Handhelds? Nein danke!

700.000 Nintendo DS in Nordamerika verkauft.
500.000 Nintendo DS in Japan verkauft.
200.000 PSP in Japan verkauft.
Und Europa kommt noch.

Spürt ihr diese konsumgeile Euphorie? Juckt es euch auch schon in den Fingern? Tatsächlich? Es ist mir ein Rätsel. Ich leide nicht an Gicht, habe zehn gesunde Finger und kann meist recht scharf geradeaus gucken. Außerdem bin ich vom virtuellen Spiel- und Spaßtrieb besessen. Ich bin ein Gamer, ein Zocker, ein homo ludens wie tausende andere dieser postpong`schen Spezies, der nahezu alles verspeist, was ihm vor Maus und Pad kommt. Ich habe sogar die Amiga Classix daheim installiert!

Aber diese Handhelds lassen mich völlig kalt - egal ob neue oder alte. Da draußen gibt`s etwa 60 Millionen GameBoy-Spieler! Was für ein widersprüchlicher Kontrapunkt zur Hardwareschraube: Da werden Mediamärkte mit großflächigen Plasma-Leinwänden geflutet, aber gleichzeitig steckt man seine Euros in Bildschirmknirpse mit halbem Bierdeckelformat. Da tunen Hunderttausende ihren Rechner auf shaderschöne Highend-Brillanz, aber gleichzeitig jagt man kleine Pixelmännchen durch 2D-Flure.

Im Zeitalter des Grafikfetischismus reisen Hunderttausende freiwillig in die Vergangenheit: Mit dem GameBoy auf C64-, mit dem GBA auf SNES-, mit dem DS auf N64- und mit dem PSP auf PSone-Niveau. Aber warum soll ich Metroid im Kleinformat ertragen, wenn ich mit Samus in voller Pracht über den Fernseher flanieren kann? Schon der GameBoy ist in den 90ern quasi spurlos an mir vorübergeboomt. Genau so wie kürzlich dieses finnische Phantomtelefon, das seit 2003 durch die Werbekanäle rauscht, aber keiner in der Realität je gesehen, geschweige denn gespielt hat.

Ist das Hysterie? Retro-Nostalgie? Oder einfach nur der Spielzeugtrieb? Jedenfalls ist es ein globales Phänomen - und ich kann`s nicht verstehen! Das ist hart; vor allem bei unserem Slogan. Und vor allem, wenn sich Paul wieder freudestrahlend auf seine Module stürzt. Wie kann es sein, dass in meinem Wohnzimmer drei Konsolen und ein PC gedeihen, aber kein einziges Miniformat atmet? Das ist ein schwarzes Loch in meiner privaten Konsumlandschaft.

Dabei habe ich`s ja versucht; ehrlich: Mit Advance Wars I + II, mit Ogre Tactics, mit Metroid Fusion. Ich habe mich neugierig auf die Couch zurückgezogen, damit der Spielspaßfunke in aller Ruhe überspringen kann - wie bei allen anderen, wie bei GBA-Guru Paul. Nach einer Viertelstunde schien noch alles in bester Ordnung. Aber es wurde schnell seltsam anstrengend. Was heißt denn "hand-held"? Handgerät! Und tatsächlich: die erste halbe Stunde war echte Handarbeit. Ich fühlte mich wie eine bucklige Katze auf der Jagd, stierte auf ein leuchtendes Kistchen und krallte meine Finger um ein Puderdosen großes Etwas.

Schon nach einer Stunde habe ich mit rot unterlaufenen Augen auf den GBA gestarrt wie Gollum auf den Ring. Nach zwei Stunden und einem verzweifelten Endgegner-Showdown lag ich schon wie ein schwer verwundetes Dreifingerfaultier auf der Couch. Und da war dieses Ziehen vom Knöchel bis ins Kreuz. Nach vier Stunden und einem halben Dutzend Endgegner-Tragödien habe ich mich in embryonaler Seitenlage zusammengerollt, den GBA verflucht und elendig gewimmert. Dann hat mich der Schlaf erlöst und mir den ersten verschwitzten Fingerprothesen-Alptraum meiner Zockervita beschert.

Sony und Nintendo wollen bis Ende März zusammen acht Millionen neue Geräte in den Handel bringen? Alles verflixt verfluchte Büchsen der Pandora in Handheldgestalt! Ich werde sie nicht mehr öffnen! Egal, wie oft mir Paul Metroid Prime: Hunters unter die Nase reibt…


Jörg Luibl
4P|Textchef

P.S. Ihr seid anderer Meinung? Dann seid ihr bei Pauls Kolumne besser aufgehoben!