Propaganda gegen Spiele – was tun?
Spieler, hört ihr die Signale? Erst malte die Süddeutsche Zeitung die "
Verdoomung der Republik" an die Wand, jetzt pinselte die ZDF-Sendung
Frontal 21 den Teufel mit blutroten Farben ins Kinderzimmer. Und zwar mit missionarischer, schlecht recherchierter Hand. Wer gestern kurz nach 21 Uhr den Beitrag "Video-Gemetzel im Kinderzimmer - Killerspiele und Behördenversagen" gesehen hat (hier der
Link zur Aufzeichnung), bekam als Spieler das kalte Grausen.
Bevor ich jetzt auf alle inhaltlichen Fehler und die unglaubliche Verkennung der Gesetzeslage in Sachen Jugendschutzgesetz eingehe, verweise ich auf die detaillierte Dekonstruktion des Kollegen Thomas Theiler vom
GameCube-Universe, der die ganze Sendung vorbildlich auseinander nimmt.
Aber was ist da eigentlich los? Warum erscheinen der SZ-Artikel und die Frontal-Attacke so dicht hintereinander? Das Sommerloch wurde doch längst winterlich zugeweht. Und es gab doch keinen Amoklauf, keine Tragödie, keine Toten - trotzdem wird von "Vorfällen" gesprochen. Warum beginnt dieser seltsam reaktionäre Wind zu rauschen? Hat das mit der Auflösung des VUD zu tun? Oder braucht man reißerische Themen für die Quote? Gewalt und Panikmache sind bekanntlich zuverlässige Publikumsmagneten.
Das Seltsame ist: Nicht Lehrer, Eltern oder die Kirche verlangen schärfere Gesetze und Indizierungen, sondern einzelne Vertreter der Presse! Und gerade die sollte unser Grundgesetz nicht nur kennen, sondern den Wert von Artikel 5, Absatz 2 zu schätzen wissen:
"Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt."Aber die verschreckten Moralkeulenschwinger haben gemeinsam: Sie werfen der USK Versagen bei der Einstufung von Spielen vor und verlangen ein wesentlich schärferes Jugendschutzgesetz, eine wesentlich strengere Handhabung der Indizierung - hier wird politisch Stimmung gegen Spiele gemacht:
"Hier muss eingegriffen, hier muss etwas geändert werden."Wieso denn? Was funktioniert denn nicht? Wenn Jugendliche Spiele für Erwachsene zocken, stehen die Eltern in der Verantwortung, nicht die Juristen. Es ist eine Sache der Erziehung und der Aufmerksamkeit, ob Doom3 in Kinderzimmern läuft. Gebt den Familien mehr Geld und beruflichen Freiraum, damit sie sich um ihren Nachwuchs kümmern können! Aber Innenminister Beckstein zuckt unter den Frontal21-Sporen zusammen und galoppiert in vorauseilendem Eifer lieber zurück ins 19. Jahrhundert:
"Wir brauchen Herstellungsverbote."Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Herstellungsverbote. Sollen künftig etwa Spieleprojekte schon im Voraus geprüft werden? Will man V-Männer bei Rockstar und Valve einschleusen? Man kann da sicher ganz konstruktiv mit dem frisch gekürten Präsidenten der USA zusammen arbeiten. Oder will man erwachsene Bürger der Bundesrepublik Deutschland mit zensurähnlichen Praktiken und Importverboten bevormunden? Das darf doch nicht wahr sein!
Wie kann ein Polit-Magazin in einer Sendung fundiert über die Auswirkungen der Gesundheitsreform berichten und dann plötzlich so tendenziös sein? Teile der Presse und der Staat sitzen hier in einem unheimlich reaktionär schaukelnden Boot. Und das Schlimme ist: All die Eltern, all die Zuschauer da draußen vertrauen vermutlich noch auf die Qualität und die Seriösität dieser schlecht recherchierten Sendung. Die Kluft zwischen der Spielewelt und der gesellschaftlichen Meinung über selbige wird durch diese einseitige Propaganda noch verstärkt. Wie unfair das Spiel behandelt wird, verdeutlicht auch die heutige Kinobesprechung der Süddeutschen Zeitung (Seite 17) von Alien vs. Predator:
" (...) entwirft er [Regisseur Anderson] auch hier eine beeindruckende Topographie der Ängste und Begierden, in der Monster und Menschen einen irrwitzigen Actiontanz aufführen."
Das hätte man auch über Doom 3 sagen können! Aber Film und Spiel werden im Feuilleton mit zweierlei Maß gemessen. Die Frage lautet: Was können wir als Spieler, als erwachsene Zocker tun? Das Problem ist: Es gibt kein Sprachrohr, keine gesellschaftlich etablierte Lobby für Spiele und Spieler. Es gibt scheinbar keine Tageszeitung, die sich die reife und aufgeklärte Berichterstattung auf die Fahnen geschrieben hat. Aber gerade jetzt, wo der VUD seine Segel gestrichen hat und sich allmählich eine Propaganda gegen Spiele abzeichnet, sollten sich alle Zocker Gedanken darüber machen, ob sie sich diese Verzerrung bieten lassen wollen, die vielleicht in noch schärfere Gesetze mündet.
Was kann man machen? Eine Partei oder einen Verein gründen? Unterschriften sammeln? Eine Initiative zur Freiheit der virtuellen Fiktion ins Leben rufen? Vielleicht hilft es ja, wenn man sein Umfeld, seine Verwandten und Freunde nach einer solchen Berichterstattung mit klaren Argumenten aufklärt. Wenn man deutlich darauf hinweist, dass unsere Spielkultur verkannt und diffamiert wird. Wenn man sich in Foren, Gesprächen, Leserbriefen selbstbewusst zu Wort meldet. Und schließlich haben wir genau so wie das böse Fernsehen und der satanische Heavy Metal einen starken Verbündeten: die Zeit.
Jörg Luibl4P|Textchef