Kommentar

hundertprozent subjektiv

KW 25
Mittwoch, 23.06.2010

E3 2010 - Gewinner und Verlierer


Die Pressekonferenzen der E3 waren technisch defekt, oder? Wieso verzerrte das Bild immer so? Oder hatte ich die falsche 3D-Brille auf? Da standen mitten im Juni drei Weihnachtsmänner mit ihren prall gefüllten Exklusivsäcken auf der kalifornischen Bühne. Die prophezeiten mir die herrlichste Spielezukunft - mit 3DS, Kinect und Move, mit Flintentod und Familiengehopse, mit ESPN und PSN+, von Casual bis Hardcore, für wirklich alle und sicher jeden.

Und das Kuriose: Nintendos Nikolaus lieferte die beste Show ab. Reggie Fils-Aime hat nach zwei katastrophalen Jahren nicht nur mit einem überraschend vielfältigen Spielangebot aufgetrumpft, das einen Bogen von innovativen Abenteuern wie Epic Mickey über Klassiker wie Donkey Kong bis hin zum neuen GoldenEye spannte, sondern die Konkurrenz von Sony und Microsoft vor allem technisch alt aussehen ließ. Spätestens als der Nintendo 3DS selbst bei skeptischen Redakteuren vor Ort für dreidimensionales Staunen sorgte, war ihnen der Kantersieg in der Spielepresse sicher - während Microsoft und Sony nur nachäfften, präsentierte Nintendo nach dem peinlichen Fingersensor vom letzten Jahr endlich wieder eine Pionierleistung.

Aber zwischendurch verschwamm das Trio immer wieder zu einem monströsen Big Daddy des Videospielmarketings, weil sie alle drei dieselben Vokabeln gebrauchen und scheinbar alle Wünsche befriedigen können. Ob Denis Dyack mit seiner One-Console-Future die Hand im Spiel hatte? Jedenfalls hatte ich das Gefühl, dass da ein schizophrener Konsolenpriester drei Pressekonferenzen auf einmal geleitet hat. Und der quasselte sich dann so lange so anders, bis er sich wieder in drei Brüdern manifestierte: Unique Reggie, Selling Don und Point Jack. Wenn die sich zusammen verkauft hätten, wären sie wirklich einzigartig.

So blieb es bei Nintendo, Microsoft und Sony, die sich in ihrer Ansprache und dem Angebot weiter annähern, anpassen und damit immer austauschbarer werden - es fehlte nur noch die Ankündigung der Wii in High Definition, dann hätten sich alle perfekt kopiert. Was vor allem Fans der 360 und PS3 vermisst haben: Einen Ausblick auf großartige Spiele der Zukunft! Ein Bekenntnis dazu, dass die Big Player der Branche auch in die wahren Herausforderungen investieren, in virtuelle Erlebnisse mit künstlicher Intelligenz, dramatischen Entscheidungen und Emotionen! Die meisten Spiele stehen qualitativ still und dieser Status quo wird auch gerne gekauft. Aber zumindest für das Image sollten sich die Großen der Branche kreative Exoten halten und vorzeigen.

Dieses Jahr gab es aber nicht mal einen Hauch von interessanter Zukunftsmusik, weder ein Alan Wake noch ein Heavy Rain - es wurde bei Microsoft und Sony nicht ein exklusives Projekt von Format angekündigt. Natürlich ist das keine Game Developers Conference. Aber diese E3 ist die wichtigste Weltbühne, auf der man seine Vision als Spielehersteller live vor einem Millionenpublikum vorstellen kann. Selbst Nintendo präsentiert dann ein Abenteuer der Marke Zelda ohne jegliche epische Idee wie ein blödes Partyspiel: Das sah mit aktiver Schild- und Schwertpose albern und schrecklich hektisch aus.

Die Chance der Faszination haben aber vor allem die zwei anderen Weihnachtsmänner vertan. Auf ihren Pressekonferenzen wurde lieber über Kimme und Korn geballert als über Kreatives aus eigenem Hause gesprochen. Wie war das jetzt noch? DICE macht den Multiplayer von Medal of Duty und Black Ops ist eine DLC-Kampagne in Killwar 3, die danach exklusiv in Gears of Zone 3 kommt? Ich bin verwirrt. Bei all dem monotonen Shootervuvuzela konnte man kaum noch die Fakten ordnen, geschweige denn besondere Charakteristika finden. Klar werden wir unseren Spaß mit Gears of War 3 und Killzone 3 haben. Aber dieses Genre hat seinen Zenit längst überschritten, weil es bis zum Erscheinen von PlayStation 4 und Xbox 720 im Jahr 2012 keine grafischen Sprünge machen wird. Es ist auch nicht schlimm, dass der Waffenporno weiterlebt - es wird auch ewig Pommes geben. Und die sind zwischendurch lecker.

