Halo 3: ODST24.09.2009, Mathias Oertel
Halo 3: ODST

Im Test:

Jedes Spielsystem hat seine definierenden Titel. Für Microsofts Xbox und ihren Nachfolger gehört Bungies Halo-Universum zweifellos in diese Kategorie und wurde sogar für einen gelungenen Strategie-Ableger entfremdet. Doch nachdem die Trilogie um den markanten Master Chief abgeschlossen ist, müht man sich, Ersatz zu finden - immerhin muss es zahlreiche Geschichten in der Halo-Welt geben, die noch nicht erzählt wurden. So wie die der Oribitalen Abwurf-Shock Trooper, denglisch ODST (D für Drop) abgekürzt.

Wieder mal das Problem Lokalisierung

Schon in Halo 3 gab es mehr als genug Beispiele dafür, wie man es schafft, eine eigentlich dramatische Szene durch eine unglücklich lokalisierte Wortwahl ins Gegenteil umzukehren. Man erinnere sich nur an den vom Himmel gefallenen Master Chief, für den sein Vorgesetzter "dringend jemanden braucht, der ihn hochkriegt!"

Aussetzer dieses Kalibers gibt es in Halo 3 ODST glücklicherweise nicht mehr, doch kleinere Missgeschicke finden sich allerorten. Das beginnt bereits im Titel, der in der deutschen Version eigentlich OAST heißen müsste. Und obendrauf

Video: In den ersten zehn Minuten werden u.a. die Defizite der deutschen Lokalisierung deutlich.scheinen die deutschen Sprecher wieder einmal nur vors Mikrofon gezerrt worden zu sein, ohne wirklich darüber aufgeklärt zu werden, um was es in der jeweiligen Szene eigentlich geht. Wenn allerdings tatsächlich die übliche Synchronmethode angewandt wurde und die Stimmakteure zur ablaufenden Szene gesprochen haben, dann haben sie wahrlich einen schlechten Job gemacht: Sie schaffen sie es weder, der neuen Sammlung an Figuren Emotionalität noch ein Gesicht zu geben. Das ist insofern umso bedauerlicher, da der an sich gelungene Einstieg sowie die Story, an der sich Bungie in ODST entlang hangelt, vollkommen unnötig entwertet und beinahe langweilig wird. Auf eine Möglichkeit, die englische Sprachspur einzustellen wurde verzichtet. Stattdessen kann man anhand der englischen Untertitel erahnen, was an Gefühlen vermittelt werden soll. Aus diesem Ahnen wird Gewissheit, wenn man sich die englische Original-Version anschaut und vor allem anhört: Die Sprecher sind deutlich enthusiastischer bei der Arbeit und mit emotionalen Nuancen in der Stimme versuchen sie meist erfolgreich, den Figuren Leben einzuhauchen. Wieso Microsoft ausgerechnet an dieser wichtigen Stelle den Rotstift angesetzt und zum Sparen aufgefordert hat, lässt sich nicht nachvollziehen.

Eine kleine Anekdote am Rande, die ebenfalls die Qualität der Lokalisierung widerspiegelt: Das Achievement "Be like Marty" lautet im Original "In Firefight, finish a full round without killing a single enemy." Im Deutschen wurde daraus "Schießen Sie ein ganzes Magazin im Feuergefecht leer, ohne einen einzigen Gegner auszuschalten." Danke. Setzen. Sechs.

Ganz abgesehen davon, dass diese Fehlinterpretation bei Bungies Auswertung der Statistiken vermutlich ein starkes Absinken der Trefferquote im deutschsprachigen Raum zur Folge haben dürfte.

Ein Mann ist nicht genug

Aber genug dieses leidigen Themas und hin zu der Frage, worum es in ODST geht: Wohl wissend, dass der sich opfernde Archetypus des Master Chief Fußstapfen hinterlässt, die nicht einfach gefüllt werden können, wird die Bürde auf die Schultern mehrerer Figuren verteilt. Genauer: Auf einen Trupp futuristischer Spezialeinheiten (quasi der Halo'schen Variante von Tom Clancys Ghosts), die im von Allianztruppen eingekesselten und kurz vor der Zerstörung stehenden afrikanischen New Mombasa einen Auftrag erledigen müssen, der den Ausgang des Krieges maßgeblich beeinflussen kann. Bis hierhin klingt es nach erzählerischer Standardkost.

Interessant wird es jedoch durch klug ausgewählte Stilmittel in Form von Figurenwechsel sowie Zeitsprüngen. Mit dem namenlosen Anfänger ("Rookie") als Hauptspielfigur, der nach einem fehlgeschlagenen Orbital-Fall sein über die ganze Stadt verstreutes Team finden muss, bewegt man sich durch die teilweise wie ausgestorben wirkende Metropole und sieht sich kleinen Allianz-Grüppchen gegenüber, bis man schließlich ein Überbleibsel eines anderen Mitglieds aus dem ODST-Trupp findet. Das kann z.B. ein Helm sein oder auch ein Scharfschützengewehr.

