Madden NFL 1725.08.2016, Mathias Oertel
Madden NFL 17

Im Test: Leitwolf ohne Konkurrenz

Wie jedes Jahr wird die herbstliche Sportspielsaison vom American Football eingeläutet. Und es ist kaum zu glauben, dass die Madden-Serie von Electronic Arts mit Riesenschritten auf die 30 zugeht. Noch unglaublicher ist, dass sie sich jeglicher Konkurrenz wie Visual Concepts' NFL 2K oder Backbreaker widersetzen und in den letzten Jahren sogar ohne Wettbewerb neue Impulse setzen konnte. Kann das Tiburon Studio mit Madden NFL 17 (ab 10,96€ bei kaufen) erneut überzeugen? Der Test gibt die Antwort.

Klein, aber fein?

Im Sport entscheiden oft Kleinigkeiten über Sieg oder Niederlage. Ein nicht ausgesprochener, aber eigentlich fälliger Platzverweis und kurz darauf ein Tor durch genau den Spieler, der eigentlich nicht mehr auf dem Feld sein dürfte. Eine fälschlich oder zumindest zweifelhaft als Handspiel gewertete Aktion, für die der danach direkt verwandelte Freistoß in der Nachspielzeit dafür sorgt, dass es eine Verlängerung gibt, an deren Ende der Verbleib in der Bundesliga gesichert ist. Der kurz vor der Auslinie gefangene Wurf des Quarterbacks, der dafür sorgt, dass es vor der Endzone ein neues First Down gibt. Oder auch der mit den Fingerspitzen abgewehrte Pass, der statt eines sicher geglaubten Touchdowns zu einer Interception führt.    

Die Madden-Serie sah noch nie so gut aus wie dieses Jahr.
Sportspiele, die auf einen jährlichen Erscheinungsturnus ausgelegt sind, unterscheiden sich häufig auch nur durch Kleinigkeiten. Die Madden-Serie, die bald ihr dreißigjähriges Jubiläum feiert, kann ein Lied davon singen. Denn noch mehr als die sporadisch erscheinende Konkurrenz setzte ihr kurz nach dem Wechsel in die jeweils nächste Konsolengeneration das "Update"-Gespenst zu. Das Bemühen von Tiburon, die Serie sowohl visuell als auch spielmechanisch mit jeder Ausgabe nach vorne zu bringen, lässt sich nicht absprechen. Nur in der Umsetzung haperte es manchmal. Mitunter waren die Veränderungen auf das Spielgefühl nur marginal spürbar oder in tiefer gelegenen Ebenen angesiedelt, die nur für Profis relevant waren, während Probleme der Vorgängerversionen wie schwache Kommentare, konsequent ausnutzbare KI-Fehler und gelegentliche Präsentationsschwächen über einige Ausgaben ohne Behebung mitgeschleift wurden. Auch sehr beliebt: Nachdem in einem Jahr ein neuer Modus eingeführt wurde, ist die darauffolgende Ausgabe hinsichtlich der Modusauswahl extrem statisch und bringt keinerlei Neuerungen. Unter dem Strich bedeutete das ein jährliches Hin-und-Her bei den Wertungen - die Sinuskurve pendelte beständig um die 80 herum, wobei man auf PS4 und One letztes Jahr wieder einmal seit langer Zeit einen Gold-Award einfahren konnte.

Es bleibt Ignite

Der Fokus wurde auf die Verbesserung der Laufspiele gelegt.
Es wird seine Gründe haben, dass FIFA sich nach nur wenigen Ausgaben von der Ignite-Engine als Grafikmotor abwendet und ab diesem Jahr Frostbite vom Schwesterstudio DICE nutzt. An der grundsätzlichen Qualität von Ignite kann es nicht liegen. Denn in der mittlerweile vierten Ausgabe auf PS4 und One hat Tiburon nochmals die Grafikschrauben angezogen - allerdings nur in Detailbereichen. Die Laufanimationen sehen nochmals natürlicher aus als im Vorjahr. Das Geschehen an der Seitenlinie wirkt aufgeräumter. Die Gesichter der Sportler sind zwar meist unter einem herrlich glänzenden Helm versteckt, in ein paar Zwischensequenzen ist aber auch hier ein höherer Detailgrad sowie ein im Allgemeinen starker Wiedererkennungswert bei den Stars zu sehen. Auch die bis zum Bersten gefüllten Stadien wurden aufwändig gestaltet, während man die ominösen Copy&Paste-Zuschauergruppen der letzten Ausgaben nur noch vereinzelt wahrnimmt. Eine groß angelegte "visuelle Aufräumaktion" stand dieses Jahr aber dennoch nicht auf dem Plan. Denn bei allen kleinen Fortschritten gibt es auch immer noch Probleme mit der Kollisionsabfrage. In manchen Nahaufnahmen lässt sich unschön erkennen, dass am Boden liegende Spieler mit der Hälfte ihrer Arme oder Beine im Gras versinken. Auch bei eher unbedeutenden Zwischensequenzen läuft nicht alles sauber, wenn die Spieler aneinander vorbeiflanieren wollen, dann aber durch sich durch clippen. Das ist alles nicht tragisch oder gar für den Spielverlauf erheblich. Aber es zeigt, dass Tiburon noch einiges zu tun hat, bis Madden in der jetzigen Generation sämtliche Grafikpower ausgeschöpft hat und hinsichtlich Präsentation das Maximum rausholt. Und da beziehe ich auch die schwache Halbzeitshow mit ihren gerade mal nötigen Wiederholungen ein, die immer noch hinter dem zwölf (!) Jahre alten NFL 2K5 zurückstecken muss.