Schlimm ist aber, dass Sony und Microsoft genau da investieren, wo Nintendo mal mit Wii anfing: Im bewegungssensitiven Niemandsland der Kreativität. Was ist denn Spielen mit Freikörperkontrolle à la Kinect oder Leuchtdildo à la Move? Nichts als die Kastration von Design. Nichts als ein Rückschritt in die Steinzeit der einfachen Hand-Auge-Koordination, wo man selig Kätzchen krault oder Luftgitarre spielt. Wo man letztlich Spaß daran haben soll, dass man sich genau so bewegt wie in der Realität, wenn man den Golfschläger schwingt oder den linken Haken schlägt. Ob man auf der nächsten E3 auch Sportvereine in HD ankündigt? So mit richtiger Umkleidekabine, durch die man hopsen kann? Oder den ersten rein virtuellen Ball, den man aber echt treten muss?

Egal ob Move oder Kinect: Diese Geschenke können die Weihnachtsmänner von Microsoft und Sony behalten - davon ist für mich als Zocker momentan nichts interessant. Das ist alles bewegungsgeiler Aktionismus, um die Aktienschafe noch schnell auf Nintendos fruchtbaren Weiden zu mästen. Aber die sind längst abgegrast. Es macht da nicht Muh, sondern Wiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiieh in Millionenstärke vom Wal Mart in Texas bis zum LIDL in Bottrop - jeder Haushalt hat seine weiße Kiste für Mami und Kids.

Das, was dieses Jahr für 150 Dollar und ein paar Zerquetschte in den Handel kommt, wird 2012 wahrscheinlich für 5 Dollar bei Ebay erhältlich sein, wenn die echte Magie der neuen Grafikchips ihre Wirkung in PS4 und Xbox 720 entfaltet: Das Spiel ist nämlich längst nicht auf dem fotorealistischen Niveau eines Avatar. Aber es wird sich dem weiter annähern - und dafür werden die Leute gerne bezahlen. Aber wo sind denn die fantastischen Spiele für Move und Kinect? Ich habe noch keine gesehen.

Man darf nicht vergessen: Microsoft hatte uns im Jahr 2009 mit Project Natal sehr neugierig auf die Spielezukunft gemacht. Aber dann präsentieren sie ein Jahr später mit Kinect eine uninspirierte Nachäfferei für die Restfamilien, die noch nicht wie sterile Grinsekatzen auf der weißen Nintendocouch hocken! Und Peter Molyneux, der Creative (!) Director, sagt kein Wort zu dem kreativen Projekt schlechthin, das auf der letzten E3 noch als der heilige Gral der künstlichen Intelligenz propagiert wurde: Milo and Kate. Erst nach der Messe schwadroniert der Mann davon, dass es mittlerweile "zehn mal beeindruckender" sein soll als 2009 - und warum zur Hölle zeigt man es dann nicht? Man muss sich langsam fragen, ob nach dem Rausschmiss von Bach und Allard sowie der internen Rare-Verwurstung für Avatare und Minispiele überhaupt noch kreative Spiele aus Redmond kommen - stattdessen kauft man sich eine Actionsandale von Crytek. Und lässt sie auf der E3 nicht mal einen Meter loslatschen.

Sony hat ebenfalls enttäuscht. Ihr Move wirkt zwar auf den ersten Blick veteranenfreundlicher, weil Spiele wie Sorcery anspruchsvoller als eine Minispielsammlung aussehen. Aber Vorsicht, Gentleman: Das Boxspiel "The Fight" sieht zwar besser aus als das alberne Mii-Gekloppe, aber fühlte sich vor Ort in LA einfach nur schlecht an - man muss doch tatsächlich auf einem Fleck stehen bleiben, damit sich Move nicht wieder neu kalibriert! Sonys Comedy-Ansatz konnte immerhin für einen Augenblick ins emotionale Schwarze treffen, nämlich in die empfindliche Seele aller Zocker, die sich keinen Schnickschnack, sondern einfach nur geile Spiele wünschen. Hier konnte man kräftig nicken.

Aber was präsentieren die Herren dann auf der Show als "große Überraschung"? Für welches Spiel lassen sie quasi den Trommelwirbel einsetzen? Wir haben auf die Magie von The Last Guardian gehofft, wir haben mit dem neuen Projekt von Naughty Dog oder Quantic Dream gerechnet - also mit der großen Idee nach Heavy Rain. Ach ja: Wo ist eigentlich Agent, das Spiel für PS3 von den GTA-Machern? Aber das exklusive Tafelsilber lässt Sony erst gar nicht auf die Bühne.

