von Marcel Kleffmann,

Frogwares (Entwickler) erhebt schwere Vorwürfe gegen BigBen/Nacon (Publisher): Vertragsbruch und Erpressung

The Sinking City (Rollenspiel) von Bigben Interactive / Frogwares
The Sinking City (Rollenspiel) von Bigben Interactive / Frogwares - Bildquelle: Bigben Interactive / Frogwares
Aktualisierung vom 27. August 2020, 12:52 Uhr:

Nach der Veröffentlichung des offenen Briefs, in dem Frogwares schwere Vorwürfe gegen BigBen/Nacon in Bezug auf The Sinking City (ab 35,99€ bei kaufen) erhob (siehe unten), hat sich auch die Gegenseite zu Wort gemeldet und die Anschuldigungen auf das Schärfste zurückgewiesen. Folgende Erklärung wurde u.a. an USgamer verschickt:

"Ein Streit zwischen Nacon und Frogwares über die Interpretation des Publishingvertrags von The Sinking City ist vor französischen Gerichten noch anhängig. Mit einer Entscheidung wird erst in einigen Monaten gerechnet. Frogwares hielt es jedoch für notwendig, dem bevorstehenden Urteil vorzugreifen, indem sie auf ihrer Website und in ihrem Twitter-Feed eine Presseerklärung veröffentlichten, die eine einseitige und fehlerhafte Auffassung des Inhalts der vertraglichen Vereinbarung und der Art dieses Rechtsstreits widerspiegelt. Nacon weist diesen offenen Brief, dessen Wortlaut nicht mit den Tatsachen übereinstimmt, mit Nachdruck zurück. Frogwares versucht, Nacon in den Augen der Öffentlichkeit und der Fachwelt zu diskreditieren (und geht sogar so weit, vertrauliche Informationen preiszugeben!) und die Distribution von 'The Sinking City', deren Entwicklung hauptsächlich von Nacon finanziert wurde, zu beeinträchtigen. Dieses Verhalten, das jeder professionellen Partei unwürdig ist, ist inakzeptabel und Nacon beabsichtigt, rechtliche Schritte einzuleiten, um sie zu bestrafen und Schadenersatz zu erhalten. Nacon ist zuversichtlich in Bezug auf den Ausgang des Rechtsstreits, unabhängig von den Mitteln, mit denen Frogwares ihnen Schaden zugefügt hat."

Ursprüngliche Meldung vom 25. August 2020, 15:00 Uhr:

The Sinking City
ist aktuell in vielen Stores nicht mehr erhältlich. Frogwares, die Entwickler und Besitzer des geistigen Eigentums, erklärten in einem offenen Brief, dass sie den Vertrag mit ihrem Publisher (alter Name: BigBen Interaktive (BBI); neuer Name: Nacon) gekündigt hätten, weil das Unternehmen aus Frankreich seinen vertraglichen Verpflichtungen mehrfach nicht nachgekommen sein soll. Bislang hat sich Nacon zu den Vorwürfen nicht geäußert, daher basiert die nachfolgende Darstellung ausschließlich auf den durchaus plausiblen Ausführungen von Frogwares, die in der Vergangenheit schon Stress mit Focus Home Interactive gehabt hatten (wir berichteten). Den offenen Brief, auf dem dieser Artikel basiert, findet ihr hier.

Seit der Veröffentlichung von The Sinking City am 27. Juni 2019 befindet sich Frogwares (Ukraine) im Rechtsstreit mit BBI/Nacon (Frankreich). Der grundlegende Lizenz-Vertrag mit BBI/Nacon wurde 2017 geschlossen - damals befand sich das Spiel seit knapp zwei Jahren in Entwicklung. Als Gegenleistung für die Beteiligung an der Finanzierung des Spiels übertrug Frogwares dem französischen Unternehmen die Vermarktungs- und Verkaufsrechte auf vier Plattformen bzw. Stores: PS4, Xbox One, Steam und Epic Games Store. Das geistige Eigentum verblieb bei Frogwares. BBI/Nacon sollte den Entwicklern beim Erreichen von bestimmten Meilensteinen das versprochene Geld überweisen und nach dem Verkaufsstart sollten Anteile an den Einnahmen ausgezahlt werden, so war es abgemacht (eine durchaus übliche Vorgehensweise in der Branche). In dem offenen Brief wird BBI/Nacon vorgeworfen, dass sie stets mit den Zahlungen in Verzug waren (meist um die 40 Tage), obgleich die Entwickler ihre Meilensteine stets pünktlich abgeliefert haben sollen und sie vom Publisher offiziell abgenommen wurden.