Auch wenn es hier den Anschein hat: Die Verteidigung hat nicht immer das Nachsehen.
Die Akustik hingegen hat sowohl in ihrer Gesamtheit als auch in einzelnen Bereichen große Schritte gemacht. Das beginnt u.a. bei den neuen und differenzierteren Soundeffekten der Tacklings und endet erst beim aufgebohrten sowie sich über Genregrenzen hinwegsetzenden Soundtrack, der elektronische Tracks ebenso unter dem Football-Banner vereint wie Country oder Rock. Doch neben dem neuen Kommentatoren-Duo sind dies nur Kinkerlitzchen. Zwar haben die beiden gut miteinander harmonierenden Sprecher auch irgendwann mit Wiederholungserscheinungen zu kämpfen. Bis dahin bekommt man aber zahlreiche gelungene Analysen, schmissige Kommentare und die eine oder andere Anekdote, die sich in der Franchise auch auf die eigenen Leistungen beziehen kann. Zudem sollen über die reguläre NFL-Saison hinweg neue Kommentar-Pakete mit aktuellen Bezügen zur Verfügung gestellt werden. Schon in der gegenwärtigen Verfassung ist die Reihe allerdings das erste Mal seit Jahren überhaupt in der Lage, in einem Atemzug mit Visual Concepts exzellenter Kommentar-Engine der NBA-2K-Serie genannt zu werden. Einzig das Publikum könnte noch mehr aus sich herausgehen und abwechslungsreicher sein. Vielleicht würde sich das auf Dauer monotone Rauschen dann auch nicht so stark über die Schiedsrichter-Ansagen bei Strafen legen, die kaum zu verstehen sind.   

Lauf, Forrest, lauf!

Nachdem man in den letzten Jahren vor allem das Passspiel grundüberholt und mit den derzeit zur Verfügung stehenden Mechaniken scheinbar ans Limit gebracht hat, ist dieses Jahr das Laufspiel an der Reihe. Und das nicht nur hinsichtlich der angesprochenen natürlicheren Bewegungen. Denn obwohl es sich auf das Spielgefühl auswirkt, wenn der Angreifer sich geschmeidig durch die Verteidigungslinien mogelt, um noch ein paar Yards gutzumachen, sind die mechanischen Erweiterungen ungleich wichtiger. So sind die Standard-Optionen, die dem Ballträger zur Verfügung stehen, nicht nur von seinen Fähigkeiten abhängig, so dass ein besonderer Spielrhythmus entsteht. Zusätzlich kann es in kritischen Situationen, so z.B. wenn man auf einen Verteidiger trifft, der einen nach unten ziehen will, zu einem Minispiel kommen, bei dem man auf einen bestimmten Knopf eindrischt, um doch noch ein paar Zoll nach vorne zu kommen. Das mag dem Simulationsansatz zwar widersprechen, den die Madden-Serie eigentlich propagiert. Doch seien wir mal ehrlich: Etwas mehr Spiel und Interaktion für den Aktiven am Pad hat nur selten geschadet. Und unter dem Strich hat Madden ohnehin in all den Jahren mit Arcade-Ansätzen geliebäugelt, ohne sie jetzt zu stark zu betonen.