Nein, stattdessen fährt ein grinsender Clown mit seinem Actionbus vor. Nichts gegen Twisted Metal im Allgemeinen, aber das ist wirklich keine Qualität im Besonderen - das ist ein fucking Autoshooter! Und dann diese Sache mit der PSP: Habe ich das richtig verstanden, dass da gar kein Nachfolger angekündigt wurde, sondern mir ein kleiner Junge in Zukunft in vielen Werbespots verklickern will, warum Sonys Handheld doch richtig cool ist? Will man dieses Geldgrab jetzt mit einer Marketingkampagne weiter zuschütten und die fataler Weise um UMDs kastrierte PSPgo weiter pushen?

Man ist ja auch so anspruchsvoll nach all den Messen, nicht wahr? Man will tatsächlich immer bessere Spiele und kreative Entwicklungen sehen. Und dann kommt die ernüchternde Bescherung. Aber ganz so schlimm war es nicht. Es gab ja die rote Zipfelmütze von Nintendo. Und ich freue mich tatsächlich riesig auf ein Metal Gear Solid und Resident Evil für den 3DS. Aber können sich diese Titel auch in der Praxis beweisen und den Tiefeneffekt auch spielerisch einsetzen? Ich bin gespannt, denn noch beruht die Begeisterung auf selbstlaufenden Demos.

Nintendo hat mich aber nicht nur überzeugt, weil sie echtes 3D ohne Brille realisieren, sondern weil sie den einzigen Spieldesigner auf die Bühne geholt haben, der nicht nur blöd geballert oder oberflächlich fabuliert hat, sondern der etwas von seinen Visionen erzählt hat, von Entscheidungen und Konsequenzen: Warren Spector mit Epic Mickey. Das tat richtig gut, als das Marketing schwieg und der Meister sprach. Wo waren die Zauberer für Xbox 360 und PlayStation 3? Oder sind sie bereits auf dem Weg zur gamescom?

Bei all der Enttäuschung über die fehlenden Visionen der Konsolen-Platzhirsche darf man nicht vergessen: Die Spielewelt bewegt sich auch ohne Sony und Microsoft weiter. Dieses Jahr standen nur nicht die exklusiven Abenteuer im Vordergrund der E3, so wie letztes Jahr Uncharted 2, Heavy Rain oder Mass Effect 2, sondern jene der Dritthersteller, die auch unsere Top 10 dominieren. Und da gibt es von Deus Ex 3 über Enslaved und Portal 2 bis Majin und The Witcher 2 genug Qualität. Zumal man auch auf dem PC wieder einige Hochkaräter begrüßen darf: Es geht im Sommer mit StarCraft II los, dann folgen Civilization V und Shogun 2 wartet schon - alles komplett fuchtelfrei.

Die Zukunft liegt nicht in HD oder 3D, nicht in Kinect oder Move oder irgendeinem anderen Schnickschnack, sondern einzig und allein in intelligentem Gamedesign.


Jörg Luibl
Chefredakteur

 

Kommentare

Chibiterasu schrieb am
Um E-Gs Hinweis mal auszuführen, lies wirklich mal nach wieviel Revisionen es von der PSP oder auch von der PS3 gibt.
Da fehlt dann auf einmal auch die PS2 Abwärtskomp. oder Schnittstellen oder sie ist stromsparender etc.
Wird das auch als Abzocke verstanden? Nein!
Ist nur normal sowas.
Und der 3DS ist KEINE Revision. Sondern eine neue Generation.
Wie oft denn noch?????
E-G schrieb am
lol... als kleiner sony boy würd ich im bereich hardware revisionen nicht so das maul aufreißen ;)
(schon gar nich wenn man offensichtlich unter informationsmangel leidet)
johndoe702394 schrieb am
Ich verstehe nicht, warum 3D nun das Non-Plus-Ultra ist. Mich nervt das eigentlich nur, weils rein Abzocke ist! Und ich verstehe auch nicht, warum jeder Nintendo-Freak gleich aufschreit. Wie lange ist es her, dass der DSi erschienen ist? Und jetzt schon wieder ein neues Gerät!? Wieviel GameBoy-Versionen gab es, bis man einen neuen Handheld entwickelte??? Nintendo verarscht seine Kunden nach Strich und Faden und alle findens gut? Wie lange dauert es also noch, bis die Wii HD erscheint, die welch Wunder, wohl nicht so wirklich abwärtskompatibel sein wird! Schließlich muss man ja 70Millionen Kunden dazu bewegen, sich die neuere Wii zu kaufen!
In diesem Sinne!
The Chiller schrieb am
Also ich bin schon sehr gespannt wenn 3ds raus kommt :)
Raksoris schrieb am
Schrödi hat geschrieben:Hab nichts übrig für nintendo
Und wir nichts für dich :D
schrieb am