Die hinausgezögerten Zahlungen wurden laut Frogwares als Druckmittel eingesetzt, vor allem als BBI/Nacon ein Konkurrenzstudio kaufte, das ebenfalls an einem Lovecraft-Spiel arbeitete - gemeint ist Cyanide Studio (Call of Cthulhu). Nach der Cyanide-Übernahme versuchte BBI/Nacon den Source Code von The Sinking City einzufordern, obgleich sie vertraglich gesehen keinen Anspruch darauf hatten, da sie nur ein Lizenz-Nehmer waren. Als Frogwares dieser Aufforderung nicht nachkam, soll BBI/Nacon die Zahlungen für mehr als vier Monate eingestellt haben. Außerdem wurden sie angeblich nicht über das Geschäftsmodell, die Verkaufsprognosen oder den Veröffentlichungsplan informiert und wenn doch, dann waren die Daten inkonsistent, weswegen sie selbst nicht weiter die unternehmerische Zukunft planen konnten. Nur der Exklusivvertrag mit dem Epic Games Store versprach zumindest ein Minimum an gesicherten Einnahmen.

Am 27. Juni 2019 wurde The Sinking City für PC (Epic Games Store), PlayStation 4 und Xbox One veröffentlicht - und am gleichen Tag soll Frogwares von BBI/Nacon einen Brief erhalten haben, in dem es heißt, dass der letzte Meilenstein nicht erfüllt wurde und sie deswegen kein Geld und keine Anteile an den Einnahmen erhalten werden, obgleich das Spiel veröffentlicht wurde ... Weiterführende Gründe für die Ablehnung hat Frogwares nicht mitgeteilt, unter Umständen war der Publisher mit der Qualität des Endprodukts nicht zufrieden (zum Test).

Danach klagte Frogwares und erst im Laufe des Prozesses erhielten sie (unvollständigen) Zugang zu den Verkaufsdaten. BBI/Nacon erklärte wohl auch, dass ein Betreiber eines Konsolen-Stores mit den Zahlungen im Rückstand liegen würde und sie das Geld deswegen nicht auszahlen könnten. Frogwares glaubt diesen Beteuerungen nicht, weil sie selbst keine schlechten Erfahrungen mit den Betreibern der Konsolen-Stores gemacht hätten.

Des Weiteren fand Frogwares fehlerhafte Bezeichnungen auf den Box-Covern von The Sinking City, in den Store-Beschreibungen und in dem Marketing-Material - z.B. wurde behauptet, dass das Spiel das geistige Eigentum von BBI/Nacon sei und das Logo von Frogwares fehlte ebenfalls. BBI/Nacon soll zugleich zahlreiche Domains von Sherlock Holmes und The Sinking City gekauft haben, obwohl sie an den Spielen von Frogwares überhaupt keine Rechte haben. Außerdem sollen sie ein eigenes Pen-&-Paper-Rollenspiel entwickelt haben (wir berichteten), ohne Frogwares zu kontaktieren und damit wurde ihr geistiges Eigentum verletzt. Allem Anschein nach sollte das ukrainische Unternehmen unter Druck gesetzt werden (Übernahmeziel? Stärkung der Verhandlungsposition?). Außerdem hat Frogwares per Zufall herausgefunden, dass BBI/Nacon einen Exklusivvertrag mit einem Store-Betreiber im Februar 2020 fast gebrochen hätte, da sie "eine unrechtmäßige Version des Spiels", die sie gar nicht haben durften, auf einem PC-Abo-Dienst zur Verfügung stellen wollten, was aber Frogwares verhindern konnte.

Nach elf Monaten ohne zufriedenstellende Antwort von BBI/Nacon und aufgrund der langen Geschichte an Problemen löste Frogwares den Vertrag auf (Termin: 20. April 2020). Daraufhin meldete sich BBI/Nacon zu Wort und erklärte, dass der Vertrag aufgrund der Covid-19-Notfallsmaßnahmen der französischen Regierung zum Schutz der Wirtschaft nicht terminiert werden könne - obgleich BBI/Nacon während dieser Zeit die Einnahmen beträchtlich steigerte, was Frogwares im Nachhinein hervorhob.