Der Grafikstil von ODST ist düsterer als man es von Halo bislang kannte.
Der Clou: Jetzt findet eine spielerische Rückblende statt, in der man aktiv eine andere Figur übernimmt und die Geschehnisse nachspielt, die bis zum Verlust des jeweiligen Utensils geführt haben, bevor es wieder zum Rookie zurück geht und man das nächste Teil ausfindig macht.

Dieses Stilmittel, das in Filmen immer wieder zum Einsatz kommt, wurde in Spielen bislang kaum verwendet und ist ein erfrischendes Erlebnis. Zumal Bungie das Kunststück gelingt, ähnlich wie Quentin Tarantino in Pulp Fiction, alle Fäden am Schluss aufzunehmen und zusammenzuführen. Zusätzlich gibt es im Stile von Bioshock insgesamt 30 Tonaufzeichnungen zu finden, die eine untergeordnete, aber ebenso sorgsam in das Gesamtbild eingebunde Geschichte erzählen.

In der emotionalen Umsetzung hingegen ist Bungie weit von einem Geniestreich entfernt, was allerdings nicht nur der Lokalisierung zuzuschreiben ist. Die Figuren, die vom verantwortungsbewussten Squad-Anführer bis zum großmäuligen Sniper nahezu alle Klischees abdecken und damit an einen Großteil der Besetzung in James Camerons "Aliens" erinnern, sind einen Hauch zu plakativ, um mich emotional anzusprechen. Und in den Momenten, in denen man sogar tatsächlich versucht, eine Liebesgeschichte vor dem Kriegshintergrund zu etablieren, verliert mich Bungie auf der Gefühlsebene komplett. Denn dazu sind die Figuren zu unglaubwürdig - was unter Umständen auch daran liegen könnte, dass der Zahn der Zeit nicht wirklich freundlich mit der Engine und dem Figurendesign umgegangen ist. Gerade die Gesichtsanimationen wirken zu hölzern, um mich zu überzeugen.

       

Best of Halo

Vom "Mitreißen" ist die dargebotene Action in der Kampagne zwar auch ein gutes Stück entfernt, doch sie weiß zu unterhalten. Auch wenn das Tutorial nach dem eindrucksvoll dargestellten misslungenen Abwurf schrecklich langweilig ist, macht das Abenteuer durchaus Spaß. Nicht nur, weil mit dem Rookie eine interessante Mischung aus gezielt gesetzten Feuergefechten sowie Ruhepassagen vor dem Allianzsturm wartet. Sondern auch, weil Bungie die verschiedenen Figuren nutzt, um mit jeder gespielten Rückblende eine weitere Facette der ebenso bewährten wie beliebten Halo-Mechanik bis zum Exzess auszureizen. Mal ist man beinahe einen ganzen Abschnitt mit den Warthog- oder Banshee-Fahrzeugen unterwegs, ein anderes Mal nutzt man exzessiv das Snipergewehr, nur um dann wiederum mit dem Panzer die Allianz aufzuhalten oder einem nach wie vor beeindruckenden Skarab der Allianz gegenüberzutreten - wohl wissend, dass man den Kampf eigentlich nicht gewinnen kann. 

Mit dem motivierenden "Feuergefecht"-Modus für bis zu vier Spieler wird die kurze Kampagnenspielzeit ausgeglichen - und obendrauf gibt es auf der zweiten DVD den kompletten Halo 3-Mehrspieler-Modus.
Sprich: Halo-Fans können sich auf ein wohl temperiertes À la carte-Menü freuen, das nichts auslässt. Außer vielleicht Fortschritt. Denn die Bekannt- und Beliebtheit aller Elemente ist Fluch und Segen zugleich. Auf große Überraschungen innerhalb der Versatzstücke wird verzichtet, so dass alles wunderbar lockig-flockig, aber manchmal auch sehr unspektakulär vor sich hinplätschert - bis auf eine Ausnahme. Und die ist gleich so gewichtig, dass ein separat anwählbarer Spielmodus daraus wurde, der es in sich hat: Das Feuergefecht ("Firefight"). Dieses basiert auf den immer wieder aufflammenden Missions-Scharmützeln, in denen man sowohl in Person des Rookie als auch mit den anderen ODSTs in ein Areal gelangt, in dem Welle auf Welle an immer stärkeren Allianzkriegern auf einen zumarschiert.

