Singularity28.06.2010, Paul Kautz
Singularity

Im Test:

Folgende Zutaten liegen herum: Russen, Amerikaner, Kalter Krieg, mysteriöse Energiesubstanz, Mutanten, Zeitverknotung, hilfreiche junge Frau, explodierende Fässer, Unterwasserabschnitte, Riesenbosse, Nailgun. Was wohl passiert, wenn man alles zusammen in einen Topf schmeißt und Raven Software das Rühren überlässt?

Die Sowjets mal wieder..

Russen und Amerikaner haben historisch betrachtet wenig Gemeinsamkeiten: Kalte Kriege hier, Atomwettrüsten da, Besetzungsquerelen überall - aber alles in allem ist eine von gegenseitigem Misstrauen beherrschte Harmonie vorhanden. Schenkt man der Geschichte von Singularity (ab 19,00€ bei kaufen) Glauben, hätte auch alles ganz anders kommen können: In den frühen 50er Jahren wurde auf der russischen Insel Katorga-12 ein brandneues

Video: Der Rendertrailer verdeutlicht die Möglichkeiten, die das ZMG bietet.chemisches Element entdeckt - das E-99. Das hat den großen Vorteil, dass es eine massive Energiequelle voller Möglichkeiten ist, die den Russen in Sachen Atomsprint den entscheidenden Vorteil verschaffen können. Außerdem lässt sich damit die Zeit vor- und zurückkurbeln, was auch nicht unpraktisch ist. Ärgerlicherweise gibt es auch einen kolossalen Nachteil: E-99 ist hochgradig instabil und mutiert alles, womit es in Kontakt kommt, zu ästhetisch fragwürdigen Dingen. Als das (nebst der ethisch höchst verwerflichen Experimente an der eigenen Bevölkerung) herauskommt, wird die Insel dicht gemacht, unter Quarantäne gestellt und offiziell unter den »Stell keine Fragen, dann hast du auch keine Löcher im Kopf!«-Teppich gekehrt. Bis eines Tages ein forscher amerikanischer Satellit etwas Ungewöhnliches auf seinem Schirm findet und eine Meldung macht...

Langes Intro, kurzer Sinn: Als Vorzeige-Marine Nathaniel Renko findet man sich kurz nach dem rasanten Einstieg darauf auf Katorga-12 wieder, natürlich nach einem Absturz - und Erinnerungen an BioShock werden wach. Anfangs ist alles sehr gemütlich, es gibt noch keine Gegner, man durchforstet herumliegende Notizen, schaut sich russische Propaganda-Filme an, lauscht alten Tonbandaufnahmen und wundert sich über die Schwarz-Weißen Halluzinationen, in denen Geister panisch durch das Bild rennen. Schon nach kurzer Zeit findet man eine schwachbrüstige Pistole, die schnell mit ebenso laschen Fleischdingern aufräumt. Später kommen ein MG, ein Scharfschützengewehr, eine Nagelkanone oder eine Minigun hinzu - und die Durchschnittlichkeit nimmt ihren Lauf.

Raven as usual

In seinem Herzen ist Singularity ein sehr gewöhnlicher Shooter: Das Leveldesign ist strikt linear, es führt immer genau ein Weg zum Ziel, erst direkt vor dem Ende (also nach etwa sieben Stunden) hin hat man überraschende Entscheidungsmöglichkeiten. Jedes bereits mehrmals durchgekaute Spielelement bekannter Shooter findet sich hier: Zu durchkriechende Lüftungsschächte, explodierende Fässer, eine Beschützermission (bei der man nicht gesagt bekommt, dass es eine ist, und schnell ein langes Gesicht zieht, wenn die zu beschützende Person auf einmal tot ist), Scharfschützengewehr mit leichter Zeitverlangsamung,  Tauchgänge, in allerlei Hinsicht verbesserbare Waffen, eine gute Hand voll unterschiedlicher Soldaten und Mutanten als Gegner sowie simple Physik-Puzzles - sowie gerade mal zwei Bosskämpfe, die

Und so sieht das Ganze dann im Spiel aus: Hat man das ZMG (und genug Energie dafür), kann man Gegner ratzfatz zu Tode altern oder sie in Mutanten verwandeln. Später kommen noch weitere Funktionen dazu, u.a. darf man dann Zeitblasen erzeugen oder schwere Gegenstände aufnehmen und werfen.
durch kaum zu übersehende, orange bzw. hellblau leuchtende Schwachpunkte ein Klacks sind.