Seither hätten sie keine Zahlungen mehr erhalten und müssten noch ungefähr eine Million Euro von BBI/Nacon bekommen. Und die Berufung auf "Höhere Gewalt" (Force Majeure) seitens BBI/Nacon hat die im Vertrag festgelegte Dauer (60 Tage) ebenfalls überschritten. Der Vertrag wurde ohne weitere Formalitäten automatisch aufgelöst. BBI/Nacon versuchte Einspruch einzulegen, aber der Richter wies die Forderung zurück. Der Vertrag ist gekündigt und BBI/Nacon muss dies nicht bestätigen. Allerdings hat der Publisher in der Vergangenheit wohl immer wieder versucht klarzustellen, dass ihnen das geistige Eigentum gehören würde, obgleich es im Vertrag anders festgehalten war. Daher zeigten sich einige Store-Betreiber unsicher und wussten nicht, wem sie Glauben schenken sollten.

"Angesichts dieser Verstöße, der anhaltenden Hürden und der mangelnden Kooperationsbereitschaft war es der letzte Ausweg von Frogwares, die Entfernung von The Sinking City aus allen verbleibenden Stores zu fordern, um zumindest weitere Verkäufe zu stoppen, die BBI/Nacon zugutekommen würden", heißt es weiter. Aktuell ist The Sinking City nur auf der offiziellen Website der Entwickler erhältlich - sowie in Stores, die nicht im Vertrag genannt wurden (Origin und Gamesplanet). Die Switch-Version ist offensichtlich nicht betroffen, da Frogwares den Vertrieb selbst übernahm und diese Version nicht im BBI/Nacon-Vertrag aufgeführt war.

Es kann davon ausgegangen werden, dass die beschriebenen Querelen mit BBI/Nacon (Stress, Unsicherheit, Druck) ebenfalls einen Einfluss auf die Qualität des Spiels hatten, das trotz guter Ansätze hinter den Erwartungen und seinen Möglichkeiten zurückblieb ...

Abschließend schreiben die Entwickler: "Es ist eine Schande, dass in einer so kreativen Branche so viel Energie wegen solcher Praktiken verschwendet wird. Deshalb haben wir beschlossen, diesen offenen Brief zu schreiben. Wir hoffen, dass diese Transparenz dazu beiträgt, dass sich jeder bewusst wird, was wirklich hinter den Kulissen vor sich geht. Wir haben nur ein Ziel: Wir wollen helfen, schlechte Praktiken zu verbannen, indem wir frei über sie sprechen, anstatt dem Schweigekodex zu unterliegen. Wir wissen, dass wir nicht die Einzigen sind, die sich in dieser Situation befinden. Dies ist unsere Art, einen Stein ins Rollen zu bringen, um die Videospielindustrie zu verbessern."

Die letzten Ausführungen deuten darauf hin, dass demnächst noch weitere Enthüllungen folgen könnten ...

