Kinect Joy Ride11.11.2010, Benjamin Schmädig
Kinect Joy Ride

Im Test:

»Guck mal, ich kann freihändig!«, radeln Sohnemann und Tochterfrau vorbei und die Eltern ringen sorgenvoll um Fassung. Nicht so mit Joy Ride, denn da hat freihändig Methode - wenn auch auf vier statt zwei Rädern. Gas und Bremse übernimmt das Spiel, das auch »Kinect Mario Kart« heißen könnte. Wir haben uns ins Cockpit gestellt und gefragt: Ist das die versprochene Zukunft des Rennspielens?

Nicht ohne mein Lenkrad! Oder?

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ohne Controller Spaß macht.« Das waren die ersten Worte einer Kollegin beim Anschauen von Joy Ride. In der Tat: Wie wissen virtuelle Rennfahrer denn, wie weit sie das Lenkrad einschlagen müssen? Weil sie den Widerstand des Analogsticks oder des Force Feedback Wheels, meinetwegen auch des Digikreuzes spüren. Wie soll es also funktionieren, wenn man die Hände vor dem Körper in der Luft bewegt - aber kein greifbares Feedback fühlt?

Bunte Spaßfahrer

Kinect Joy Ride (ab 22,00€ bei kaufen), wie Microsoft den Starttitel unmissverständlich getauft hat, ist weder das Forza noch das iRacing noch das Gran Turismo des virtuellen Rennzirkus. Die farbenfrohen Vehikel (Käfer, Pick-Up, Sportwagen & Co.) erinnern eher an die Flitzer der Klempnerbande.

Video. Freihändig! Ist das die Zukunft der Microsoft-Rennspiele?Spätestens der martialische Rempelmodus einschließlich kreuzgefährlicher Extras wie Raketen, Minen oder Vereiser kommt allen Schumarios bekannt vor. Zusätzliche Spielvarianten wie Stuntsprünge in einer Half-Pipe oder das Zeitrasen durch mit Hindernissen bestückte Sprintstrecken runden die Familienunterhaltung ab.

Schon bevor es auf die Strecke geht, drückt Joy Ride aber auf die Bremse: Schon im Menü dauert es eine Drittelsekunde, bis die Anzeige die Bewegungen der Hand nachahmt. Joy Ride nutzt das Prinzip »Draufzeigen und Stillhalten« für die Navigation - mit einem langen Fingerzeig wählt man normale Rennen, Rennen mit Waffen, eine von vier zusätzlichen Varianten oder den Onlinestart. Den Letzteren konnten wir uns allerdings nicht anschauen, da bislang nur Tumbleweed durchs die Lobbys weht. Wer bis dahin einen Kumpel herausfordern will, kann dies immerhin vor jedem Lauf auf dem geteilten Bildschirm tun: Das Spiel erkennt einen zweiten Mitspieler problemlos und schaltet ihn sofort als Herausforderer hinzu. Jeder Teilnehmer ist dabei mit seinem Kinect-Avatar unterwegs, der als munterer Spaßhaber in die Kamera winkt. Fahrzeuge gibt es zudem nicht nur in verschiedenen Ausführungen - man kann ihnen auch eine beliebige Farbe verpassen, indem man einen Gegenstand vor die Kinektkamera hält. Die leidet zwar an einer Farbschwäche und erkennt z.B. ein kräftiges Rot als Rosa; die Idee ist trotzdem nett.

Half-Pipe-Cabrios

Auch die Umgebung ist in muntere Pastelle gekleidet. Das beständige felsige Motiv könnte allerdings etwas Variation vertragen. Für Abwechslung sorgen stattdessen sechs Spielvarianten, wobei das herkömmliche »Als Erster über den Strich« sowie das »Ich schieß dich von der Piste!« im Mittelpunkt stehen. Die beiden zentralen Spielvarianten werden auf sieben Strecken ausgetragen. In beiden Renntypen geht es dabei nicht nur um die Platzierung - Münzen bringen zusätzlich Punkte, Drifts und Kunststücke in der Luft ebenso, Abkürzungen wirbeln das Fahrerfeld durcheinander. Sieg oder Niederlage hängen allerdings selten von der perfekten Linie abhängen - Schuld sind die sich vornehmlich hinter dem Spieler einordnenden Kontrahenten.      

Für die vier weiteren Rennarten gibt es zwei zusätzliche Kurse. Auf diesen lässt man sich entweder in einer Half-Pipe von links nach rechts tragen, führt während der Sprünge Tricks aus oder lenkt in den Looping ein. Für einen punkteträchtigen Sprint rast man so schnell wie möglich an knappen Hindernissen vorbei. Für »Zerstörung« brettert man zunächst kniehohe Statuen über den Haufen, bevor man mit Maximal-Schmackes in eine turmhohe Statue kracht. Ganz anders sieht die Sache aus, wenn das Vehikel erst über die Wolken zischt und Flügel ausfährt, auf denen der Avatar anschließend die Gesten nachmacht, die sich der Spieler hoffentlich korrekt vom Bildschirm abschaut.