Entgegen dem Trend basiert das Lebensenergiesystem allerdings nicht auf einer mysteriösen Selbstheilung, sondern setzt ganz klassisch auf Heilpakete (und kleinere Varianten, stilistisch herausfordernd mit »Stimulations-Päckchen« übersetzt), von denen man begrenzte Mengen mit sich herumschleppen und jederzeit einsetzen darf. Zwei Waffen passen standardmäßig auf Renkos Rücken, gelegentlich darf auch eine dritte zusätzlich getragen werden, die allerdings beim Wechsel weggeworfen wird - die kreativste davon ist die »Seeker«, deren Einzelgeschosse man in Zeitlupe selber lenken darf, ähnlich der Redeemer aus Unreal Tournament.

Interessanter wird's im Waffenschrank erst nach ungefähr anderthalb Stunden, wenn das ZMG ins Spiel kommt - die Abkürzung steht für das dezent unkreativ betitelte »Zeitmanipulationsgerät«. Damit kann man, und hier naht die Überraschung, die Zeit manipulieren. Die offensichtlichste Variante davon ist die Zeitreise: Immer wieder mal springt man ins Jahr 1955 zurück, um dort den Geschichtsverlauf zu beeinflussen. Weiter geht's mit der Altersveränderung: Aus einem herumschrumpelnden Rosthaufen wird in Zeitmanipulationsgeräteseile wieder eine Brücke, eine Versorgungskiste oder ein Stromkasten, der eine verschlossene Tür öffnet - und aus einem unvorsichtigen Gegner ein Wölkchen Staub nebst Knochenpulver. Mit einer weiteren Funktion darf man später Zeitblasen erzeugen, in der Gegner kurz festfrieren oder rotierende Riesenventilatoren kurz zum Stillstand gebracht werden.        

Man tritt gegen Soldaten und E99-Mutationen an, die sich teilweise auch gegenseitig bekämpfen. Leider gibt es nur zwei Bosskämpfe, die beide sehr unspektakulär inszeniert sind.
Sehr nützlich ist auch das ZMG-Pendant der Gravity Gun aus Half-Life 2 : Damit lassen sich tonnenschwere Gegenstände anheben und herumwerfen, auch feindliche Geschosse lassen sich so abfangen und zum Absender zurückbefördern. Diese Funktion wird gerne in den wenigen Puzzles verwendet: Geht es mal irgendwo nicht weiter, kann man seinen Zeitreisearsch darauf verwetten, dass irgendwo eine verrottende Kiste herumliegt, die man aufnehmen, unter ein halboffenes Tor legen und sie mittels Verjüngung wieder wachsen lassen muss, wobei in diesem Prozess das Tor aufgestoßen wird - anfangs ist das noch witzig, ab dem dritten Mal wird's langweilig. Das gilt auch für das Verwandeln von Gegnern in E-99-Mutanten, das man später selber erledigen kann: Sind sie Fleischberge, kämpfen sie kurzzeitig gegen ihre eigenen Leute, bevor sie wieder auf Renko losgehen. Aber das Ganze ist dennoch ziemlich sinnlos: Die Feinde sind mit einer gut gezielten Kugel weitaus schneller erledigt, der Verwandel-Prozess kostet wahnwitzig viel ZMG-Energie. Gespeichert wird alle paar Minuten und vor jeder wichtigen Stelle automatisch, ein Anlegen eigener Spielstände ist nicht gestattet.