Die KI-Routinen wurden komplett überarbeitet, wodurch die Defensive gestärkt wurde. Sie leisten sich aber auch immer noch Patzer.
Die Verteidigungs-KI wurde nicht nur im Hinblick auf den Laufspiel-Fokus komplett überarbeitet und mit neuen Aktionen ergänzt, die die Läufer im Zaum halten sollen und z.B. auch Fumble-Versuche ermöglichen, wenn man in kurzer Entfernung hinter dem  Angreifer läuft. Sämtliche Routinen wurden dahingehend überarbeitet, dass die Verteidigung die vorgegebenen Zonen intelligenter zustellt - zumindest theoretisch. In der Praxis lassen sich bestimmte Abwehrverbände auch nicht mehr ganz so leicht bzw. so häufig mit den Pässen von hochkarätigen Quarterbacks aushebeln. Doch mitunter weigern sich die Kollegen immer noch, selbstständig in ihre vorgesehenen Räume zu sprinten oder sich an die Fersen der Wide Receiver zu heften. Mit neuen Optionen, effektiv ein Field Goal blocken zu können, wird die Defensive aber ebenfalls gestärkt, so dass sich unter dem Strich trotz gelegentlicher KI-Probleme ein sehr rundes Spielerlebnis einstellt. Dabei hilft es auch, dass die allgemeine Geschwindigkeit etwas reduziert wurde, so dass es etwas leichter ist, die gegnerische Taktik zu lesen und entsprechend zu reagieren. Gerade im spannenden Hin und Her vor dem Snap, bei dem man kurzfristig noch zu reagieren versucht, hat Tiburon dieses Jahr viele kleine Details verbessert. Das Problem: Diese wirken sich nur unterschwellig und vor allem für Spieler aus, die sämtliche Feinheiten aus der Match-Engine herauskitzeln wollen. Für Gelegenheitsfootballer halten sich die spürbaren Änderungen in Grenzen, aber es fühlt sich zweifellos besser an.

Wie letztes Jahr, oder?

Nachdem letztes Jahr der frische Ultimate-Draft-Modus unverhältnismäßig viel meiner Zeit beansprucht hat, habe ich mich dieses Jahr nicht mehr ganz so langfristig damit beschäftigt – der Reiz des Neuen ist verflogen. Das ändert jedoch nichts daran, dass diese Spielvariante mit ihrem in 15 Auswahlverfahren zusammengewürfelten Team immer noch sehr spaßig ist. Das gilt jedoch auch für all die anderen Modi, die Veteranen durch die Bank kennen. Herausforderungen. Training. Gauntlet. Connected Franchise. Alles schon bekannt. Und so sehr ich Letztgenannte auch zu schätzen weiß, würde ich mir zusätzlich einen "schlichten" Saisonmodus wünschen, in dem ich einfach über 17 Wochen hinweg (plus Playoffs) mit dem gleichen Team spielen und evtl. um den Einzug in den Super Bowl kämpfen kann, ohne mich um Draft, Trades oder sonstige Nebenkriegsschauplätze kümmern zu müssen. Andererseits sorgen die Verbesserungen im Franchise-Modus dafür, dass ich mich in dieser Ausgabe häufiger hier wiederfinde als in den letzten Jahren. Woran liegt das? Zum einen an den so genannten "Big Decisions", die man über die Saisons hinweg fällen kann und die sich z.B. darum drehen, einen verletzten Spieler evtl. verfrüht wieder einzusetzen, weil man ihn einfach braucht - selbst auf die Gefahr hin, dass die Verletzung wieder aufbricht.

Der Franchise-Modus kann durch "Play the Moment" verkürzt werden: Hier konzentriert man sich auf die vermeintlich Spiel entscheidenden Situationen.
Zum anderen aber, weil es mit "Play the Moment" eine intelligente Spielvariante gibt, um die Spielzeit der Partien zu senken. Über einen Großteil des Matches werden Lauf- und Passspiele ebenso simuliert wie das Abwehrverhalten. Je nach Auswahl wird man an bestimmten Punkten eingreifen können. So kann man sich z.B. darauf festlegen, sämtliche Angriffsentscheidungen zu treffen und auszuspielen. Oder man übernimmt nur die Defensive. Am spannendsten sind jedoch die meist intelligenten gesetzten "Red-Zone"-Einsätze. Hier übernimmt man das Team, wenn es in kritische bzw. spannende Bereiche geht, also quasi die letzten 20 bis 25 Yards vor der Endzone. Zusammen mit den bewährten Möglichkeiten, sein Team über Jahre hinweg aufzubauen und dabei im Zweifelsfall auch nur die Rolle des "Besitzers" zu übernehmen, dürfte die Connected Franchise für Solisten die Anlaufstelle Nr. 1 sein, wenn es um Langzeitmotivation geht. Selbstverständlich ist  auch Ultimate Team wieder mit von der Partie. Man kann von den Sammelkarten und ihrer Integration in EAs gesamte Sportspielpalette halten, was man will - der Modus war und ist konzeptionell gelungen. Dass er auch stark von Mikrotransaktionen lebt, ist bedauerlich, aber in der heutigen Zeit unvermeidbar. Und das Sammeln der Spieler und Aufbauen eines Teams ist sowohl off- als auch vor allem online nach wie vor motivierend. Was auch daran liegt, dass der Online-Modus auch abseits des Ultimate Teams so solide und sauber läuft wie in den letzten Jahren.

