Tales of Vesperia10.07.2009, Jens Bischoff
Tales of Vesperia

Im Test:

Mit Tales of Vesperia (ab 16,89€ bei kaufen) feiert Namcos traditionsreiche Tales-Reihe endlich auch in Europa ihren Einstand auf der aktuellen Konsolengeneration. Die letzte hierzulande erschienene Auskopplung, Tales of Symphonia , liegt mittlerweile fast fünf Jahre zurück und war eines der besten Rollenspiele der GameCube-Ära. Können die Entwickler auch auf der 360 eine derartige Duftmarke hinterlassen?

Vom Tagelöhner zum Weltenretter

Es ist ein ganz normaler Tag in der Reichshauptstadt Zaphias. Yuri, ein 21jähriger Ex-Ritter der kaiserlichen Armee, hat mal wieder verschlafen, während draußen auf den Straßen des Armenviertels bereits reges Treiben herrscht. Die Bewohner gehen allerdings nicht ihrer täglichen Arbeit nach, sondern versuchen einen Wasserschaden in den Griff zu bekommen, den dubiose Instandsetzungsarbeiten hervorgerufen haben sollen.

Video: Wie bei Star Ocean gehören flotte Echtzeitkämpfe zur Serientradition.Yuri hat allerdings keine Lust mit anzupacken und will lieber den Übeltäter zur Rede stellen, der angeblich das magische Artefakt entwendet hat, welches den Wasserfluss kontrolliert. Solche Artefakte, Blastia genannt, finden sich überall in der Stadt. Allerdings sind die meisten der von Yuri verachteten, adligen Oberschicht vorbehalten, weshalb er seine Karriere als Ritter auch schon nach kurzer Zeit wieder an den Nagel gehängt hatte.

Jetzt lebt er einfach in den Tag hinein und übernimmt hin und wieder kleinere Jobs für seine geplagten Mitbürger. Die Wiederbeschaffung der Wasser-Blastia scheint zunächst auch nur eine weitere Aufgabe, der sich aus Angst vor Streitereien mit dem Adel sonst keiner annehmen will. Doch das ändert sich schnell als Yuri während seiner Nachforschungen des Einbruchs bezichtigt und ins Gefängnis geworfen wird, wo er bei einem Fluchtversuch an ein geheimnisvolles Mädchen namens Estelle gerät, das auf der Suche nach Yuris Jugendfreund Flynn ist, der noch immer in der kaiserlichen Armee dient. Angeblich droht diesem große Gefahr und so entschließen sich Yuri und Estelle gemeinsam nach Flynn zu suchen und die Mauern der Stadt, welche beide noch nie zuvor verlassen haben, hinter sich zu lassen.

Unterwegs offenbaren sich natürlich noch ganz andere Probleme: Yuri und Estelle müssen sich den gefährlichen Kreaturen der Wildnis stellen, decken Konflikte und Intrigen auf, geraten zwischen die Fronten verschiedener Interessensgemeinschaften und schließen sich mit Gleichgesinnten zusammen, um irgendwann, wie soll es anders sein, die Welt vor einer drohenden Katastrophe zu retten.

Die Kämpfe, an denen bis zu vier Spieler kooperativ teilnehmen können, werden immer wieder durch zusätzliche Aktionsmöglichkeiten bereichert.
Bis dahin ist es allerdings ein weiter Weg, der trotz Bedienung einiger Klischees mit zahlreichen Überraschungen und Wendungen aufwartet. Die Story ist durchwegs spannend inszeniert, die verschiedene Konflikte und Entwicklungen durchlaufenden Charaktere von Manga-Zeichner Kosuke Fujishima (Oh! My Goddess ) sind trotz stereotyper Äußerlichkeiten interessant und glaubwürdig.

Auch Spaß muss sein

Doch auch wenn man lernt über Leichen zu gehen, kommt auch der Humor nicht zu kurz: Da wird Jungspund Karol als unfreiwilliges Versuchskaninchen in die Nähe rätselhafter Pflanzen geschubst, um die Wirkung deren Gifte zu überprüfen, es wird sich regelmäßig über das Alter oder die Ängste diverser Gruppenmitglieder lustig gemacht, Estelle mokiert sich nach einem Kampf schon mal über Judys wippende Brüste und im immer wieder clever ins Spiel eingeflochtenen Tutorial stellt man süffisant seine trotteligen Ex-Kameraden bloß. Die Cel-Shading-Optik ist zwar eher schlicht, aber trotzdem stimmig. Hin und wieder darf man sogar ein paar kurze Anime-Szenen genießen, die sich harmonisch ins Spielgeschehen einfügen. Die meiste Zeit bekommt man allerdings Dialogszenen in Spielgrafik serviert, die leider nicht immer mit Sprachausgabe unterlegt sind. Wenn die englischen Synchronsprecher in Aktion treten, machen sie ihren Job allerdings sehr gut und auch die deutschen Untertitel geben nur selten Grund zur Kritik.        