Aus Liebe zum Deutschen

Neben der Lebens- ist die ZMB-Energie das wichtigste Gut, und sollte daher immer voll gehalten werden. Im Gegensatz zu Ersterer lädt sie sie selbständig wieder auf, allerdings quälend langsam. Schneller geht's mit Notfallenergie, die man ebenfalls bunkern kann, und die automatisch aktiviert wird, wenn der Saft zur Neige geht. Zusätzlich zu den automatisch vergebenen ZMG-Upgrades gibt es noch mehrere manuelle Möglichkeiten der Verbesserungen: An Stationen (den »Verbesserern« und dem »Waffenschrank«) kann man an den persönlichen, den ZMG- und den Waffenwerten schrauben - vorausgesetzt, man hat dafür benötigte Währung gefunden. »Bioformeln« für die Heldenverbesserung (mehr Energie, schnellerer Sprint oder 

Grafik kann Raven: Die Levels sind teilweise sehr stimmungsvoll aufgebaut. Das Spieldesign dagegen ist reiner Durchschnitt, der sich bei jedem größeren Konkurrenten bedient.
effizientere Heilpäckchen), »E-99-Technologie« für Upgrades (erhöhte Präzision oder mehr ZMG-Schaden) und Waffenupgrades für schnelleres Nachladen oder größere Magazine. Die Aufrüst-Möglichkeiten sind begrenzt, bei einem Durchspielen kann man nicht alle Werte nach oben schrauben - das Ganze muss also dem persönlichen Geschmack angepasst werden.

Dieser muss auch eine Liebe zur deutschen Sprache beinhalten, denn die hierzulande erhältliche Version von Singularity ist komplett teutonisiert - was zwei Folgen hat. Erstens den Zwang zur germanischen Zunge: Auf 360 wird in jedem Fall Deutsch gesprochen, unabhängig von der Konsoleneinstellung (die deutschen PC- und PS3-Versionen standen uns nicht zur Verfügung). Die deutsche Sprachausgabe ist sehr gut und hochwertig, die Sprecher machen ihren Job professionell, auch der russische Akzent wurde gut eingefangen - im Gegensatz zu Wolfenstein wurden die an Wänden klebenden englischsprachigen Poster allerdings nicht eingedeutscht. Das zweite Merkmal der hiesigen Version ist die Schnittfreude: Zunächst mal gibt es kaum Blut zu sehen. Zwar flatscht es gelegentlich aus einem Gegner heraus, aber er hinterlässt beim Ableben keinerlei Flecken - oder Körperteile, denn die dürfen auch nicht mehr abgetrennt werden. All das geht dankbarerweise nicht so weit, dass man (wie bei Quake 4 ) dadurch den Mehrspielermodus beschränken würde: Singularity lässt sich auch in der deutschen Version wunderbar mit der Welt zocken. Bis zu zwölf Spieler haben zwei Modi zur Auswahl, »Extermination« und »Creatures vs. Soldiers«: Ersteres ist die hiesige Variante des Rush-Modus' aus Bad Company 2 . Ein Team muss drei Punkte einnehmen, das andere muss das verhindern. Ist ein Punkt eingenommen, wird automatisch zum nächsten vorgerückt - bis entweder ein Team gewonnen hat oder die Zeit abgelaufen ist, danach werden die Seiten gewechselt. Beide Seiten haben verschiedene Spielerklassen, Waffen und Boni zur Verfügung, die man frei kombinieren kann. Auf Seiten der Soldaten kämpft man aus der gewohnten Ego-Perspektive, auf Seiten der Mutanten dagegen aus der Schulteransicht. Die zweite Version ist prinzipiell das Gleiche in Grün, betont aber den Teamwork-Aspekt noch etwas stärker.

