Im Test: Verspielte Paar-Therapie
Ohne Worte
Kapitulation. Das ist der einzige Ausweg, der noch bleibt, wenn man es sich als Tester zum Ziel gesetzt hat, all die Facetten, die vielen großartigen Momente und den schieren Overkill an Ideen in Worte fassen zu wollen, die Hazelight bei It Takes Two auffährt. Das Studio unter der Leitung von Josef „Fuck The Oscars“ Fares zündet ein Kreativ-Feuerwerk aus verschiedenen Spielmechaniken, liebevoll gestalteten Schauplätzen, spaßigen Minispielen und cleveren Fähigkeiten, die sich wie Ying und Yang perfekt ergänzen. Im Kern handelt es sich bei It Takes Two um einen 3D-Plattformer: Es wird im klassischen Sinn viel gehüpft, viel gerannt und auch das Seil mit Greifhaken darf nicht fehlen, um sich durch die Gegend zu schwingen. Ganz im Stil von Sunset Overdrive schlittert man zudem über zahlreiche Geländer, Kabel, Schienen und alles, was sich für lässige Grinds eignet.
Die pure Abwechslung
Aber das ist nur die halbe Miete: Das simple Grundkonzept wird durch so viel Variation bereichert, dass man ständig das Gefühl hat, immer wieder etwas Neues zu erleben. Das verdankt man zum einen den enorm abwechslungsreichen Schauplätzen, bei denen man neben einem Werkstattschuppen, einem Garten oder Kinderzimmer u.a. auch das Innenleben eines Staubsaugers, Kaleidoskops, einer Kuckucksuhr, Jukebox und sogar einer Schneekugel erkundet. Zum anderen staunt man über die riesige Auswahl an Fähigkeiten und Ausrüstung, mit denen Cody und May in regelmäßigen Abständen ausgestattet werden. Egal ob Harzkanone, Magnetstiefel, Schutzschild, Baller-Kaktus, Zeitmanipulation, Hammer & Nagel oder ein Hightech-Gürtel, mit dem man die Körpergröße in beide Richtungen auf Knopfdruck verändern darf: Ständig gibt es frische Impulse und die Abschnitte wurden so gestaltet, dass sich die Fähigkeiten im besten Koop-Sinn ergänzen. Hazelight ist erbarmungslos und lässt der Langeweile keine Chance!
Grenzenloser Spaß
Genregrenzen sind ein Fremdwort, das innerhalb von Hazelight nicht zu existieren scheint: Wer sagt, dass man in einem Plattformer nicht ein Duell wie in einem klassischen Fighting Game mit coolen Moves und Lebensleiste einstreuen darf? Oder wie wäre es mit einer kleinen Schleicheinlage durch eine Höhle voller schlafender Maulwürfe, in der man seinen Geräuschpegel im Auge behalten muss? Und wer rechnet schon damit, plötzlich Matheaufgaben lösen oder in bester Diablo-Manier aus der Top-Down-Ansicht in die Fantasy-Schlacht ziehen zu müssen? Überhaupt zählen Perspektivwechsel zu einem beliebten Stilmittel: In manchen 2D-Passagen fühlt man sich zurückversetzt in den Koop-Kollegen ibb&obb, während der Wechsel vom geteilten Bildschirm auf ein gemeinsames Vollbild ebenfalls für eine willkommene Dynamik und Abwechslung sorgt. Gleiches gilt für die eingestreuten Umgebungsrätsel, die meist auf die aktuellen Fähigkeiten zugeschnitten und relativ schnell durchschaut sind, hin und wieder aber dennoch für einen herrlichen Aha-Effekt sorgen.
Anspruchsvoll, aber nicht frustrierend
Wer jetzt davon träumt, die Freundin oder den Freund einzuspannen, obwohl beide nur wenig mit Videospielen am Hut haben, sei gewarnt: It Takes Two ist zwar längst nicht so anspruchsvoll wie ein Donkey Kong Country, Super Meat Boy oder die unzähligen anderen Roguelike-Plattformer, doch manche Passagen erfordern ein gewisses Geschick am Controller. Die extrem fair platzierten Checkpunkte und die Möglichkeit zur Wiederbelebung per Knopfgehämmer erweisen sich zwar als willkommene Erleichterung, aber Gelegenheitsspieler könnten stellenweise trotzdem überfordert sein.
Ähnlich präsentieren sich die clever und kreativ konzipierten Bosskämpfe, die oft mehrere Phasen umfassen und mitunter sogar eine räumliche Trennung beider Spieler sowie bestimmte Taktiken erfordern. Das Prinzip ist meist schnell durchschaut und nicht selten erledigt man selbst die XL-Gegner als schlagkräftiges Duo schon beim ersten Anlauf. Trotzdem hat man jede Menge Spaß dabei, die Bewegungsmuster einzustudieren und gemeinsame Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Scheitert man dennoch zu oft, wird der Schwierigkeitsgrad automatische skaliert, indem z.B. zusätzliches Kleinvieh reduziert wird oder sogar ganz wegfällt. Eigentlich markieren Bosskämpfe häufig den Höhepunkt in solchen Abenteuern und auch hier wird man angesichts der fantastischen Einfälle bei Design und Mechaniken einige Freudensprünge machen. Trotzdem fügen sie sich de facto einfach nur in eine Aneinanderreihung von Highlights ein, die sich über das gesamte Spielerlebnis mit einem Umfang von 13 bis 15 Stunden erstrecken.