Ärgerlich ist lediglich, dass man die Dialoge zwar beschleunigen, aber nicht abbrechen kann, was vor allem dann nervt, wenn man sich mit optionalen Boni wie dem Ausfindigmachen und Erfüllen geheimer Zielvorgaben in Bosskämpfen beschäftigt, vor denen meist erst ausgiebig geplaudert wird und man sich bei einem Scheitern jedes Mal alles erneut anhören muss. 

Die Story wird sowohl in Spielgrafik als auch vorgefertigten Anime-Sequenzen erzählt.
Zumindest sind die Speicherpunkte in der Regel fair gesetzt, so dass man nicht auch noch mit langen Wegwiederholungen konfrontiert wird. Auf der Weltkarte kann man sogar jederzeit den Spielstand sichern - zumindest wenn man zu Fuß unterwegs ist. Zu Wasser oder in der Luft ist die Funktion kurioserweise gesperrt, was zwar nicht weiter tragisch ist, aber doch irgendwie nervt. Auch die Kartenfunktion ist nicht ideal. Im Zusatzfenster ist der Ausschnitt recht mickrig, als transparentes Overlay erkennt man teils kaum etwas und für eine Komplettdarstellung oder die Anzeige von Ortsnamen muss man stets unschöne Menü-Umweg nehmen. Das hätte man definitiv komfortabler lösen können.

Aber egal, dafür bekommt man im Lauf des Spiels einige sehr praktische Enzyklopädien in die Hand, die sich automatisch füllen und ungemein hilfreich sind, um Fundorte bestimmter Gegner oder Materialien zu rekapitulieren. Selbst die in unterschiedlichen Städten feil gebotenen Ware können so jederzeit eingesehen werden. Einziges Manko: Die Angaben sind teils etwas lückenhaft, so dass man sich vor allem zu Beginn lieber auf das eigene Gedächtnis verlassen sollte, als blind auf die nicht fehlerhaften, aber einiges unterschlagenden Lexikoneinträge zu vertrauen. Insgesamt sind die auch Spielfunktionen und Aktionsmöglichkeiten behandelnden Nachschlagewerke aber eine willkommene, teils liebevoll mit der Handlung verknüpfte und für Sammler sehr motivierende Angelegenheit.

Freiheit mit Hindernissen

Löblich ist auch, dass man sich nicht mit lästigen Zufallskämpfen herumärgern muss und potentielle Gegner bereits vorher sehen, einschätzen, zusammenrotten und notfalls auch umgehen kann. Vor allem auf der Weltkarte kann man trotz aufpoppender Widersacher eigentlich fast jedem Kampf aus dem Weg gehen, wenn man's eilig hat. Betritt man einen Dungeon oder ähnliche Areale, sind kämpferische Auseinandersetzungen hingegen meist unumgänglich, da die aus vorgegebenen Blickwinkeln und Kamerafahrten dargestellten Schauplätze in der Regel sehr eng und geradlinig sind. Eine Kartenfunktion gibt es in Dungeons und Städten übrigens keine, aber die Areale sind meist so kompakt, dass man größtenteils gut darauf verzichten kann.

Die Linearität zeigt sich aber auch in anderen Bereichen. Während man der Handlung folgt, ist man oft in bestimmten Gebieten gefangen und in Städten trennt sich die Gruppe immer wieder aufs neue und zieht erst weiter, wenn man mit allen geredet hat. Im Prinzip wäre das nicht weiter schlimm, aber der Vorgang wiederholt sich später doch sehr oft ohne das Spielerlebnis irgendwie zu bereichern.