In der Kampagne hat man irgendwann den oder die "Bosse" besiegt; als separater Modus, in dem man mit bis zu vier Spielern der Allianz die Stirn bieten kann, kommt man wie im Horde-Modus aus Epics Locust-Kriegswirren nicht zur Ruhe, bis der knappe Vorrat an zur Verfügung stehenden Leben verbraucht und der Kampf gegen die Aliens zwar verloren, aber der um die Höchstpunktzahl hoffentlich gewonnen wurde.

Am ersten Abend der Testsitzungen, den ich eigentlich für die Kampagne vorgesehen hatte, hat mich der Firefight sogar länger als mir lieb war von meinem Ziel abgehalten. Und das, obwohl das Potenzial nicht komplett ausgeschöpft wird und zusätzliche optionale Aufgaben neben dem Überleben an und für sich diesen Modus aufgewertet hätten.

Dennoch kehre ich immer wieder sowohl solo als auch mit Gleichgesinnten gerne für ein geradlinges, beinahe arcadiges Action-Erlebnis hierhin zurück, zumal die eigentliche Story insgesamt sehr kurz geraten ist. Auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad kann man sechs bis sieben Stunden einrechnen, auf den höheren kann man die eine oder andere Stunde dazu addieren, da einem die unter dem Strich verbessert scheinende KI alles abverlangt.

Bei Nacht sind alle Allianz-Krieger grau. Der Allzweckhelm bringt bei Aktivierung Licht ins Dunkel und markiert Feinde.
Apropos Spielzeitverlängerung: Bungie lässt sich nicht lumpen und gibt den orbitalen Truppen den kompletten Mehrspieler-Modus aus Halo 3 mit über 20 Karten als Zugabe oben drauf. Okay: Veteranen haben ohnehin den dritten Teil der Master Chief-Saga im Schrank stehen und sich vermutlich auch schon alle erhältlichen Karten herunter geladen.

Doch als Ergänzung und für alle Neueinsteiger ins Haloversum ist das ein famoser Service. Immerhin war und ist der Mehrspieler-Modus einer der besten, die weit und breit auf der Xbox 360 ihren Dienst verrichten. Netzcode, Konfigurationsmöglichkeiten, die Option, mit der so genannten "Schmiede" Level zu modifizieren und sie sich eigen zu machen, bevor man sie mit der Community teilt, Spielmodi: Alles vom Feinsten. Immerhin war der Multiplayer dafür verantwortlich, dass Halo 3 trotz einer kaum mehr als soliden Kampagne satte 87% kassieren konnte.

Der Zahn der Zeit

So weit kommt ODST nicht - auch nicht mit der kompletten, auf einer zweiten DVD untergebrachten Mehrspieler-Option. Denn gewisse Alterserscheinungen lassen sich nicht nur in dieser Hinsicht abstreiten. Vor allem die Kulisse leidet unter dem Fortschritt, der in den zwei Jahren seit Halo 3 stattfand und der nicht komplett, aber zu einem großen Teil an der Engine vorbeigezogen ist.

Bereits vor gut zwei Jahren wechselten sich grandiose Momente mit schwachen Texturen und durchschnittliche Animationen mit aufwändigen Explosionen ab. Und daran hat sich auch anno 2009 nicht viel geändert. Im Detail pixeln die Landschafts- und Wandtapeten zwar nach wie vor nicht so extrem auf wie bei einigen Grafikmotoren der namhaften Konkurrenz von Epic oder id. Doch insgesamt muss man sagen, dass Halos Optik nicht immer in Ehren gealtert ist. Vor allem, wenn man sich die zu starren Gesichter betrachtet, die z.B. im Vergleich zu Titeln wie Mass Effect oder Killzone 2 beinahe wie ein Relikt einer vergangenen Generation wirken.

Zwischen den Scharmützeln warten immer wieder ruhige Momente, in denen man die Kulisse genießen kann, die allerdings mittlerweile merklich in die Jahre gekommen ist.
Mit dem VISR (Visor = Visier, Blendschutz, Anm. d. Red.), einem neuen Multifunktionshelm, der den ODSTs zur Verfügung steht, kommt ein halbwegs frisches visuelles Element dazu. Die pastellgrünstichige Sichtverstärkung sowie das farbig markierte Hervorheben von Freund und Feind, die das größtenteils einschüchternd dunkle New Mombasa durch den Helm erfährt und damit wie eine leicht abgeschwächte Variante von Sam Fishers Nachtsicht wirkt, sorgt innerhalb des Halo-Universums für ein neues Erlebnis - ganz abgesehen davon, dass der Helm alle sinnvollen HUD-Anzeigen wunderbar unter einen Hut bringt und zusätzlich noch alle Missionsdetails sowie eine zoombare Übersichtskarte anzeigen kann.