Egal, wo man fährt oder fliegt: Man sammelt immer Fans. Und Fans schalten neue Strecken sowie Fahrzeuge frei. In den ersten zwei, drei Stunden ist das ein spürbarer Ansporn, um mal hier, mal da einen Highscore zu steigern. So weit, so gelungen, auch wenn die Motivation spätestens nach dem Einstieg erheblich ausdünnt. An den wenigen Schauplätzen der vier »kleinen« Spielarten hat man sich jedenfalls noch schneller satt gesehen als an den immer gleichen Umgebungen der Rennen und Kampfrennen. Es gibt zudem nur wenig Tricks und Kombos werden nicht belohnt, weshalb das Hin- und Herlehnen schon bald zur nüchternen Routine wird.

Die Stuntfahrten in der Half-Pipe machen viel Spaß - eine kurze Zeit lang jedenfalls.
Ohnehin reißt der Umfang keine Bäume aus: Die Turbos, Drifts und wenigen Stunts hat man sehr schnell gesehen, eine Karriere gibt es nicht. So ist Joy Ride nicht mehr als ein Lückenfüller.

Lenkst du noch oder ärgerst du dich schon?

Nichts dagegen, aber Joy Ride ist kein guter Lückenfüller. Und es liegt nicht nur an der für gestandene Piloten unzumutbaren Beschleunigungsautomatik. Immerhin übernimmt das Spiel die Bedienung des Gaspedals, eine Bremse braucht man gar nicht erst - falls Autofahren mit Kinect nicht mehr kann, dann Gute Nacht! Das zentrale eigentliche Problem ist allerdings nicht die Schubregelung, sondern das erwähnte Feedback. Denn genau wie vermutet, ist es schwierig, den Einschlag des gedachten Lenkrads jederzeit richtig einzuschätzen. Überraschenderweise liegt das jedoch nicht am »Luftkurbeln« - auch wenn Selbiges dem Spielgefühl wahrlich nicht zugute kommt.

Knackpunkt Nummer eins ist vielmehr eine deutliche Bildschirmanzeige des aktuellen Einschlags: Die gibt es nämlich nicht. Man weiß also nie, wo das Lenkrad gerade steht. Aber erst Knackpunkt Nummer zwei macht ernsthafte Rennspiele in diesem Zustand schlicht unspielbar und das ist die Verzögerung zwischen Eingabe und Ausgabe. Eine Drittelsekunde beträgt sie nicht nur im Menü, sondern auch auf der Strecke. Man kann daher immer nur hoffen, auch ohne physisches Feedback schon vor Anzeige und Umsetzung des Einschlags die richtige Lenkung zu erwischen. Da hilft es leider verdammt wenig, dass Joy Ride auch kleine Lenkbewegungen erfasst und umsetzt.

Und selbst ohne Verzögerung und Automatikgas bleibt die Genauigkeit der Steuerung auf der Strecke. Denn um z.B. einen Boost zu zünden, zieht man die Ellbogen zurück und schiebt die Arme anschließend nach vorn. Schön, dass man auch mit angezogenen Händen noch lenken kann - genaue Eingaben sind in dieser Position allerdings viel zu schwierig, Frustmomente dafür umso größer. Ähnlich umständlich geht das Aktivieren der Raketen und Vereiser von der Hand. Dafür greift man nämlich nach links, kann währenddessen aber praktisch nicht mehr lenken. Nur eine Geste funktioniert dann noch zuverlässig: der leicht vom Körper gestreckte linke Arm.   

Fazit

Microsoft sagt mir: »Du bist der Controller«. Ich sage: »Wenn ich ein Lenkrad wär’, würde ich Forza fahren - aber ohne Kinect!« Wo ist das präzise Feedback? Wo sehe ich, wie weit ich eingeschlagen habe? Eins muss man Joy Ride lassen: Es erkennt sehr genau, wie weit meine Hände umeinander verdreht sind. Auf langen Geraden merkt man, wie sensibel der Wagen auf kleine Lenkbewegungen reagiert. Weil es aber mit einer unverschämten Verzögerung auf Eingaben reagiert, bleibt das menschliche Lenkrad in der Garage stehen. Falls sich Microsofts Rennspiele ab sofort nur noch so steuern lassen, wäre die prophezeite Spielezukunft deshalb eine Totgeburt! Schade um das motivierende Freischalten neuer Kurse und Fahrzeuge zu Beginn der Karriere. Schade um die abwechslungsreichen Spielvarianten mit ihrer viel zu dürren Streckenauswahl. Schade um die spritzigen Avatare, die farbenfrohen Kulissen sowie das coole Lackieren der Wagen. Schön, dass ein zweiter Spieler jederzeit erkannt wird und sofort einsteigen darf - aber wer will einem guten Kumpel das schon antun?

Pro

farbenfroher Stil, motivierendes Freischalten zu Beginn
abwechslungsreiche Rennvarianten
erkennt umgehend zweiten Mitspieler

Kontra

kein Gasgeben und Bremsen
präzises Steuern unmöglich (fehlendes Feedback, großes Lag)
unhandliches Aktivieren von Extras und Turbos
viel zu wenig Strecken für alle Spielvarianten außer Rennen
durchgehend sehr einfach
wenig Tricks, Variationen werden nicht verlangt
inhaltlich ausgesprochen mager
schlechte Haltungserkennung im Stuntmodus

Wertung

360

Wenn das die Zukunft der Rennspiele ist, können ambitionierte Piloten einpacken!

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