Wenn der Blitz (nicht mehr) zündet...
Jeder Spieler hat seine Vorlieben und Abneigungen. Fast immer sind es spezielle Reihen oder Genre, aber auch Entwickler oder Publisher, zu denen man ein besonderes Verhältnis aufbaut, positiv oder negativ - manchmal sogar von Kindheit an. Der eine spielt FIFA seit der Grundschule, die andere nur Rollenspiele, einer zockt alles von Ubisoft und die andere verehrt From Software.
Meist brennt sich ein positives Erlebnis ein und - zack! wie vom Blitz getroffen - ist man ein Fan. Man will mehr von dieser Spielart, und zwar genau von dem Stoff, der so cool ist, dass man bis tief in die Nacht zockt. Das Spiel kann einfach nur
schön oder sogar ein
großer Heiler sein. Man findet Gleichgesinnte oder vergnügt sich alleine für viele Jahre in fiktiven Welten. Man gewinnt fast eine Art digitales Zuhause.
Wertungen? Verkaufszahlen? Forendiskussionen? Alles egal, die Bindung ist zu stark. Manchmal weiß man gar nicht, warum das so ist. Oder sind Spiele letztlich ein Spiegel der Seele? Frei nach dem Motto: Sag mir, was du spielst, und ich sag dir, wer du bist! Tja, klingt angenehm bedeutend und erbaulich. Vielleicht steckt sogar ein Körnchen Wahrheit drin, denn Spiele können durchaus Verstärker der eigenen Interessen sein...
...da haben wir dann die Naturwissenschaftlerin, die sich an den komplexen Problemlösungen von Oxygen Not Included erfreut. Hier den Piloten, der im Microsoft Flight Simulator endlich mal ohne Flugplan durch die Wolken jagen kann. Und dort die Innenarchitektin, die in Animal Crossing eine unfassbare Villa der Wunder errichtet. Ich seh schon den Werbeclip samt weißer Couch und Zähne vor mir!
Natürlich ist das Küchenpsychologie, denn sonst könnte man ja auch böse Analogien vom Gespielten zum Charakter ziehen. Aber bekanntlich gibt es auch Pazifisten, die in Call of Duty killen; Polizisten, die in Grand Theft Auto alle Gesetze brechen; Anarchisten, die sich ganz brav an alle Konventionen bis hin zur kapitalistischen Mikrotransaktion halten. Das ist ja das Schöne an der Fiktion, dass sie auch als Kontrast zum und Experiment über den eigenen Charakter hinaus unterhalten kann.
Aber egal, warum man zockt oder an welches Thema man sich bindet: Sich auf ein Spiel oder ein Genre zu konzentrieren ist natürlich weniger riskant, als einem Entwickler oder gar Publisher zu folgen. Denn egal ob Rollenspiel, Shooter oder Adventure - heutzutage findet jeder Fetisch seine Nische in einem der vielen Subgenres, die vor Angeboten nur so überlaufen. Wer jedoch Fan eines bestimmten Studios oder Publishers ist, geht selten eine dauerhaft glückliche Beziehung ein - da ist nicht nur Konami ein Beispiel.
Wie man seinen Glanz verlieren und seine treuen Anhänger enttäuschen kann, hat Marcel in dieser
tollen Reportage über Blizzard analysiert: Letztlich geht es um Gier, Macht und Politik. Mein Verhältnis zur Diablo-Schmiede? Es gibt keines. Auch wenn ich Lost Vikings, WarCraft und
Blackthorne gern gezockt habe, war ich nie ein Anhänger, hab mich nie auf irgendeinen Titel gefreut. Ganz im Gegensatz zu den Ensemble Studios, denen ich tatsächlich eine Träne nachweine. Seltsam, denn es geht ja nicht um die Qualität: Die einen lassen trotzdem kalt, die anderen vermisst man.
Je vernarrter man allerdings ist, desto mehr muss man letztlich leiden - das wissen nicht nur Fußballfans. Das liegt auch daran, dass sich einerseits die Spiele, das Portfolio und natürlich die Branche mit den Jahren sehr stark verändern können, während man andererseits selbst (meist) derselbe bleibt. Wie heißt noch dieser Spruch, den man in keiner Paartherapie zitieren sollte? Menschen ändern sich nicht, sie werden nur älter...