Beim Gesundheitssystem geht man einen Mischweg aus Halo und gängigen Standards: Die "Ausdauer" ersetzt quasi den Schild und kann in Deckung aufgeladen werden, während die "Lebensenergie" nur durch die zahlreich in der Gegend verstreuten Gesundheitspacks wieder auf Vordermann gebracht werden kann. Das duale Waffensystem, das auch das Aufnehmen der Allianz-Waffen erlaubt, ist Halo-Fans ebenfalls bekannt und sollte daher keine Überraschung darstellen.

Als ein besonderes Merkmal der Halo-Serie mit dem absoluten Höhepunkt Halo 3 gilt die musikalische Untermalung. Dynamisch, atmosphärisch dicht und unverkennbar haben sich die Melodien zum Master Chief einen Platz im Olymp der Spiele-Kompositionen gesichert.

ODST ist da etwas gewöhnungsbedürftiger. Die Dynamik ist zwar weiterhin vorhanden, doch ähnlich der Kulisse, die einen Spagat zwischen unnachgiebiger Action und zielsicher gesetzten ruhigen Kontrapunkten versucht, zeigt sich die Musik des orbitalen Einsatz-Trupps mal gewohnt orchestral-treibend, dann aber nahezu ungewohnt leise Töne anschlagend.

So leise und unauffällig ruhig, dass anfänglich beinahe ein Gefühl der akustischen Langeweile aufkommt. Doch lässt man sich darauf ein, stellt man fest, dass man gar nicht anders kann, als sich auch von den getragenen Melodien auf eine kleine Reise mitnehmen zu lassen, die es beinahe schafft, die fehlende Qualität der Lokalisierung vergessen zu lassen und die wieder mal eine gelungene Ergänzung der Erzählstruktur darstellt. 

Fazit

Bungie war noch nie ein Meister der kleinen Emotionen. Überlebensgroße Charaktere wie der Master Chief und Erzählstruktur mussten bislang hinter gut inszenierter Action sowie hervorragenden Mehrspieler-Modi in der zweiten Reihe Platz nehmen. Dementsprechend schwer tut sich Halo 3 ODST in dieser Hinsicht - auch und gerade weil die orbitalen Spezial-Einheiten mit den Rückblenden und ungewohnt leisen Tönen bis hin zu einer Liebesgeschichte theoretisch auf Emotionen und Charaktere setzen. Dieses Vorhaben scheitert aber praktisch nicht nur an der in die Jahre gekommenen Engine, die zwar die Action nach wie vor gut und jederzeit flüssig auf den Bildschirm bringt, aber z.B. hinsichtlich Mimik und Figurendesign zu hölzern wirkt. Titeln wie Mass Effect ist man in diesem Bereich hoffnungslos unterlegen und auch der Abstand zur ärgsten Konkurrenz wie den Resistance- oder Killzone-Fortsetzungen ist nicht zu verleugnen. Aber es ist vor allem der schwachen Lokalisierung mit den lustlosen Sprechern zuzuschreiben, dass man es nicht schafft, die von Bungie gewünschte (und im leider nicht enthaltenen englischen Sprach-Original gut funktionierende) emotionale Bindung aufzubauen. Und das kostet wertvolle Punkte. Der Rest ist Halo fast wie man es kennt. Insgesamt etwas düsterer und auswegloser, aber immer noch Halo: Das bedeutet eine Kampagne, die unterhält, aber wahrlich keine Maßstäbe setzt, den Einstieg verschläft und insgesamt etwas kurz ausfällt. Da Bungie aber den bewährten und prämierten Mehrspieler-Modus von Halo 3 auf einer zweiten DVD mitliefert und zudem mit dem neuen, an Epics Horde erinnernden "Feuergefecht" einen weiteren motivierenden Modus für bis zu vier Spieler spendiert, bekommt man unter dem Strich ein gelungenes Gesamtpaket, das eine weitere Facette des Halo-Universums ausleuchtet.

Pro

interessante Erzählstruktur...
Firefight ist ein gelungener Koop-Modus...
kompletter Halo 3-Multiplayer enthalten
gut gesetzte automatische Kontrollpunkte
düstere Atmosphäre
gelungene Musik-Untermalung
Kampagne auch kooperativ spielbar
lagfreie Multiplayer-Duelle

Kontra

- ... die auf einer emotionalen Ebene scheitert- ... der aber sein Potenzial nicht komplett ausschöpft
lahme Tutorial-Phase
schlechte Lokalisierung
kurze Kampagne
veraltet wirkende Kulisse

Wertung

360

Das Abenteuer der orbitalen Shock Trooper ist erzählerisch interessant, inhaltlich solide, mit einem bewährten Multiplayer ausgestattet und gnadenlos schlecht lokalisiert.

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