Siigulayaity

Kaputte Treppen und Brücken zu reparieren ist ein Klacks für das ZMG - und der Effekt ist sehr ansehnlich. Leider wird die Idee ausgewalzt und durch Routinenutzung überstrapaziert.
Raven kann Grafik, keine Frage. Singularity sieht an einigen Stellen überwältigend, die meiste Zeit über locker sehr gut und immer überdurchschnittlich aus - wie schon bei Wolverine kommt das Feuer nicht aus einer id-, sondern der letzten Unreal-Engine. Das bringt nicht nur einen gigantischen Polycount, wunderbar abwechslungsreiche Effekte sowie beeindruckend rasante Geschwindigkeit (sowie keinerlei Tearing - sowas muss heute ja positiv hervorgehoben werden), sondern auch das altbekannte Problem der spät nachladenden Texturen mit sich: Teilweise steht man sekundenlang vor einem gigantischen Pixelmatsch, für den sich Half-Life geschämt hätte, und wartet geduldig darauf, dass daraus eine Schrift oder Wand wird. Knackescharf sind die Texturen auf Konsole nie, auf dem PC hat man zusätzliche Möglichkeiten für Qualitätsschübe - sofern man das Spiel zum Laufen bekommt. Auf zwei Redaktionsrechnern, die mit brandneuen Installationen von Windows 7 zu Werke gingen, verweigerte das Spiel den Dienst komplett. Außerdem ist das Gezeigte über weite Teile sehr steril - nur ein geringer Teil der Umgebung ist interaktiv, nicht mal eine herumstehende Bierflasche ist kaputtbar. Dafür sieht der TMD-Alterungs-Effekt umso cooler aus: Wenn man Tafeln, Treppen, Kisten oder ganze Schiffe verjüngt oder altert, blitzt und zischt und bratzt und rostet es sehr beeindruckend! Das lässt sich Renko allerdings nicht anmerken: Davon abgesehen, dass man ihm im ganzen Spiel nie richtig zu Gesicht bekommt, hat er auch viel auf der Gordon Freeman-Schule gelernt - und meldet sich im ganzen Spiel nicht ein Mal zu Wort. Ein anderes Fragezeichen betrifft Ravens Wahl der Fonts: Mal davon abgesehen, dass sich auf dem Cover von Singularity ein anderes Logo befindet als im Spiel selbst, fand es irgendjemand wohl saucool und sehr russisch, alle »R« und »N« konsequent umzudrehen. Das verschlechtert allerdings nicht nur die Lesbarkeit der Texte, sondern ist auch Blödsinn - ob bei Raven jemand weiß, dass die Buchstaben dann nicht mehr »R« und »N« bedeuten?    

Fazit

Raven Software sind irgendwie die Klitschkos unter den Shooter-Machern: Man kann sich bei ihnen darauf verlassen, dass ein gewisser Qualitätsstandard eingehalten wird - aber auch darauf, dass das Ergebnis komplett vorhersehbar ist. Singularity ist wie Wolfenstein ist wie Quake 4: Absolut solide Action, die gut sieben Stunden lang den Ballerfinger mehr und das Gehirn weniger bemüht, sehr ordentlich aussieht und unterhält. Aber es hat nichts Einzigartiges: Die Grafik ist sehr gut, aber nicht weltbewegend, das Spielprinzip eine Mischung aus so ziemlich jedem größeren Shooter, den es da draußen gibt - u.a. standen Half-Life 2, BioShock und TimeShift in mehrfacher Hinsicht sehr deutlich Pate. Die Zeitmanipulation mittels ZMG ist anfangs unterhaltsam, entpuppt sich aber schnell als stark limitierte Skript-Sammlung, die man irgendwann nur noch nutzt, wenn man wirklich muss. Als simpler, aber spaßiger Shooter ist Wolfenstein aus gleichem Hause empfehlenswerter; Singularity wäre gern mehr, verheddert sich aber in seinen Ambitionen. Am Ende bleibt eine durchschnittliche Ballerei von der Dutzendware-Stange, die zwar weit von den Abgründen eines Necrovision 2 entfernt ist, aber nichts Außergewöhnliches bietet, das sie länger als nötig im Gedächtnis verweilen lässt.

Pro

ordentliche Grafik
unterhaltsame Story
motivierendes Aufrüsten
unterhaltsame ZMG-Nutzung

Kontra

08/15-Spieldesign
simple Gegner-KI
sehr linear
schwacher Mehrspielermodus

Wertung

360

Technisch gut und mit einigen coolen Ideen bestückt kommt Ravens Zeitshooter in Sachen Spieldesign nicht über Genre-Mittelmaß hinaus.

PlayStation3

Technisch gut und mit einigen coolen Ideen bestückt kommt Ravens Zeitshooter in Sachen Spieldesign nicht über Genre-Mittelmaß hinaus.

PC

Technisch gut und mit einigen coolen Ideen bestückt kommt Ravens Zeitshooter in Sachen Spieldesign nicht über Genre-Mittelmaß hinaus.

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