Zumindest der letzte Teil ist unbestreitbar. Und wenn man älter wird, bemerkt man, dass sich die Spielewelt viel schneller ändert als die eigenen Vorlieben. Man fragt sich, warum dieses oder jenes heutzutage so ist, wie es ist: All das Blingbling, all der Kommerz, all die Oberfläche, all das Sammeln, all die Patches, all das Fortnite, all das Sharing und - igitt, ich hasse dieses Wort (das davor eigentlich auch) - all das "Gaming". Einige werden nostalgisch, andere vergrämt oder zynisch. Und dann kommt unweigerlich die dümmste Erkenntnis: Früher war alles besser...
Nein, war es natürlich nicht. Auch nicht in der Spielewelt. Trotzdem sollte man die Sicht der Silberzocker auf die Gegenwart nicht unterschätzen. Nur weil etwas neu ist oder dem Zeitgeist aka Massenkaufinteresse entspricht, ist es noch lange nicht gut - was natürlich die Jugend selbst erkennt. Klar sind bei der Generation Smartphone ein paar Geschmacksverirrungen dabei, aber wir haben in den 80ern auch jeden Schund gezockt. Jedenfalls können sie im Gegensatz zur landläufigen Meinung sehr gut unterscheiden. Das wissen alle Eltern mit zockenden Kids und jene, die sich über YouTube hinaus mal mit ihnen über Spiele unterhalten.
Ab und zu jedoch kann ein Vergleich aus alten Tagen oder auch die Erfahrung hilfreich sein, um etwas zu offenbaren - ohne dass der greise Zeigefinger gleich ins C64- oder Amiga-Archiv deuten muss. Wer so eine Reise vom jungen Fan bis zum zockenden Senior hinter sich hat, hat immerhin so einige digitale Narben und kann davon erzählen, wie komplex und wandelbar das eigene Verhältnis zu Spielen ist.
Manchmal entwickeln sich ehemals geliebte Serien so, dass sie einen abstoßen: Besonders stark habe ich das bei Dragon Age: Inquisition bemerkt. Oder bei Thief. Oder Resident Evil 6. Manchmal wandelt sich der eigene Anspruch an das Spielerlebnis aber auch so, dass Klassiker trotz alter Tugenden nicht mehr begeistern können: Das habe ich z.B. bei Outcast gemerkt. Oder The Bard's Tale. Und manchmal setzt die Ernüchterung nur deshalb schleichend ein, weil man gern am Gewohnten festhält: Das habe ich bei PES, aber auch bei Total War bemerkt, wenn
die Flamme langsam erlischt. Aber das Schlimmste ist, wenn hochverehrte Studios nach einigen coolen Spielen, aus welchen Gründen auch immer, einfach verschwinden...
Nicht verzagen am Gejammer! Natürlich geht es nicht nur abwärts: Ein Entwickler oder Publisher kann sich nach qualitativen Rückschlägen oder falscher Politik auch wieder in "die Herzen" seiner Fans oder zumindest in die richtige Spur entwickeln, die Hoffnung macht - siehe Capcom oder Microsoft. Nur ganz wenigen gelingt in dieser Branche tatsächlich das Kunststück, über viele Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg ohne große Schwankungen die Fans zu begeistern. Wer wird tatsächlich mit seiner alten, aber stets frisch reinkarnierten Liebe am Bildschirm grinsend alt? Okay, Nintendo zählt nicht...
Aber das Schöne ist ja, dass ständig neue Spiele und Studios entstehen, und damit auch die Chance auf neue Reihen oder gar Meilensteine, die in den nächsten Jahren Traditionen begründen. Auch wenn der aktuelle
Next-Gen-Winterschlaf das nicht vermuten lässt: Auf der ganzen Welt werden so viele Spiele entwickelt, dass man gar nicht mit Releaselisten hinterher kommt. Es ballen sich ja nicht nur digitale, sondern auch sehr viele kreative Wolken zusammen. Vielleicht zündet aus ihnen bald wieder ein Blitz, der euch trifft: und zack! - seid ihr ein Fan.
Jörg LuiblChefredakteur