehmens gestern nicht etwas einsackte, zeigt vor allem eines: An der Wall Street hat man vielleicht Ahnung von Bilanzen, nicht aber von der Entwicklung von Spielen. Die Implikationen der Entlassung Zampellas und Wests könnten weitreichend sein. Sorgen muss man sich gewiss nicht machen um die beiden aufgrund ihres Backgrounds . Selbst wenn sie sich aufgrund vertraglicher Vereinbarungen - durchaus üblich - für eine gewisse Zeit aus der Branche raushalten sollten, stattdessen Activision verklagen und die unausweichliche außergerichtliche Einigung erstreiten sollten - an Angeboten wird es den vermutlich finanziell ohnehin recht gut ausgestatteten Entwicklern nicht mangeln. Sollten sie es anstreben, ein neues Studio aufzubauen, so dürfte es kaum überraschen, falls einige ehemalige Kollegen plötzlich einen Anruf erhalten - Infinity Ward selbst war schließlich einst das Produkt eines Massenexodus von einem Publisher. Auch ohne Zampellas Einwirken dürften derzeit reichlich Headhunter im Umfeld von Infinity Ward umtriebig sein, darauf setzend, unzufriedene Angestellte eines der derzeit erfolgreichsten Studios der Welt abwerben zu können für ihre Klienten.

Es sei an dieser Stelle nicht ausgeschlossen, dass Infinity Ward den Bogen einfach wirklich überspannt hatte - und Activisions nicht mehr willens war, sich auf der Nase herumtanzen zu lassen, interne Eskapaden, Alleingänge und Seitenhiebe in Richtung anderer Teams weiter zu dulden. Laut eigenen Angaben entfielen 68 Prozent des Umsatzes im vergangenen Geschäftsjahr auf die drei Marken Guitar Hero, World of Warcraft und Call of Duty. Der Hersteller weiß um seine risikobehaftete Abhängigkeit - und darum, wie die Perspektiven in den drei Bereichen aussehen. Das Blizzard-MMORPG ist die stetigste der drei Geldkühe; welche seit anderthalb Jahren auf hohem Abo-Niveau verharrt, ohne jedoch anscheinend noch wachsen zu können. Die Musikspiele sind der fragilste der drei Bereiche, war der Umsatz im vergangenen Jahr doch deutlich weggebrochen. (Es sei auch daran erinnert, dass Activision Blizzard im Weihnachtsquartal trotz des Rekordstarts von Modern Warfare 2 und der Einnahmen durch WoW ein Minus von 286 Mio. Dollar hinnehmen musste.) Nur die CoD-Reihe konnte 2009 noch zulegen verglichen zum Vorjahr. Dass der nervöse Hersteller versucht, hier nichts anbrennen zu lassen und die Umsätze zu maximieren, ist dann auch nur konsequent.

Ein launisches Studio, das sich nicht wirklich in seine Arbeit reinreden lassen will, passt da nicht mehr so recht ins Programm - besonders dann, wenn man sich dort lieber erstmal einer neuen Marke zuwenden wollte, statt das eingeforderte MW3 abzuliefern. Der Hoffnung, Infinity Ward mittel- oder langfristig auf Linie zu bekommen, also geradezubürsten, indem man zwei Leute feuert und das Studio in die "Call of Duty-Geschäftseinheit" eingliedert, liegt eine äußerst optimistisches (eher: naives) Verständnis von Teamphilosophie und -psychologie zu Grunde.

Die Ausnahmestellung und die Outlaw-Mentalität waren einer der Motoren des Shooter-Spezialisten; eine in über acht Jahren ausgebildete Firmenkultur und das daraus eingeschliffene Selbstbild ändert man nicht mal eben schnell, indem das Management zur Guillotine geschickt wird. In der Arbeitspsychologie werden zwei klassische Reaktionsmuster bei Machtausübung -- definiert als Durchsetzung eigener Interessen gegenüber den Interessen der Mitarbeiter -- postuliert: Die Betroffenen setzen sich zu Wehr und leisten Widerstand - oder fügen sich ihrem Schicksal, leisten dann aber höchstens noch Dienst nach Vorschrift. Dienst nach Vorschrift ist zwar, was sich Activision wünscht; ob auch die Nebenwirkungen korrekt einkalkuliert wurden, steht jedoch auf einem anderen Blatt.

Dass es bei Infinity Ward in Sachen Anspruch und Produktivität weitergeht wie gehabt, also 'business as usual', ist eines von mehreren möglichen Szenarien. Es ist auch das unwahrscheinlichste. Der potenzielle Aderlass und die Attitüde der verbliebenen Mitarbeiter könnten darin resultieren, dass Infinity Ward in ein oder zwei Jahren nicht mehr viel mit dem Team gemein hat, das es bis vor Kurzem war.

Natürlich werden sich auch die nächsten CoD-Titel millionenfach verkaufen. Wer deswegen glaubt, der Erfolg sei ein garantierter Automatismus, irrt. Wie sich bewährte und erfolgreiche Serien nach und nach in die Sphären der inhaltlichen (und verglichen zu den besten Zeiten: absatztechnischen) Irrelevanz führen lassen, hat Electronic Arts in den vergangenen Jahren mit Need for Speed und Medal of Honor bewiesen. Dort hat man übrigens auch reichlich Erfahrung hinsichtlich des fahrlässigen Umgangs mit einst florierenden Teams wie Westwood, Origin, Bullfrog oder der Infinity Ward-Wurzel 2015, Inc. Man muss kein Branchenguru sein, um hier einen Zusammenhang zu sehen.