Fazit

Während sich das FIFA-Team von der Ignite-Engine verabschiedet und zu Frostbite wechselt, bleibt EAs Tiburon-Studio dem bewährten Grafikmotor treu und sorgt mit dezenten Verbesserungen in vielen Bereichen dafür, dass Madden NFL 17 der am besten aussehende Teil der Traditionsserie ist – auch wenn in manchen Nahaufnahmen Körperteile tiefer als physikalisch möglich in den grünen Rasen oder kurzzeitig in anderen Spielern versinken. Doch nicht nur visuell ist das American-Football-Spektakel auf dem Vormarsch – besonders akustisch hat man einen Riesenschritt nach vorne gemacht. Der Soundtrack ist abwechslungsreich, die Effekte krachen. Und vor allem: Das neue Kommentatoren-Duo bringt die Spielzüge auf den Punkt und spart auch nicht mit Analysen oder Anekdoten. Hier zeigt sich Madden endlich fast auf Par mit den Korbwerfern der NBA-2K-Serie - hat aber auch noch eine gewisse Wiederholungs-Anfälligkeit, die man dadurch auszumerzen versucht, indem man kontinuierlich neue Kommentar-Pakete zum Download anbietet. Mechanisch hingegen bin ich hin- und hergerissen: Nach dem Passfokus der letzten Saison hat man sich hier vor allem auf das Laufspiel konzentriert und sowohl in der Offensive als auch der Defensive zahlreiche neue Möglichkeiten geschaffen, während man die allgemeine Spielgeschwindigkeit leicht reduzierte. Das Ergebnis ist eine spannende und vielschichtige Umsetzung des Sportspektakels American Football. Es tauchen aber auch immer noch Probleme u.a. im KI-Bereich auf, die die Serie seit Jahren mit sich herumschleppt. Und selbst die Verfeinerungen des Franchise-Modus wie die optional auf Endzonen, Angriff oder Verteidigung reduzierten Eingriffsmöglichkeiten, die den Zeitaufwand für die Saisons deutlich reduzieren, können nicht verschleiern, dass sich hinsichtlich der prinzipiellen Spielmodi sehr wenig getan hat. EA hat für diese Madden-Ausgabe zwar genug optimiert, um das Gespenst "Update zum Vollpreis" wenigstens für ein weiteres Jahr aus den Stadien zu jagen, doch unter dem Strich können Football-Einsteiger auch mit der Vorjahresversion glücklich werden, deren Fortschritte im serieninternen Vergleich höher einzuschätzen sind.

Pro

starkes Kommentatoren-Duo mit abwechslungsreichen Analysen
optimierte Spielzug-Auswahl mit passablen Vorschlägen
Franchise mit mehr Entscheidungen und Red-Zone-Modus
ansehnliche Kulisse
gut reagierende Steuerung
überarbeitete KI-Systeme
fernsehreife Präsentation
ordentlicher Netzcode
gewaltige Spielzugauswahl
umfangreiche Tutorials und Trainingsmöglichkeiten
abwechslungsreicher Lizenz-Soundtrack
knackige Kollisionen

Kontra

Spielmodi alle bekannt
schwache Halbzeit-Analysen
KI leistet sich immer noch herbe Patzer
keine eigenen Spielzüge erstellbar, nur Playbooks veränderbar
Ladezeiten
Clipping-Probleme bei Bodenkontakt
monotones Zuschauerverhalten

Wertung

XboxOne

Die Madden-Serie zeigt sich inhaltlich in einigen Punkten verbessert und hat den besten Kommentar abseits von Visual Concepts' NBA-Spielen, schleppt aber auch noch alte Probleme mit.

PlayStation4

Die Madden-Serie zeigt sich inhaltlich in einigen Punkten verbessert und hat den besten Kommentar abseits von Visual Concepts' NBA-Spielen, schleppt aber auch noch alte Probleme mit.

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