Spezialangriffe lassen sich individuell zuteilen und zu mächtigen Kombos verketten.
Estelles Austrittsgedanken aus der Gruppe nehmen irgendwann sogar den Charakter eines Running Gags an. Man besucht kaum einen Ort, wo sie gedenkt Abschied zu nehmen und dann doch bei Yuri & Co bleibt. Alles andere wäre auf Dauer auch ziemlich heikel, schließlich ist sie die einzige wirklich effektive Heilerin der Gruppe...

Einer für alle, alle für einen

Jeder der insgesamt sieben spielbaren Charaktere hat individuelle Vorzüge, vertraut auf spezifische Waffengattungen und lernt exklusive Kampfkünste, Zauber sowie Spezialfähigkeiten. Gegner beklauen kann z. B. nur Yuris Hund Repede. So hat jeder seine Daseinsberechtigung, auch wenn immer nur vier Akteure gleichzeitig ins Kampfgeschehen eingreifen können. Die generelle Entwicklung der Charaktere ist dadurch zwar mehr oder weniger vorgegeben, aber es gibt trotzdem genug Möglichkeiten zur Individualisierung. So schlummern z. B. in nahezu jeder Waffe verschiedene Fertigkeiten, die man direkt nutzen, aber auch dauerhaft erlernen und dann ausrüstungsunabhängig kombinieren kann. Zudem bestimmt man welche Kampfkünste und Zauber die einzelnen Mitglieder in der Schlacht nutzen sollen. Anfangs kann man zwar lediglich Yuri direkt steuern, später kann man aber auch jederzeit in die Rolle der anderen Teammitglieder schlüpfen.          

Der Rest des Trupps agiert derweil selbstständig, hält sich aber an vorgefertigte oder persönlich konfigurierte Befehlspaletten. Die KI-Einstellungen sind jedenfalls sehr facettenreich, obwohl man die meiste Zeit auch mit den Universalvorgaben ganz gut fährt, die allerdings nicht sehr strikt befolgt werden. Immerhin können eure KI-Partner selbstständig Items nutzen, sofern ihr deren entsprechende Anfragen nicht abschmettert.

Auf ihrer Reise wächst die bunt gemischte Heldenriege auf insgesamt sieben Mitstreiter an.
Im Idealfall habt ihr aber sowieso ein paar Freunde aus Fleisch und Blut zur Hand und bestreitet die Kämpfe kooperativ, was generell recht gut funktioniert, auch wenn die Übersicht nicht immer optimal ist und die Unterbrechungen bei Zugriffen aufs Spiel pausierende Kampfmenü oder die Zielauswahl etwas nerven können.

Wolf im Schafspelz

Die Auseinandersetzungen finden in begrenzten Kreisarenen in Echtzeit statt. Man kann sich frei bewegen oder auf einen bestimmten Gegner ausrichten, auf Knopfdruck angreifen, blocken oder springen sowie direkt auf vorher festgelegte Zauber und Kampfkünste zurückgreifen. Über das jederzeit aufrufbare Kampfmenü kann man auch in aller Ruhe individuelle Befehle an seine Mitstreiter verteilen, selbst deren Rolle übernehmen, Gegenstände einsetzen, die Ausrüstung ändern oder zur Flucht blasen. Kameraperspektive und Strategien lassen sich hier ebenfalls ändern, genauso wie das anvisierte Ziel. Zudem kann man Formationen festlegen, welche die Gruppe zu Kampfbeginn einnimmt.

Anfangs bekämpft man seine Gegner noch mit simplen Kombos und wenigen Spezialattacken, das Repertoire nimmt allerdings stetig zu und es werden Schritt für Schritt weitere Facetten wie tödliche Schläge und Ketten, explosive Kampfkünste oder Überlimits hinzugefügt. Das Kampfsystem reift quasi zu einem immer gewaltigeren Biest heran, das immer schwerer zu bändigen, aber auch immer attraktiver wird. Gelegenheitsspieler sollten sich davon aber nicht abschrecken lassen, denn viele Elemente sind zwar ungemein nützlich und zeitsparend, können bei Bedarf aber auch weitestgehend ignoriert und der Schwierigkeitsgrad jederzeit angepasst werden.

Immer was los

Auch abseits der Schlachtfelder gibt es einiges zu tun und zu entdecken, ohne dass man dazu gezwungen wird. Man kann Kochrezepte für Energie auffrischende Zwischenmahlzeiten sammeln, sich in einem Kolosseum als Gladiator verdingen, an Quiz und Glücksspielen teilnehmen, Titel und Bonus-Outfits verdienen oder verschiedene Nebenquests in Angriff nehmen.