Letztes aktuelles Video: Launch Trailer Switch

Quelle: Frogwares

Kommentare

HellToKitty schrieb am
habib84 hat geschrieben: ?27.08.2020 18:51 Ich bezweifel irgendwie, dass diese Situation großen Einfluss auf die Qualität des Spiel hatte.
Auf mich wirkte das nicht halb-fertig oder schluderig umgesetzt, eher überambitioniert. Die Hauptquest war zu lang, die Stadt zu groß, die Nebenquests und Ballerpassagen überflüssig. Hätte man da einiges von weggelassen, sich auf die Story konzentriert, mehr Rollenspiel reingebracht - dann hätte das richtig geil werden können. Die Atmosphäre war tatsächlich hervorragend aber es wurde sehr schnell durchschaubar und die 3 oder 4 detective-Mechaniken konnte man nach der 2 Quest im Halbschlaf.
Nicht zu vergessen: Das völlig überflüssige Item System mit seinen unendlichen Respawns, jedes mal wenn man ein und das selbe Gebäude betritt. :lol: Mit solchen Designkniffen umgeht man dann geschickt die Notwendigkeit, irgendwelche Gegenstände sinnvoll zuverteilen, oder sich gar Gedanken ums Balancing machen zu müssen. Interessant war auch die Wegfindungs KI. Dieser Code sollte als Unterrichtsmaterial dienen, um zu zeigen wie man es nicht macht. Selbst Pinky, Blinky, Inky und Clyde hatten bereits mehr Verstand. Es sei denn man möchte, dass NPCs gegen die Wand laufen, sich im Kreis drehen und in der Luft rumglitchen. Vielleicht war das aber auch alles Teil des surrealen Horrors und ich habe es nur nicht verstanden.
habib84 schrieb am
Ich bezweifel irgendwie, dass diese Situation großen Einfluss auf die Qualität des Spiel hatte.
Auf mich wirkte das nicht halb-fertig oder schluderig umgesetzt, eher überambitioniert. Die Hauptquest war zu lang, die Stadt zu groß, die Nebenquests und Ballerpassagen überflüssig. Hätte man da einiges von weggelassen, sich auf die Story konzentriert, mehr Rollenspiel reingebracht - dann hätte das richtig geil werden können. Die Atmosphäre war tatsächlich hervorragend aber es wurde sehr schnell durchschaubar und die 3 oder 4 detective-Mechaniken konnte man nach der 2 Quest im Halbschlaf.
CALL OF CTHULHU fand ich leicht besser, wegen der kurzen Spielzeit und mehr Entscheidungen.
Ich hoffe ja, dass sich Bethesda die Lizenz irgendwann wieder holt und z. B. den Arkane Studios ein ordentliches Budget für ein echtes HPL RPG gibt. Schön wär's.
KarlKleber schrieb am
Sollte auch nur ein einziger Punkt von den Anschudigungen stimmen, sollte Frogwares mit Anzeigen nur so um sich ballern. Schon lustig, dass der Publisher sogar wütend ist, dass man vertrautes, illegales Handeln aufgedeckt hat. Wirkt auf mich wie ein ziemlich mieser Haufen, der schleunigst aus der Spielewelt verschwinden sollte. Hier heißt es nun zurückschießen und einschüchtern, damit auch niemand anderes sich traut den Mund auf zu machen, wie Frogwares es angedeutet hat. Ich hoffe auch andere Spielefirmen haben den Mut sich zu äußern, denn nur so kann sich etwas ändern.
Todesglubsch schrieb am
GeronimoJackson hat geschrieben: ?27.08.2020 08:30 Was bleibt einem auch anderes übrig als Lovecraft-Fan? Die wenigen Alternativen für die PS4 sind nunmal alle maximal mittelmäßig, da nimmt man halt was man bekommt :D
Konkret hatte ich die Wahl zwischen Sinking City - und diesem Cthulhu-Spiel, auch von Big Bacon.
Sinking City erhielt den Zuschlag, weil das ne deutsche Synchro hatte. :D
Mittelmäßig sind sie alle.
HellToKitty schrieb am
GeronimoJackson hat geschrieben: ?26.08.2020 10:49
HellToKitty hat geschrieben: ?25.08.2020 15:28 "...am gleichen Tag soll Frogwares von BBI/Nacon einen Brief erhalten haben, in dem es heißt, dass der letzte Meilenstein nicht erfüllt wurde..."
Bei The Stinking Shitty wurde meiner Meinung nach nicht nur der letzte Meilenstein nicht erfüllt. Ich habe selten so ein verbugtes und offensichtlich unfertiges Spiel gesehen. Der Grusel wich schnell unfreiwilligem Humor, was durchaus eine Zeit lang seinen Reiz hatte. Zumindest solange man ausklammern konnte, dass man sich kein Trashspiel für einen Euro geholt hatte, sonder gerade einen Vollpreistitel zockt, den man sich obendrein noch vom bösen Epic Store andrehen hat lassen. :lol: Der Gamebrakerbug war dann die Erlösung.
Welchen Gamebr(e)aker-Bug meinst du? Habs auf der PS4 platiniert ohne Ähnliches feststellen zu können. Klar gab es hier und da vereinzelte Bugs, aber nichts Gravierendes.
Kann mich nicht mehr erinnern, aber ich konnte nach einer abgeschlossenen Mission nicht mehr mit einem wichtigen Protagonisten reden. Das neue Ereignis wurde einfach nicht getriggert.
schrieb am