Minispiel-Spaß
Überzeugende Technik
Die Technik überzeugt ebenfalls mit detailliert gestalteten Schauplätzen, einem ansprechenden Figurendesign und einer fluffigen Bildrate, die auf der PS4 Pro nur sporadisch in größeren Arealen minimal ins Straucheln gerät. Noch schöner wäre es sicher gewesen, die farbenfrohen Kulissen auch in HDR erleben zu dürfen. Ein besonderes Lob verdient sich außerdem der Soundtrack, der häufig zwar nur unauffällig im Hintergrund dahin plätschert, in manchen Momenten und vor allem im Finale aber ins Rampenlicht tritt und groß aufspielt, um die Bude zu rocken und das Wohnzimmer in einen Konzertsaal zu verwandeln. Genau wie die Augen bei der Gestaltung der Umgebung freuen sich die Ohren ebenfalls über kleine, aber feine Details: Dreht sich das Spiel thematisch um die Kuckucksuhr, ertönt bei der Hintergrundmusik schon mal das typische Ton-Intervall.
Nicht alles ist perfekt
Wenn man It Takes Two etwas ankreiden möchte, dann wäre es trotz der guten englischen Sprecher vermutlich die fehlende Komplett-Lokalisierung, die ein Werk dieser Qualität verdient hätte. So bleibt es nur bei deutschen Untertiteln, die teilweise auch Schriftzüge auf dem Bildschirm überlagern. Kritisieren könnte man vielleicht auch, dass die Rutschsequenzen manchmal etwas zu inflationär eingebunden werden, obwohl sie trotzdem jedes Mal eine Menge Gaudi versprechen. Auch die Kamera ist nicht immer optimal und bei manchen manuellen Schwenks wird das Sichtfeld auf die Figur verdeckt. Bedauerlich zudem, dass die PS5-Version zwar über eine höhere Bildrate und flottere Ladezeiten verfügt, ansonsten aber keine Funktionen der neuen Konsole unterstützt werden – dabei hätten sich die adaptiven Trigger und das haptische Feedback sicher wunderbar einbinden lassen. Das Zusammenspielen von PS4- und PS5-Nutzern ist übrigens kein Problem. Der Spielstand von der PS4 ließ sich dagegen leider nicht mit der PS5-Version laden.
Fazit
Man kann es arrogant oder selbstbewusst nennen, aber schon in der Fragerunde beim Vorschau-Event war sich Josef Fares seiner Sache sicher und wollte sich auf eine gewagte Wette einlassen: „Ich zahle jedem 1000 Dollar, der keinen Spaß mit It Takes Two hat“, schlug der Game Director vollmundig vor. Unter ehrlichen Bedingungen würde Fares vermutlich keinen Cent verlieren. Denn It Takes Two ist schlichtweg eines der besten, abwechslungsreichsten, spaßigsten und kreativsten Koop-Erlebnisse für verspielte Duos. Wer bei dieser leidenschaftlichen Liebeserklärung an das Medium Videospiel nicht einen Hauch von Freude empfindet, muss innerlich tot sein! Freilich kennt man viele Elemente bereits aus anderen Titeln, aber Hazelight führt die Fäden so wunderbar zusammen, rückt den den Koop-Spaß ins Zentrum und scheint jeder einzelnen Mechanik die nötige Aufmerksamkeit gewidmet zu haben, damit sich alles rund anfühlt. Ich bin immer noch perplex, was die Entwickler bei It Takes Two alles an cleveren Ideen, Minispielen, Schauplätzen, Fähigkeiten und Tempowechseln aufgefahren haben. Trotzdem war meine Spielpartnerin nach dem Finale enttäuscht vom „abrupten Ende“ nach knapp 15 Stunden. Die Enttäuschung wird jedoch schnell relativiert, denn ein paar Stunden zuvor bekam ich Folgendes über das Headset zu hören: „Ich will eigentlich gar nicht, dass dieses Spiel irgendwann aufhört“. Ich kann es nachvollziehen...
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation4
It Takes Two ist eine leidenschaftliche Liebeserklärung an das Medium Videospiel und eine der besten Koop-Erfahrungen, die es derzeit gibt!
PlayStation5
It Takes Two ist eine leidenschaftliche Liebeserklärung an das Medium Videospiel und eine der besten Koop-Erfahrungen, die es derzeit gibt!
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