Wem Spezialangriffe und Kombos nicht genug sind, kann später auch Überlimits, Todesstöße und andere besonders verheerende Manöver vom Stapel lassen.
Es gibt natürlich auch optionale Bossgegner und Bonusareale, jede Menge lukrativer Schatzkisten, gelegentliche Rätsel- und Geschicklichkeitseinlagen sowie ein shopbasiertes Crafting-System, mit dem man seine Ausrüstung und davon abhängigen Fertigkeiten tunen kann. Es gibt sogar Online-Ranglisten für bestimmte Bestleistungen, übertragbare Errungenschaften für einen weiteren Durchgang sowie ein paar kostenlose Download-Inhalte für einen leichteren Einstieg.

Der Umfang kann sich jedenfalls sehen lassen. Doch auch grafisch macht Tales of Vesperia eine gute Figur, wenn man mit Cel-Shading nicht gerade auf Kriegsfuß steht. Der Anime-Stil der Charaktere ist stimmig, die malerischen Kulissen sind teils eine echte Augenweide und es gibt trotz einer gewissen Schlichtheit viel Liebe zum Detail wie z. B. auch in Sequenzen erkennbare Ausrüstungswechsel. Die serientypischen Bonusdialoge innerhalb der Party weihen auf Knopfdruck in die Gedankenwelt der Teammitglieder ein und sorgen zudem für Slapstick-Komik mit Manga-Flair. Die Soundkulisse gibt sich bis auf die nicht durchgehende Sprachausgabe auch nur wenige Blößen. Die zweifelhafte Kampfmusik kann mit der Zeit zwar nerven, passt sich aber zumindest der aktuellen Bedrohlichkeit an, während die Akteure situationsabhängige Sprüche von sich geben. Abseits der Schlachten erfreuen hingegen atmosphärisch passende Melodien und Ambient-Effekte das Ohr. Japanischen Originalton gibt es keinen, aber die englischen Synchronsprecher leisten wirklich souveräne Arbeit.     

Fazit

Tales of Vesperia ist für mich das bis dato beste japanische Rollenspiel der aktuellen Konsolengeneration. Auf den ersten Blick mag es vielleicht unscheinbar, fast kindisch wirken. Hinter der vergleichsweise unspektakulären, aber sehr stimmigen Cel-Shading-Fassade schlummert jedoch ein echtes Rollenspielschwergewicht mit spannend und humorvoll inszenierter Story, interessanten und glaubwürdigen Charakteren, beachtlichem Umfang sowie packenden Echtzeitkämpfen. Letztere mögen zwar nicht so imposant wie im jüngsten Star Ocean wirken, begeistern jedoch mit facettenreichen KI-Einstellungen und immer komplexeren Aktionsmöglichkeiten. Wer will, kann sich serientypisch auch wieder mit bis zu drei Freunden gemeinsam ins Getümmel stürzen. Rätselelemente machen sich zwar eher rar und der Spielverlauf gestaltet sich sehr geradlinig, aber wirklich schwerwiegende Mankos finden sich keine. Es ist einfach ungemein motivierend mitzuerleben wie sich Story, Charaktere und Spielmechanik immer weiter entwickeln, sich mit verschiedenen Nebenaufgaben zu beschäftigen und die charmant designte Spielwelt zu erkunden. Zwar könnte man Tales of Vesperia vorhalten sich spielerisch zu sehr auf den Lorbeeren der Vorgänger auszuruhen, aber was es macht, macht es sehr gut, während die Konkurrenz sich eher verschlimmbessert hat. Genrefans kommen jedenfalls voll auf ihre Kosten und sollten sich dieses Highlight nicht entgehen lassen!

Pro

keine Zufallskämpfe
interessante Charaktere
humorvolle Präsentation
spannend inszenierte Story
stimmungsvolle Soundkulisse
facettenreiche Echtzeitkämpfe
vielschichtige KI-Anpassungen
Koop-Kämpfe für bis zu vier Spieler
motivierende Nebenbeschäftigungen
individualisierbare Kampfkünste & Fertigkeiten

Kontra

kaum Rätselelemente
sehr geradliniger Spielverlauf
nicht immer optimale Kampfübersicht

Wertung

360

Packende Echtzeitkämpfe, glaubwürdige Charaktere und spannend inszenierte Story - Rollenspielerherz, was willst du mehr?

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