Ob sich Activision mit jenen Maßnahmen also langfristig wirklich einen Gefallen getan hat, bleibt abzuwarten. Kurzfristig konnte der Hersteller dafür immerhin der angestrebten Firmenkultur Koticks gerecht werden: Furcht, Zweifel und Pessimismus dürften derzeit keine Mangelware sein in der Studiofamilie des Publishers. Und all das ist ja - Sarkasmus voraus! - bekanntermaßen ein fruchtbarer Nährboden für Zufriedenheit, Loyalität und Kreativität.


Julian Dasgupta
Redakteur


 

Kommentare

Jazzdude schrieb am
the_smoker hat geschrieben:
lord-matte hat geschrieben:
Polecat hat geschrieben:Puhh.. ich blicke wirklich nicht mehr bei den ganzen Call of Duty und Modern Warfare durch...
Was war jetzt Zwei? 4?
Und war der dritte nicht sogar nicht-auf-PC-erhältlich?
Ich muss mir das nochmal alles auf einem Dashboard aufmalen, zusammen mit Publisher- und Entwicklernamen, und den Artikel nochmal lesen :)
weil ich ja so feundlich bin:
1. Call of Duty
Szenario: 2. Weltkrieg
Entwickler: Infinity Ward
2. Cal of Duty 2
Szenario: 2. Weltkrieg
Entwickler: Infinity Ward
3. Call of Duty 3
Szenario: 2. Weltkrieg
Entwickler: Treyarch
4. Call of Duty 4: Modern Warfare
Szenario: Gegenwart (fiktiver Krieg gegen Russland und den Mittleren Osten)
Entwickler: Infinity Ward
5. Call of Duty: World at War
Szenario: 2. Weltkrieg
Entwickler: Treyarch
6. Call of Duty: Modern Warfare 2
Szenario: Gegenwart (fiktiver Krieg gegen Russland und Terroristen, Verräter, Waffenhändler, blablabla)
Entwickler: Infinity Ward
Der Publisher ist IMMER Activision.
Kleine Ergänzung:
1.5 Call of Duty: Finest hour
Szenario: 2. Weltkrieg
Entwickler: Spark Unlimited
1.5-2 Call of Duty 2: Big Red One
Szenario: 2. Weltkrieg
Entwickler: Spark Unlimited
Beide Titel sind *nur* auf den Konsolen erschienen.
Genug kluggeschissen ;)
Ich fand nur die von Infinity Ward gut. Call of Duty 3 und 5 waren für mich unnötige aufgüsse!
Ash2X schrieb am
Nun, ich blicke nicht mehr ganz durch,aber ein 15?-Mappack spricht mehr als 1000 Berichte XD
the_smoker schrieb am
lord-matte hat geschrieben:
Polecat hat geschrieben:Puhh.. ich blicke wirklich nicht mehr bei den ganzen Call of Duty und Modern Warfare durch...
Was war jetzt Zwei? 4?
Und war der dritte nicht sogar nicht-auf-PC-erhältlich?
Ich muss mir das nochmal alles auf einem Dashboard aufmalen, zusammen mit Publisher- und Entwicklernamen, und den Artikel nochmal lesen :)
weil ich ja so feundlich bin:
1. Call of Duty
Szenario: 2. Weltkrieg
Entwickler: Infinity Ward
2. Cal of Duty 2
Szenario: 2. Weltkrieg
Entwickler: Infinity Ward
3. Call of Duty 3
Szenario: 2. Weltkrieg
Entwickler: Treyarch
4. Call of Duty 4: Modern Warfare
Szenario: Gegenwart (fiktiver Krieg gegen Russland und den Mittleren Osten)
Entwickler: Infinity Ward
5. Call of Duty: World at War
Szenario: 2. Weltkrieg
Entwickler: Treyarch
6. Call of Duty: Modern Warfare 2
Szenario: Gegenwart (fiktiver Krieg gegen Russland und Terroristen, Verräter, Waffenhändler, blablabla)
Entwickler: Infinity Ward
Der Publisher ist IMMER Activision.
Kleine Ergänzung:
1.5 Call of Duty: Finest hour
Szenario: 2. Weltkrieg
Entwickler: Spark Unlimited
1.5-2 Call of Duty 2: Big Red One
Szenario: 2. Weltkrieg
Entwickler: Spark Unlimited
Beide Titel sind *nur* auf den Konsolen erschienen.
Genug kluggeschissen ;)
Ghaleon schrieb am
Mal wieder typisch Julian - gibt keine Quellen an, damit man die Infos nicht nachprüfen kann.
Ist auch wahrscheinlich besser so, wenn niemand dahinter kommt, dass hier nur Vermutungen gesponnen werden.
Roemi schrieb am
Die Qualität der Spiele lebt von Enthusiasmus, Kreativität und Können der Spieleentwickler.
Man kann solche Leute nicht einsperren, kontrollieren geschweige denn mit viel Geld kaufen wie z.B. Wallstreetheinis oder Businesshirnis, deren einziger Lebenszweck im Anhäufen und Präsentieren von großen Geldmengen liegt.
Entwickler/Ingenieure richten ihre Ziele anders aus.... und geraten zwangsläufig in Konflikt mit detr "anderen Seite"
schrieb am